Der Bundesrat berät am Freitag einen Gesetzesantrag der Länder Berlin, Brandenburg, Hamburg, Thüringen und Bremen. Der sieht die Streichung des Paragrafen 219a (Werbeverbot für Abtreibungen) aus dem Strafgesetzbuch vor. Während der Ausschuss für Frauen und Jugend und der Gesundheitsausschuss der Länderkammer empfehlen, den Antrag (Drucksache 684/21) gemäß Artikel 76 Absatz 1 Grundgesetz beim Bundestag einzubringen, rät der federführende Rechtsausschuss davon ab.
Aufmerksamkeit vom "Marsch für das Leben" ablenken?
Im März 2019 erst billigte der Bundesrat eine Reform des Werbeverbots für Abtreibung. Auf die hatte sich die Große Koalition von CDU/CSU und SPD nach langen Verhandlungen mühsam geeinigt. Seit dem 29. März 2019 dürfen Ärzte, Krankenhäuser und Einrichtungen in Deutschland öffentlich darauf hinweisen, dass sie vorgeburtliche Kindstötungen durchführen. Einzelheiten, wie etwa die dazu angebotenen Methoden, enthält nun eine Liste, die von der Bundesärztekammer (BÄK) regelmäßig aktualisiert wird. Sie kann auf der Homepage der BÄK von jedem eingesehen und heruntergeladen werden.
Lebensrechtler erblicken in dem Vorstoß der Länder daher den Versuch, die Aufmerksamkeit der Medien von dem tags darauf (18. September) in Berlin stattfindenden "Marsch für das Leben" abzulenken und der eigenen Wählerklientel zu suggerieren, man kämpfe für ein gemeinsames Anliegen. "SPD, Bündnis 90/Die Grüne und die Linkspartei fordern ja seit langem die ersatzlose Streichung des 219a StGB", sagte die Bundesvorsitzende der "Aktion Lebensrecht für Alle", Cornelia Kaminski, der Tagespost. Tatsächlich werden das Land Berlin, das zeitgleich mit der Bundestagswahl am 26. September einen neuen Senat wählt, sowie Bremen und Thüringen jeweils von einer rot-grün-roten Koalition regiert. In Berlin und Bremen wird diese von der SPD, in Thüringen von der Linkspartei angeführt. In Hamburg führt eine rot-grüne Koalition das Zepter, die in Brandenburg noch von der CDU ergänzt wird.
Kaminski: "Da bekommen die Wähler gleich schon einmal einen Vorgeschmack, was droht, wenn eine rot-grüne-rote Regierung an die Macht kommt." Die Lebensrechtlerin räumte ein, dass auch die FDP am Ende der Debatte über eine Reform des 219a StGB für dessen Streichung eingetreten sei. Auch äußere sich die Union "in ihrem aktuellen Wahlprogramm überhaupt nicht zum Thema Abtreibung". In der nun zu Ende gehenden Legislaturperiode seien es allerdings "CDU und CSU" gewesen, die sich der Streichung des Werbeverbots für Abtreibungen "widersetzt" hätten.
Gesetzesantrag manipulativ formuliert
Die Vorsitzende des "Bundesverbands Lebensrecht", Alexandra Linder, sagte dieser Zeitung, der Gesetzesantrag sei "missverständlich, man könnte auch sagen, manipulativ formuliert". Niemand verbiete Ärzten, Schwangere aufzuklären. "Niemand verbietet Frauen freie Arztwahl und den Zugang zu Informationen oder Ärzten die Weitergabe von Informationen." Es gehe vielmehr "um Werbung, deren üblicher Zweck die Gewinnerzielung ist". Die "penetrante, wiederholte Vorlage" habe etwas von "solange abstimmen, bis das Ergebnis das gewünschte ist". Das sei eines Verfassungsorgans "unwürdig". Der Vorsitzende der "Ärzte für das Leben", Paul Cullen, nannte den Vorstoß ein "durchsichtiges politisches Manöver". "Kurz vor der Bundestagswahl und unmittelbar vor dem ,Marsch für das Leben wird der eigenen Klientel ein Totem des Fortschritts präsentiert, um sie so zu aktivieren, nicht nur in die Wahlkabine, sondern auch auf die Straße gegen den Marsch zu gehen. Vielleicht erhofft man sich auch, durch diesen Verstoß, das Thema zu besetzen und Medien von der Berichterstattung über den Marsch abzuhalten."
Der seit 2009 jährlich durchgeführte "Marsch für das Leben" findet an diesem Samstag bereits zum 17. Mal statt. Die stets von Hundertschaften der Polizei geschützte Demonstration startet um 13.00 Uhr mit einer Kundgebung vor dem Brandenburger Tor.
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