Spiritualität als Zufluchtsort

Die Religiosität bei jungen Muslimen im Nahen Osten verändert sich. Das belegt eine aktuelle Studie der Ebert-Stiftung. Von Michaela Koller
Zäher Widerstand in Bahrain
Foto: Foto:dpa | In Bahrain ist der Anteil religiöser junger Muslime am größten.

Die Religiosität bei jungen Muslimen im Nahen Osten verändert sich. Das belegt eine aktuelle Studie der Ebert-Stiftung

Junge Menschen im Nahen Osten und in Nordafrika erfahren ihre Lebenssituation als deutlich unsicherer im Vergleich zu ihren Eltern. Viele drängen Gewalt, Krieg und Armut, die sie umgeben, in weite Ferne, in die Golfstaaten, nach Europa und Nordamerika. Die Religion nimmt an Bedeutung markant zu, aber nicht als kollektive Sozialutopie, der die Islamisten anhängen. Zu diesen Ergebnissen kommt die neue Studie „Zwischen Ungewissheit und Zuversicht“ der SPD-nahen Friedrich-Ebert-Stiftung. „Spiritualität wird zum Fluchtort und zur Hoffnungsgeberin in einer Welt, die kulturell, politisch, ökonomisch und sozial durcheinandergeraten ist und wo das Vertrauen in die herrschenden Systeme nicht sehr hoch ist“, schreibt darin der Leiter des Marburger Centrums für Nah- und Mitteloststudien, Professor Rachid Ouaissa.

Diese schwierige islamisch-mediterrane Welt im Umbruch möchten sieben Prozent der jungen Menschen verlassen. In der Studie wird das Ergebnis, das den konkreten Entschluss vorwiegend junger Männer widerspiegelt, als „überraschend gering“ eingestuft. Der hohe Anteil männlicher Befragter an der Gesamtzahl Migrationswilliger erklären die Wissenschaftler Jörg Gertel und Ann-Christin Wagner mit „der generell beschränkten Bewegungsfreiheit der Frauen“ sowie mit der Flexibilität in jungen Jahren unter 25 vor der Familiengründung. Wirtschaftlich besser Gestellte sind es, die eher zur Auswanderung bereit sind. Mehr als die Hälfte der Befragten dagegen schließen Migration für sich kategorisch aus. Historische, sprachliche oder konkret verwandtschaftliche Verbindungen nach Europa spielen eine große Rolle bei der Mobilität. Die jungen Menschen wünschen sich sehnlichst Recht, Ordnung und Sicherheit, einen angemessenen Lebensstandard und adäquate Arbeitsplätze sowie vertrauensvolle Partner- und Familienbeziehungen. Religion diene in diesem Zusammenhang nicht mehr politischen oder ideologischen Zwecken, sondern dem individuellen Wohlgefühl und der Selbstdisziplinierung, wird in der Studie ausgeführt.

Die Bedeutung der Religion zeige sich in sehr traditionellen Gesellschaften wie in Bahrain, wo sich 87 Prozent der Jugendlichen als „sehr religiös“ einstuften, also der höchsten Kategorie zuordneten, gefolgt vom Jemen mit 54 Prozent sehr religiösen jungen Menschen nach Eigendefinition. Dagegen sehen sich relative Mehrheiten der Jungen in Tunesien (43 Prozent), im Libanon (32 Prozent) sowie die syrischen Flüchtlinge dortselbst (36 Prozent) nur als „etwas religiös“. Marokko, Ägypten, Jordanien und Palästina liegen im Mittelfeld mit „stärker religiösen“ Mehrheiten.

Mit höherer Bildung und sozialer Stellung des Vaters nehme die Religiosität zu. In Marokko, das seit 2011 von der islamistischen Partei PJD regiert wird, ist der Anteil der geringer Religiösen im Vergleich zu vor fünf Jahren gewachsen. Mit Blick darauf und auf die allgemeine Individualisierung der Religion hält Nahost-Experte Rachid Ouaissa es für möglich, dass wir vielleicht gerade den Beginn eines laizistischen Zeitalters in der arabischen Welt erleben. Die Ergebnisse der Studie ließen sich für ihn entsprechend deuten.

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