Kalt lässt das Kreuz niemanden: Es sind bei weitem nicht nur Theologen, die auf den Beschluss der bayerischen Staatsregierung mit öffentlichen Stellungnahmen reagieren, künftig in allen Behörden ein Kreuz aufzuhängen. Vom Bundespräsidenten bis hin zu Parteifunktonären reicht die Reihe derer, die in den letzten Tagen ihre Meinung zum Erlass zu Protokoll gegeben haben. Bei Bundespräsident Frank-Walter Steinmeier klingt es, ganz dem Amt gemäß, eher staatstragend: Er mahnte, dass die gesetzten Maßstäbe der Verfassung berücksichtigt werden müssten. Er sei zwar kein Schiedsrichter, die Entscheidungen in Bayern zu bewerten, so erklärte er am Sonntag in der ARD, aber die Verfassung stecke den Rahmen ab, in dem die Frage durch eine Landesregierung gelöst werden müsse. Steinmeier, selbst evangelisch-reformiert und noch als Außenminister zum Präsidenten des Evangelischen Kirchentages 2019 gewählt (das Amt kann er nun freilich nicht mehr antreten), gab aber auch ein persönliches Bekenntnis ab: „Was uns sonntags in der Kirche fehlt, das wird das Kreuz in den Behörden nicht ersetzen können.“
Unter den Parteipolitikern sind vor allem die Stellungnahmen aus den Reihen von CDU und CSU interessant. Und hier geht es nicht nur um die Sache selbst, man kann auch noch eine Begleitmelodie aus den Äußerungen heraushören. Die Unionsmitglieder positionieren sich so auch innerhalb der schon seit Wochen parteintern geführten Debatte über das Profil von CDU und CSU. Die Schlüsselfrage lautet hier: Welche Bedeutung hat das „C“? Und vor allem: Was wird letztlich aus ihm abgeleitet? Vor diesem Hintergrund zeichnen die einzelnen Stellungnahmen die Linien ab, hinter denen sich vor allem in der CDU die unterschiedlichen Lagern versammeln. Da ist etwa der nordrhein-westfälische Ministerpräsident Armin Laschet. Er streicht seine Katholizität gerne heraus, aber mit besonderem Akzent. Laschet, der unter Jürgen Rüttgers Integrationsminister in NRW gewesen ist, ist besonders sensibel für alle Fragen, die den christlich-muslimischen Dialog betreffen. Schon die Islam-Debatte, die von dem neben Söder anderen wichtigsten Christ-Sozialen, Horst Seehofer, losgetreten worden war, kann ihm nicht gepasst haben. Schon vor Wochen hatte er auch in einem Interview zurückgewiesen, die Union sei eine konservative Partei. Sie sei in erster Linie christlich. Und das sei eben nicht mit konservativ gleichzusetzen. Sowohl Seehofers Islam-Äußerung wie auch Söders Vorstoß in Bayern sind aus seiner Sicht aber genau als Akzente dieses konservativen Flügels der Partei zu verstehen. Entsprechend fiel denn nun auch seine Stellungnahme zu Kreuzen in öffentlichen Gebäuden aus: „Wir sind in Nordrhein-Westfalen mit der Präsenz von Religion im öffentlichen Raum zufrieden“, stellte Laschet im Interview mit der Katholischen Nachrichtenagentur Anfang der Woche fest. „Bei uns gibt es hier keinen Handlungsbedarf.“ Auch wies er zurück, der bayerische Vorstoß könne dabei helfen, konservative Stammwähler für die Union zurückgewinnen. Die Frage „Kann das Kreuz helfen, Kreuzchen bei der AfD zu verhindern?“ verneinte er. Die Partei bekämpfe man am besten, indem man Probleme löst. Und mit Blick auf den kommenden Katholikentag in Münster stellte er fest: „Dass im katholisch geprägten Münster die AfD bei der Bundestagswahl den niedrigsten Wert in Deutschland hatte, zeigt, dass Hetze gegen andere Religionen Christen abschreckt, Rechts zu wählen.“ Freilich markiert diese Position eben nur eine Seite innerhalb der Union. Für die andere steht etwa Bundeslandwirtschaftsministerin Julia Klöckner. Die Pfälzerin hatte am Wochenende gegenüber der „Bild am Sonntag“ für Kreuze im öffentlichen Raum plädiert. Es wird spannend bleiben, welche Seite sich parteintern mit ihrer Sichtweise auf das „C“ und dessen politischen Bedeutung durchsetzen wird.
Freilich, unabhängig vom Meinungsbild in der Politik, das letzte Wort werden letztlich die Gerichte haben. Bundespräsident Steinmeier hatte in seiner Stellungnahme auch auf das sogenannte Kruzifix-Urteil von 1995 hingewiesen. Damals sei festgestellt worden, dass das Kreuz in erster Linie als religiöses Symbol zu verstehen sei. Doch es gibt juristische Stimmen, die das anders sehen. So stellte der ehemalige Bundesverfassungsrichter Udi Di Fabio in einem Beitrag für die „Zeit“ fest, dass Kreuze in Behörden nicht dem Grundgesetz widersprechen würden. Der Bonner Jura-Professor, selbst auch bekennender Katholik, führte aus, das der Vorstoß der bayerischen Staatsregierung nicht als Versuch einer religiösen Indoktrination zu verstehen sei. Di Fabio verwies auch auf das Urteil des Europäischen Gerichtshofes für Menschenrechte aus dem März 2011 - Es stellt gewissermaßen die Gegenposition zum deutschen Kruzifix-Urteil dar.
Die Straßburger Richter hatten damals in ihrem Urteil festgestellt, dass eine vom Staat verhängte Pflicht, Kreuze in öffentlichen Räumen und Behörden aufzuhängen, auch mit dem Charakter eines säkularen Staates vereinbar sei. Man wird sehen, wie lange es nun dauern, bis auch über den bayerischen Fall Richter ein Urteil werden fällen müssen.
Siehe auch die Seiten 6 und 21