Es ist vermutlich kaum mehr als eine Legende. Wenn auch eine, die immerhin so erhellend ist, dass sie es verdient hätte, wahr zu sein. Auf die Frage, was er täte, wenn ihm die Verwaltung des Landes anvertraut wäre, soll der chinesische Philosoph Konfuzius (551–479 v. Chr.) geantwortet haben: „Ich würde den Sprachgebrauch verbessern.“ Begründend soll Konfuzius alsdann ausgeführt haben: „Wenn die Worte nicht stimmen, dann ist das, was gesagt wird, nicht das Gemeinte. Wenn das, was gesagt wird, nicht das Gemeinte ist, dann gedeihen die Werke nicht. Gedeihen die Werke nicht, so verderben die Sitten und die Künste. Verderben die Sitten und die Künste, so trifft die Justiz nicht das Rechte. Trifft die Justiz nicht das Rechte, so weiß das Volk nicht, wohin Hand und Fuß setzen. Daher achte man darauf, dass die Worte stimmen. Das ist das Wichtigste von allem.“
In der Biopolitik wird das „Wichtigste von allem“ oft mit Füßen getreten. Und das nicht erst, seit Abtreibungsbefürworter in Deutschland versuchen, sich des im Strafgesetzbuch verankerten Werbeverbots für Abtreibung (§ 219a StGB) zu entledigen. Im Jahr 2006 untersuchten Wissenschaftler des „Genetics and Public Policy Center“ mit Sitz in Washington D.C., ob sich die Zustimmung zum Klonen von Menschen durch die Änderung des Sprachgebrauchs steigern lasse. Für ihre Studie befragten Kathy Hudson und ihre Kollegen ganze 2 000 Personen. Die Hälfte von ihnen fragten die Wissenschaftler, ob sie dafür seien, dass Forscher menschliche Embryonen klonten, um aus ihnen embryonale Stammzellen zu gewinnen. Bei der Gewinnung der Stammzellen wird der Embryo zerstört. Bei der anderen Hälfte der Befragten verwandten die Forscher anstelle des Begriffs „Klonens“ den synonymen Fachterminus „somatischer Zellkern-Transfer“. Und siehe da: Die Zustimmung zum Klonen menschlicher Embryonen mit dem Ziel, aus ihnen embryonale Stammzellen zu gewinnen, schnellte von 29 um 17 auf 46 Prozent in die Höhe.
Damit nicht genug: Weil der „somatische Zellkern-Transfers“ auch zum Reproduktiven Klonen verwendet werden kann, befragten Hudson und ihre Kollegen die Studienteilnehmer auch nach deren diesbezüglichen Meinungen. Dazu muss man wissen: Beim Reproduktiven Klonen würde der geklonte Embryo nicht zum Zweck der Stammzellgewinnung getötet, sondern – mit dem Ziel, ihn auszutragen und zu gebären – nach seiner Erzeugung in die Gebärmutter einer Frau transferiert. Auch hier stellten die Wissenschaftler fest: Nachdem eine der beiden Gruppen danach gefragt worden war, ob sie die Erzeugung von Babys statt des Klonens mittels des „somatischen Zellkern-Transfers“ befürworteten, stieg auch hier die Zustimmung von zehn um 14 auf 24 Prozent.
„Wer frühzeitig die dominanten Begriffe prägt, der erringt in der Regel die Herrschaft über den biopolitischen Diskurs und hat gute Chancen, am Ende die Auseinandersetzung zu gewinnen beziehungsweise seine Ziele zu erreichen“, sagt der Heidelberger Medizinethiker Axel W. Bauer im Gespräch mit dieser Zeitung (siehe Interview auf Seite 3).
