Jahrelang war Wladimir Putin willkommener Teilnehmer in der Runde, doch diesmal beriet man mit seinem Kriegsgegner Wolodymyr Selenskyj. Anders als von der Kreml-Propaganda verbreitet, hat der "globale Westen" nicht versucht, Russland zu isolieren oder zu zerstören, sondern in eine auf Dialog und Handel gebürstete Weltordnung zu integrieren: 1998 erweiterte sich die G7-Gruppe mit der Aufnahme Russlands zur G8.
Reisediplomatie wirkt
Erst nach der völkerrechtswidrigen Annexion der Krim 2014 schloss man Russland aus und kehrte zum alten Format zurück. Jetzt lauschten die Spitzen Japans, Frankreichs, Deutschlands, Italiens, Kanadas, Großbritanniens, der USA und der EU in Hiroshima dem ukrainischen Präsidenten. Nicht, um die Ukraine anstelle Russlands in diesen Kreis aufzunehmen, sondern weil man nicht ohne die Ukraine über die Ukraine verhandeln werde, wie EU-Kommissionschefin Ursula von der Leyen mehrfach versicherte. Putin hat in dieser Runde seit dem Beginn seiner Invasion vor 15 Monaten jedes Vertrauen verspielt und wird als Gegner gesehen.
Selenskyj, der im ersten Kriegsjahr fast nur über Video Außenpolitik betrieb und um Unterstützung warb, darf seine neue Reisediplomatie als Erfolg verbuchen: Seine Auftritte zunächst in Rom, Berlin, Aachen, Paris und London, dann als kurzfristig eingeflogener Überraschungsgast bei der Arabischen Liga im saudischen Dschidda und zuletzt in Japan beim G7-Treffen haben nicht nur diplomatische und finanzielle Früchte getragen, sondern auch militärische. "Es wird mehr Waffen für unsere Krieger geben", so Selenskyj, der angesichts des russischen Raketenterrors und der totalen Zerstörung von Bahmut dringend Erfolge braucht. "Jedes Mal gibt es mehr Ergebnisse für die Ukraine: mehr Flugabwehr, Artillerie, Panzertechnik, Munition, Ausbildung", bilanzierte der ukrainische Präsident seine Reisen.
Zehn Punkte
Neben den Flugabwehrsystemen, die Leben retten, ist die Zusage der Lieferung von F-16-Kampfjets am wichtigsten, damit die Ukraine die Kontrolle über ihren Luftraum zurückgewinnt. Die globale Unterstützung, der sich in Japan auch Indiens Premier Narendra Modi anschloss, ist für Selenskyj die Voraussetzung dafür, auf Verhandlungen auf Basis seines ukrainischen Friedensplans zu setzen. Dieser 10-Punkte-Plan sieht unter anderem den vollständigen Abzug der russischen Truppen, die Freilassung aller Gefangenen und Deportierten, die Wiederherstellung der territorialen Unversehrtheit der Ukraine, internationale Sicherheitsgarantien und die Untersuchung aller Kriegsverbrechen vor. Beim G7-Treffen schlug Selenskyj einen internationalen Friedensgipfel auf Basis des ukrainischen Plans vor. Es solle ein Gipfel jener werden, die nach 500 Kriegstagen "entschlossen sind, diesen Krieg zu beenden". Nicht minder wichtig wird der NATO-Gipfel Mitte Juli in Vilnius.
Moskau lehnt sich indes noch enger an Peking an. Der russische Ministerpräsident Michail Mischustin reiste in dieser Woche nach China, um die Handelsbeziehungen und damit die russische Abhängigkeit vom wirtschaftlich dominanten China zu vertiefen. Das chinesische Außenministerium, das auf die Kritik der G7 beleidigt reagiert hatte (siehe S.8), verurteilte "einseitige Sanktionen" des Westens gegen Russland, die nicht auf einem Mandat des UN-Sicherheitsrats beruhen. Zugleich versicherte Peking, Chinas Zusammenarbeit mit Russland richte sich nicht gegen andere Staaten.
Armenien will überleben
Auch im Kaukasus sieht Moskau dringenden Handlungsbedarf: Im Stich gelassen von seiner offiziellen Schutzmacht Russland sucht nun Armenien einen Deal mit dem Erzfeind Aserbaidschan, um irgendwie zu überleben. Baku zerstört systematisch armenisches Kulturerbe in Karabach (siehe S.30) und hungert die Armenier in der Enklave aus. Zudem drängt Aserbaidschan auf einen Korridor quer durch Armenien nach Nachitschewan. Armeniens Ministerpräsident Paschinjan ist tief enttäuscht von Moskau und droht, das von Russland geführte Militärbündnis OVKS zu verlassen.
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