Seit Jahren wird diskutiert, ob die 2013 gegründete Alternative für Deutschland als rechtsextremistischer Verdachtsfall zu gelten habe. Was richtig ist: Die Partei hat sich radikalisiert: Als politische Kraft gegen den Euro ins Leben gerufen, machte sie sich ab 2015 verstärkt den Kampf gegen die zum Teil unkontrollierte Zuwanderung zu eigen - sie ließ dabei aggressive populistische Anklänge erkennen. Heftige Zerwürfnisse, teils politisch, teils persönlich bedingt, suchten die Partei heim.
Be- und entlastende Argumente berücksichtigen
Der Verfassungsschutz hat mit guten Gründen den „Flügel“ als erwiesen rechtsextremistisch bezeichnet und die „Junge Alternative für Deutschland“ als rechtsextremistischen Verdachtsfall, ebenso eine Reihe ostdeutscher Landesverbände, soeben der in Sachsen-Anhalt. Wer die Frage nach dem extremistischen Charakter der Partei beantworten will, muss be- und entlastende Argumente berücksichtigen. So hat sich der am rechten Rand angesiedelte „Flügel“ formell aufgelöst. Dessen führender Kopf Andreas Kalbitz wurde wegen des Verschweigens der Mitgliedschaft in einer rechtsextremen Vereinigung bei seinem Aufnahmeantrag aus der Partei ausgeschlossen. Noch vor dem Parteitag Ende November 2020, auf dem der Bundessprecher Jörg Meuthen, der im Bundesvorstand über eine klare Mehrheit verfügt, in scharfer Form diejenigen attackierte, die sich mit den Aktivitäten der „Querdenker“ bei den Corona-Protesten unkritisch solidarisierten, fasste der Bundesvorstand einen Beschluss zur Akzeptanz der freiheitlich-demokratischen Grundordnung.
Und jüngst, im Januar 2021, hieß es in einer Erklärung zum deutschen Staatsvolk und zur deutschen Identität ohne Wenn und Aber: „Als Rechtstaatspartei bekennt sich die AfD vorbehaltslos zum deutschen Staatsvolk als der Summe aller Personen, die die deutsche Staatsangehörigkeit besitzen. … Staatsbürger erster und zweiter Klasse gibt es für uns nicht.“
Die Hardliner würden profitieren
Gewiss, vieles hat taktisch-strategisch bedingte Facetten: zum einen gegenüber dem Verfassungsschutz, zum anderen gegenüber den Hardlinern in den eigenen Reihen, denen die Absage an den ethnisch definierten Volksbegriff nicht gefallen dürfte. Würde die gesamte Partei als rechtsextremistischer Verdachtsfall eingestuft – dafür reichen die Indizien allerdings nicht aus –, profitierten davon die Hardliner.
Meine Position als Anhänger der streitbaren und wertgebundenen Demokratie ist am Prinzip rechtsstaatlicher Liberalität orientiert und nicht politisch motiviert. Der Nachweis, dass die Partei insgesamt verfassungsfeindliche Ziele verficht, dürfte schwerlich zu erbringen sein.
Wer der AfD nahesteht, will eine Beobachtung durch den Verfassungsschutz nicht. Und wer diesen nicht akzeptiert, wie das für Teile der Partei Die Linke gilt, hat daran ebenso kein Interesse.
Unabhängig davon: Eine Partei, die in allen 16 Ländern in den Parlamenten sitzt (in den neuen Bundesländern stets als zweite Kraft) und im Bundestag die stärkste Oppositionspartei ist, im „Superwahljahr“ 2021 als rechtsextremistischen Verdachtsfall zu kennzeichnen, hat mit Blick auf Chancengleichheit ein Geschmäckle. Spricht der Verfassungsschutz ein solches Verdikt aus, führt das zu negativen Konsequenzen für die ohnehin schon krisengeschüttelte AfD: Die Zahl der Wähler nimmt ebenso ab wie die der Mitglieder.
Negative Konsequenzen für die Regierungsparteien
Vor allem ein Teil der „vorzeigbaren“ Personen dürfte die rechtspopulistische Kraft verlassen. Ein solches Urteil könnte ebenso negative Konsequenzen für die Regierungsparteien zeitigen, falls die Gerichte ein derartiges Vorgehen kippen. Was an sich eine Selbstverständlichkeit ist: Wer gegen eine flächendeckende Beobachtung der AfD mit nachrichtendienstlichen Mitteln votiert, spricht sich deswegen noch nicht für die Partei aus.
Wenn das so betont werden muss, zeigt dies, dass es der hiesigen Debatte über tatsächlichen oder vermeintlichen Rechtsextremismus an Unbefangenheit mangelt. Und was geboten ist: eine politische Auseinandersetzung mit der AfD.
Der Autor ist (Mit-)Herausgeber des Jahrbuches Extremismus & Demokratie, das mittlerweile zum 32. Mal erschienen ist.
In der nächsten Ausgabe wird ein Beitrag die Frage aus einer anderen Perspektive betrachten.
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