Historische Aufarbeitung ist zweifellos wichtig. Allerdings müsste man dringend diskutieren, wie vernünftige Aufarbeitung aussieht. In jüngerer Zeit hat sich unter dem Einfluss US-amerikanischer soziologischer Theorien wie der „critical race theory“ ein Ansatz herausgebildet, der darin besteht, Protagonisten der Vergangenheit ohne jede Ambiguitätstoleranz nach heutigen Maßstäben in „gut“ und „böse“ einzuteilen. Die vorgegebene Trennlinie dieser Lesart ist schwarz-weiß: Böse weiße Europäer haben nichtweiße Völker durchweg ausgebeutet und unterdrückt. So kann nur denken, wer den amerikanischen Sklavenhandel und Rassentrennung vor Augen hat, und diese einfach auf den Rest der Welt überträgt.
Beunruhigender Aspekt unhistorischen Bewusstseins
Große Teile der Geschichte fallen damit durchs Raster – sowohl das lange unter muslimischer Bedrohung ächzende Europa als auch die Beteiligung von Arabern und schwarzafrikanischen Herrschern ausgerechnet am Sklavenhandel, jenem Verbrechen, das gern ausschließlich „den Weißen“ angelastet wird. Das ficht jene, die Geschichte als epischen Rassenkampf verstehen wollen, jedoch nicht an – es ist, nebenbei bemerkt, der beunruhigendste Aspekt dieses unhistorischen Bewusstseins, dass im Namen des Antirassismus rassistische Modelle mit marxistischer Theorie verknüpft werden. „Rassisches“ und Sozialistisches sollten unserer Erfahrung nach nicht zusammentreffen.
Auch Fälle, die ins Schema zu passen scheinen, lösen sich immer wieder in Luft auf: Die Weltgeschichte rächt sich vorzugsweise mit Treppenwitzen. Jüngstes Beispiel sind die Benin-Bronzen, deren Restituierung nun geregelt ist. Das Gerangel um die Kunstwerke nahm zwischenzeitlich absurd-komische Züge an. Zum einen hatte man das Material für die Bronzen den Europäern abgekauft; bezahlt ausgerechnet mit Sklaven. Als hypermoralisches Sinnbild europäischen Unrechts gegenüber Schwarzen taugten sie damit nicht mehr. Dass jene Metallspangen Forschern zufolge zum Großteil auch noch aus deutschen Gießereien stammen sollen – womit Berlin als Standort nicht mehr gar so verbrecherisch anmutet –, setzt dem Ganzen die Krone auf.
Hoffnungslos postkolonial-chauvinistisches Mindset
Die Lehre könnte sein, dass man historische Ungerechtigkeiten besser ohne moralischen Zeigefinger beheben sollte, zumal die Heuchelei in dieser Angelegenheit den rechtschaffenen Anspruch Lügen straft: Würde jemand auf die Idee kommen, dass etwa Erben von Holocaustopfern nicht dazu in der Lage seien, über ihnen zustehendes Eigentum verantwortlich zu verfügen? In kolonialer Manier traut man dies dem Schwarzen indes nicht zu: Um zu verhindern, dass die Werke letztlich verkauft würden und in Privatsammlungen verschwänden, wollte man sicherstellen, dass sie nicht an die eigentlichen Erben, die Königsfamilie von Benin, ja, die ehemaligen Sklavenhalter, zurückgegeben werden würden, sondern an die nigerianische Museums- und Denkmalsbehörde.
Im Grunde ziemlich frech, was der nigerianische Staatspräsident nun mit gleicher Münze zurückzahlte, indem er die Bronzen nach vollzogenem Deal dem Oberhaupt der Königsfamilie übereignete. Ein gefundenes Fressen für eingängige Schlagzeilen. So machte zum Beispiel die „Süddeutsche Zeitung“ mit der der Wendung „Bronzen für Bonzen“ deutlich, dass ihre Wertschätzung für Afrikaner da endet, wo das Bewusstsein für Klassenkampf beginnt. Von Nigerianern zu erwarten, dass sie sich grüner Missachtung von Privatbesitz beugen, ist jedoch letztlich Zeugnis dessen, was Claudia Roth und Annalena Baerbock aufarbeiten wollten: Eines hoffnungslos postkolonial-chauvinistischen Mindsets.
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