Jakarta

Südasien: Die Islamisten sind auf dem Vormarsch

Schon vorher war die Situation für Christen und Angehörige religiöser Minderheiten in südostasiatischen Staaten schwieriger geworden. Die Pandemie hat dies nun verstärkt. Eine Übersicht.
Proteste in Bangladesch
Foto: Suvra Kanti Das (ZUMA Wire) | In Bangladesch mobilisieren Islamisten die Öffentlichkeit: Wie hier bei einer Demonstration der Partei Islami Andolan Bangaldesh im Oktober letzten Jahres.

Die Meldungen häufen sich, doch sie finden wenig Beachtung. In großen Teilen Süd- und Südostasiens wird die Corona-Krise von religiösen Fanatikern ausgenutzt, um gegen Minderheiten zu hetzen. Offensichtlich finden die durch die Pandemie ausgelösten gesellschaftlichen Spannungen in der Repression gegen Minoritäten ein Ventil. Das betrifft vor allem die mehrheitlich islamischen Staaten der Region, aber auch das hinduistische Indien. Opfer sind überwiegend Christen. Dazu kommen Hindus und Muslime dort, wo sie in der Minderheit sind. In Indonesien, dem bevölkerungsreichsten islamischen Land der Welt und lange das Musterbeispiel für einen toleranten, aufgeklärten Islam, gewinnen die radikalen Kräfte weiter an Zulauf.

Mehr Anzeigen wegen Blasphemie während der Pandemie

Eine Untersuchung der Stiftung für Rechtshilfe (YLBHI) dokumentiert, dass die Anzeigen wegen Blasphemie nach dem Bekanntwerden des ersten Corona-Falls vom 2. März deutlich angestiegen sind. Die Bandbreite reicht von Klagen gegen die Abbildung eines Hundes auf der Verpackung von Essensspenden bis zur angeblichen Massenkonversion muslimischer Kinder. Das Blasphemiegesetz bestand lange nur auf dem Papier, kommt aber schon seit Jahren immer mehr zur Anwendung. Prominentestes Opfer war der Gouverneur von Jakarta, Basuki Tjahaja Purnama, genannt Ahok, ein evangelischer Christ mit chinesischen Wurzeln. Die erfolgreiche Kampagne gegen seine Wiederwahl 2017 reduzierte sich auf den Slogan: „Muslime wählen keinen Christen“. Damit nicht genug, wurde Ahok auch noch zu zwei Jahren Gefängnis wegen Blasphemie verurteilt. Er hatte den Radikalen widersprochen und gesagt, der Koran verbiete es Muslimen nicht, einen Christen zu wählen. Einer der Wortführer der Kampagne gegen Ahok war der heutige Vizepräsident Ma'ruf Amin.

Ähnlich ist die Situation in Pakistan, dessen Ministerpräsident Imran Khan den Anspruch erhebt, einen idealen Muslimstaat nach dem Vorbild von Mohammeds erster Gemeinschaft in Medina zu errichten. Für Nicht-Muslime erweist sich dieses Gemeinwesen als wenig ideal. Bekannt ist Pakistan vor allem durch seine willkürliche Anwendung des Blasphemie-Gesetzes.

Neben der bekannten Katholikin Asia Bibi, die 2010 wegen angeblicher Gotteslästerung zum Tode verurteilt worden war, acht Jahre später vom Obersten Gerichtshof freigesprochen wurde und inzwischen in Kanada lebt, dokumentiert der Fall des jungen christlichen Buchhändler Imran aus Faisalabad die ganze Willkür. Als der Buchhändler Altpapier verbrannte, beschuldigte ihn ein Nachbar, auch Seiten des Koran dem Feuer übergeben zu haben. Damit habe er Mohammed beleidigt und entehrt. Die umliegenden Moscheen verbreiteten das Gerücht ohne weitere Prüfung per Lautsprecher, woraufhin 400 Fanatiker zum Haus des Buchhändlers zogen und ihn zusammenschlugen. Anschließend wurde er verhaftet und zu lebenslanger Haft sowie einer Geldstrafe von umgerechnet 800 Euro verurteilt. Nach über zehn Jahren Haft wurde das Urteil im vergangenen Jahr von obersten Gericht aufgehoben, was wiederum heftige Proteste der Fanatiker zur Folge hatte. „Wir müssen weiterhin auf allen Ebenen kämpfen, um dieses ungerechte Gesetz der Gotteslästerung zu ändern. Dieses Gesetz wurde zu lange missbraucht und Christen sind oft unschuldige Opfer!“, so der Anwalt Khalil Tahir Sandhu.