Manchmal funktioniert das auch im Nachhinein. „Wer in diesen Tagen über den § 219a (StGB) schreibt, bekommt umgehend Post“, verriet kürzlich der Chefreporter der Tageszeitung „Die Welt“, Robin Alexander. „Per Twitter, Facebook, Mail oder auf Papier wird dem Reporter fast gleichlautend erklärt, doch bitte nicht mehr über ein ,Werbeverbot für Abtreibungen zu schreiben‘, sondern stattdessen über das ,Informationsverbot für Abtreibungen‘.“ Ganz offen werde, so Alexander weiter, argumentiert, dass dieser Begriff „das bessere ,Fraiming‘“ sei. „Dieser Begriff aus der Medienwirkungsforschung meint: Die Fakten sollen in einen anderen Bedeutungsrahmen gestellt werden. Die Leser würden mit Werbung etwas Manipulativ-Negatives assoziieren, mit Information hingegen etwas Positiv-Aufklärerisches.“
In der Tat: Der „linguistic turn“ ist gewissermaßen so etwas wie das Markenzeichen der „Kultur des Todes“ (Johannes Paul II.), die wie jede andere Subkultur auch ihre eigene Sprache gebiert. So wird in der Sprache der „Kultur des Todes“ etwa der „Suizid“ – eine Handlung, die meist in kaum vorstellbarer Verzweiflung verübt wird – zum „Freitod“ stilisiert und die „Tötung auf Verlangen“ als „Sterbehilfe“ verniedlicht. Statt Abtreibung korrekt als „vorgeburtliche Kindstötung“ zu bezeichnen, was sie dem Wesen nach ist, wird vom „Schwangerschaftsabbruch“ gesprochen, geradeso als existiere das Kind, das bei diesem Vorgang sein Leben verliert, überhaupt nicht.
Mehr noch: Vom „Schwangerschaftsabbruch“ reden die Protagonisten der „Kultur des Todes“ heute nur, weil die Abtreibungslobby Anfang der 90er Jahre des letzten Jahrhunderts bei dem Versuch, den Begriff „Schwangerschaftsunterbrechung“ zu etablieren, Schiffbruch erlitt. Selbst vehemente Abtreibungsbefürworter mussten damals einsehen, dass die Rede von einer „Schwangerschaftsunterbrechung“ zwingend die Möglichkeit impliziert, dass die Schwangere die „unterbrochene“ Schwangerschaft auch wieder fortsetzen kann. Was jedoch jenseits des Menschenmöglichen liegt. Denn mit der Abtreibung, die für das ungeborene Kind in fast allen Fällen tödlich endet, wird auch die Schwangerschaft der Mutter unwiderruflich beendet. Allenfalls kann eine Frau, die ihr Kind abtreiben ließ – nach Zeugung eines weiteren Kindes – erneut schwanger werden.
Auch wenn die Sprachschöpfer hier einmal baden gingen, meist erweisen sie sich als überaus potent und zeugen Euphemismen am laufenden Band. So wird etwa im angelsächsischen Sprachraum die Selektion im Labor erzeugter Kinder aufgrund ihres Geschlechts als „social sexing“ verharmlost und die Auswahl eines Embryos aus einem Dutzend anderer, die Reproduktionsmediziner nach morphologischen Gesichtspunkten vornehmen, als „(elektiv) single embryo transfer“ gepriesen.
Auch der Embryo selbst ist längst ins Visier der Sprachkünstler geraten. Als eine vergiftete Frucht ihrer Bemühungen, mit Worten eine „zweite Wirklichkeit“ zu erschaffen, darf die Rede von vermeintlich „überzähligen Embryonen“ gelten, die bei künstlichen Befruchtungen angeblich „anfallen“. Tatsächlich ist dies jedoch unzutreffend. Denn Embryonen fallen nicht einfach an, sondern werden – wie dies bei der künstlichen Befruchtung durch das gezielte Zusammenbringen von Ei und Spermium nun einmal geschieht – von Reproduktionsmedizinern absichtsvoll erzeugt. Daher gibt es auch keine „überzähligen“ Embryonen, die in angelsächsischen Ländern oft auch der Forschung „gespendet“ werden. Weil mit der Bezeichnung „überzählig“ eine Abwertung und Verdinglichung einhergeht, sprechen Lebensrechtler bevorzugt von „verwaisten Embryonen“. Auch das ist freilich Sprachpolitik. Denn Voll- oder Halbwaisen im tatsächlichen Sinne sind solche Embryonen nur dann, wenn die genetischen Eltern verstorben sind, was selten vorkommt. Viel häufiger verweigern die genetischen Eltern die Übernahme der sozialen Elternschaft, meist weil sie ihre Familienplanung inzwischen abgeschlossen oder sich getrennt haben.
