Von der Friedensethik in Kriegszeiten

Die Evangelische Militärseelsorge hat ein Grundsatzpapier zur Friedensethik mit Blick auf den russischen Angriffskrieg gegen die Ukraine veröffentlicht. Was sagen die katholischen Kollegen dazu? Eine Analyse.
Militärbischof Franz-Josef Overbeck beim Jahrestag des russischen Angriffs auf die Ukraine
| Militärbischof Franz-Josef Overbeck beim Jahrestag des russischen Angriffs auf die Ukraine in Duisburg.

Die Katholische Militärseelsorge in Berlin nahm zum Jahrestag des russischen Angriffs auf die Ukraine eine Stellungnahme der Evangelischen Militärseelsorge eher durch Zufall zur Kenntnis. Doch der „Debattenbeitrag Mass des Möglichen - Perspektiven evangelischer Friedensethik angesichts des Krieges in der Ukraine“ vom Februar 2023 muss kritisch beurteilt werden: Sieben evangelische Militärgeistliche und Wissenschaftler haben einen Text vorgelegt, der leider einen ökumenischen Schulterschluss spürbar vermissen lässt. Das Papier stell das Recht auf Selbstverteidigung und das Recht zur Nothilfe für die Ukraine ohne Zweifel als überlebenswichtig dar. Aber es geht dann mit der „Lehre des Gerechten Krieges“ und dem kirchlich immer wieder diskutierten „Leitbild des Gerechten Friedens“ recht eigenwillig um.

„Nach Ende des Ukraine-Krieges wird die Frage auf kommen,
wie wirkliche Versöhnung im christlichen
und politischen Sinn tragfähig gelingen kann."

Bezug zur des „Gerechten Krieges“ 

Ein Fachmann in Sachen Friedensethik ist Professor Thomas Elßner. Er leitet im Katholischen Militärbischofsamt das Referat Seelsorge, Theologische Grundsatzangelegenheiten, Pastorale Dienste. Er lobt das evangelische Papier, weil es zum einen so manche friedenethische evangelische Stellungnahme der letzten Jahre in einigen Bereichen vom Kopf auf die Füße stelle und zum anderen keinem Bellizismus das Wort rede. Andererseits sei es aber so: Auf die Lehre des „Gerechten Krieges“ werde im Papier ohne Not immer wieder Bezug genommen, obwohl betont wird, dass man sich von jener Lehre verabschiedet habe.

Das ist tatsächlich widersprüchlich. Es stellt sich die Frage, ob ein „Gerechter Friede“ nicht doch mit militärischen Drohungen verbunden werden darf. Auch das humanitäre Völkerrecht kennt bereits alle Aspekte und Kriterien eines solchen „Gerechten Krieges“. „Nach Ende des Ukraine-Krieges - wofür sich beide Kirchen einsetzen - wird somit die Frage auf die Tagesordnung kommen, wie wirkliche Versöhnung im christlichen und politischen Sinn tragfähig gelingen kann. Wie sie mit Russland zustande kommen wird, ist derzeit noch gar nicht abzusehen. Die Gräben sind so tief und vergrößern sich zudem von Tag zu Tag“, beschreibt Elßner nüchtern die Lage.

Unklares Proprium evangelischer Friedensethik 

Schließlich macht das Papier nicht klar, so Elßner, dass sehr oft von „evangelischer“ Friedensethik gesprochen wird. Worin sie im Unterschied zur katholischen besteht, worin tatsächlich ihr Proprium zu sehen ist, bleibt unklar. Die epochale Friedensdenkschrift der EKD von 2007 entschied sich dafür, statt von einer „Lehre vom gerechten Krieg“, von einer Ethik rechtserhaltender Gewalt zu sprechen. Aber weit eher hatte die Katholische Kirche in Deutschland sich von der „bellum-iustum-Theorie“ verabschiedet. Denn schon im Jahr 2000, sieben Jahre vor Erscheinen der protestantischen Denkschrift, hatten die deutschen Bischöfe das Hirtenwort „Gerechter Friede“ veröffentlicht. Schon damals forderten sie Streitkräfte, die in „Umfang, Ausrüstung und Organisation die Aufgaben der Landes- und Bündnisverteidigung“ überhaupt leisten können. Angesichts der heute noch immer eingeschränkten Verteidigungsfähigkeit der Bundeswehr eine enorme Weitsicht.

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Der Katholische Militärbischof für die Deutsche Bundeswehr Franz-Josef Overbeck hat zum 1. Jahrestag des russischen Angriffskrieges gegen die Ukraine die politische Lage richtig eingeschätzt: „Wenn wir heute, ein Jahr nach dem Beginn des schrecklichen Angriffskrieges Russlands auf die Ukraine, um den Frieden beten, dann tun wir es mit dem Bekenntnis, dass es das Handeln von Menschen ist, das Frieden zerstört oder schafft.“ So Overbeck in einem ökumenischen Gottesdienst in Duisburg. Ganz realistisch schreibt denn auch der evangelische Militärbischof Bernhard Felmberg in seinem Vorwort im jüngsten protestantischen Papier: Es bleibe zu hoffen, dass „nach dem Maß menschlicher Einsicht und menschlichen Vermögens unter Androhung und Ausübung von Gewalt für Recht und Frieden“ gesorgt werden könne.

Das Grundsatzpapier der Evangelischen Militärsellsorge „Maß des Möglichen. Perspektiven Evangelischer Friedensethik angesichts des Krieges in der Ukraine“ findet man auf der Internet-Seite www.militaerseelsorge.de

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