Blasphemie-Gesetz macht auch vor Muslimen nicht Halt

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Jüngstes Opfer ist der 37-jährigen Textilarbeiter Asif Pervaiz, der im September zum Tod durch den Strang verurteilt wurde. Er soll blasphemische Kurznachrichten verschickt haben, behauptet sein Vorgesetzter. Bevor das Urteil vollstreckt werden soll, muss er noch drei Jahre Haft wegen „Missbrauchs des Telefons“ absitzen. Selbst vor Muslimen macht das Blasphemie-Gesetz nicht Halt. Dem Universitätsprofessor Junait H. wurde vorgeworfen, den Propheten Mohammed auf Facebook beleidigt und antiislamische Vorstellungen verbreitet zu haben. Dafür wurde er vor einem Jahr zum Tode verurteilt. Er selbst weist die Anschuldigungen entschieden zurück und beklagt eine Intrige von akademischen Rivalen.

Noch militanter geht es in Bangladesch zu, einem Land mit gut 90 Prozent Muslimen. Radikale Imame führen seit Jahren Hasspredigten gegen religiöse Minderheiten, Frauen und säkulare Bewegungen. Pater Anthony Sen, Sprecher der Kommission für Frieden und Gerechtigkeit des katholischen Bistums Dinajpur, nennt die Konsequenzen beim Namen: „Wegen dieser Rhetorik nimmt die religiös motivierte Gewalt gegen Frauen und Minderheiten zu“. Tatsächlich belassen es die Anhänger der Fanatiker nicht bei Worten. Hinduistische Tempel und christliche Kirchen sind ebenso Ziel der Angriffe wie Frauenorganisationen, liberale Blogger oder Homosexuelle. Menschenrechtsorganisationen zählen mehr als 50 Tote durch die religiös motivierte Gewalt seit 2013. Die rhetorische Militanz hat inzwischen die staatlichen Behörden auf den Plan gerufen. Antiterror-Einheiten der Polizei wollen die religiösen Versammlungen der Fanatiker – Waz Mahfils genannt – beobachten und gegen radikale Prediger vorgehen. Damit sollen die schlimmsten Hetzreden und Aufrufe zur Gewalt unterbunden werden.

Religiöser Fanatismus auch in Indien auf dem Vormarsch

Der religiöse Fanatismus ist auch in Indien auf dem Vormarsch und erhält durch die Corona-Krise weitere Nahrung. Laut der ökumenisch-christlichen Organisation „Persecution Relief“ (Hilfe bei Verfolgung) haben Hassverbrechen gegen Christen während des Corona-Lockdown um mehr als 40 Prozent zugenommen. Darunter seien fünf Vergewaltigungen und sechs Morde. Auch Muslime werden vermehrt Opfer von Übergriffen. Gleichzeitig betont die Organisation, die dokumentierten Fälle stellten nur einen Bruchteil der tatsächlichen Gewalt gegen Christen dar. Der Gründer von „Persecution Relief“, Shibu Thomas, findet drastische Worte für die Entwicklung: „Die bösartige Grausamkeit dieser Verbrechen enthüllt die verdorbene Mentalität und Haltung der religiösen Extremisten in dieser Zeit.“ Hintergrund der Entwicklung ist die Politik der Hindu Nationalpartei BJP, die seit 2014 mit Narendra Modi den Ministerpräsidenten stellt.

Während die buddhistische Minderheit als Teil der eigenen Kultur respektiert wird, gelten Christen und Muslime als „unerwünschte Fremde“. Besonders betroffen von der Repression sind Konvertiten. Vor allem für die niedrigen Kasten, die Dalit (Unberührbare) sowie die Tribals ist der Übertritt zum Christentum häufig mit einem sozialen Aufstieg verbunden, der in der starren Hindu-Hierarchie nicht möglich wäre. Die Fanatiker reagieren auf die Entwicklung mit der Kampagne „Ghar Wapsi“ (Zurück zu den Wurzeln). Damit sollen die Konvertiten genötigt werden, dem neuen Glauben abzuschwören und zum Hinduismus zurückzukehren. Sind sie dazu nicht bereit, werden sie häufig zur Zielscheibe der Gewalt.

Erwähnt werden muss zudem, dass im mehrheitlich buddhistischen Myanmar der muslimischen Minderheiten der Rohingyas die Bürgerrechte entzogen wurden und Hunderttausende ins benachbarte Bangladesch geflohen sind.

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Klemens Ludwig

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