Noch dramatischer als die Rede von „überzähligen Embryonen“ ist die Bezeichnung früher Embryonen als „Prä-Embryonen“. Als solche werden häufig jene Embryonen bezeichnet, die noch nicht in den Uterus einer Frau transferiert wurden. „Nützlich ist der Begriff ,Präembryo‘ auf der politischen Bühne – dort wo die Entscheidungen fallen, ob man Versuche an frühen Embryonen (nunmehr als Präembryonen bezeichnet) gestatten soll – oder auch in den engen vier Wänden einer Arztpraxis, wo er überaus handlich ist, um die moralischen Bedenken zu zerstreuen, die eine IVF-Patientin möglicherweise hegen könnte“, gesteht der US-amerikanische Molekularbiologe Lee M. Silver. Obwohl der inzwischen emeritierte Professor, der an der Elite-Universität Princeton im US-Bundesstaat New Jersey lehrte, die gesamte Palette genetischer Manipulationen beim Menschen befürwortet, einschließlich des Klonens und der Keimbahnmanipulation, besitzt er offenbar eine Abneigung gegen den sprachpolitischen Dreikampf aus Tricksen, Tarnen und Täuschen, in dem sich Politiker, Wissenschaftsfunktionäre und Forscher mit großer Regelmäßigkeit üben und gegenseitig zu übertreffen suchen. Denn tatsächlich gebe es bei Menschen „keinen speziellen Abschnitt im Entwicklungsprozess, der wichtiger ist als ein anderer“ und der es daher rechtfertigen würde, von Präembryonen zu sprechen. „Sie sind alle Teil eines kontinuierlichen Vorgangs“, weiß Silver. Anders formuliert. Der Mensch entwickelt sich nicht „zum“ Menschen, sondern „als“ Mensch.
Getarnt und getäuscht wird auch in offiziellen Dokumenten supranationaler Institutionen und Einrichtungen wie den Vereinten Nationen, der Europäischen Union oder des Europarates. Jahrzehntelang wurden in deren internationalen Dokumenten Begriffe wie „sexuelle Rechte“ und „reproduktive Gesundheit“ als Chiffren für die Forderung nach der uneingeschränkten Zulassung vorgeburtlicher Kindstötungen gebraucht. Weil das jedoch längst kein Geheimnis mehr ist, wird inzwischen auch ganz offen die Auffassung vertreten, „dass zu den sexuellen und reproduktiven Rechten der Zugang zu legalen und sicheren Abtreibungsmöglichkeiten, zu zuverlässiger, sicherer und erschwinglicher Verhütung sowie zu umfassender Sexual- und Beziehungserziehung gehören“ (DT v. 8.2.2017).
Interessant dürfte es hierzulande wieder werden, wenn Deutschland – wie von Bundesärztepräsident Frank Ulrich Montgomery unlängst gefordert –, die sogenannte „Widerspruchslösung“ einführte. Denn wenn jeder als „Organspender“ gilt, der dem nicht rechtzeitig ausdrücklich widersprochen hat, kann von einer „Spende“ eigentlich keine Rede mehr sein. Von einer „Organsteuer“, die am Lebensende eingetrieben würde, wird jedoch vermutlich auf niemand sprechen wollen. Gehört es doch zum Wesen von Steuern, dass sich von ihnen niemand selbst befreien kann. Man darf also gespannt sein, welche Kreativität die Sprachpolitiker hier noch entfalten werden.