"Andrà tutto bene" Es wird alles gut gehen. Und: "#iorestoacasa" - Ich bleibe zu Hause. Das sind die Slogans der Woche. "Andrà tutto bene" steht auf selbst gemalten Spruchbändern und Transparenten, die sich die Menschen unters Fenster oder an die Balkonbrüstung hängen. Und immer mehr Prominente aus Sport, Film und Showbusiness werben im Fernsehen mit dem Signet "#iorestaCasa" dafür, Haus und Wohnung nur noch zum Einkaufen, für einen Arztbesuch oder in dringenden Notfällen zu verlassen. Italien erstaunt die Welt. Undiszipliniert, nicht zu regieren, allem Staatlichen abhold - so meint man das Völkchen im Stiefelstaat zu kennen. Weit gefehlt. Eine unglaubliche Welle von bürgerlichen Tugenden, Solidarität, Disziplin und Humor durchzieht das Land, das für sich den bedrohlichen Umstand akzeptieren muss, dass Europa das Zentrum der Corona-Pandemie geworden ist und Italien da noch einmal die Rolle des Vorreiters einnimmt. Statt in Depression zu verfallen, stehen die Leute in den Mietskasernen an den Fenstern und auf den Balkonen und singen. Man hört Gitarren, Geigen und Trompeten, wer kein Instrument spielen kann, schlägt auf dem Kochtopf den Takt dazu. Und besonders feierlich wird es, wenn man in einem Innenhof oder einem engen Straßenzug die italienische Nationalhymne anstimmt.
Auch jetzt wurden Messen gefeiert
Was jetzt in Deutschland und Österreich geschieht, hat Italien vor zehn Tagen erlebt, als plötzlich Schulen und Museen, dann die Bars und Restaurants schlossen und schließlich ein Fortbewegen auf den Straßen nur noch mit selbstausgestellten Passierscheinen möglich war - und die müssen trifftige Gründe enthalten. Den Vordruck des Scheins kann man sich von der Homepage des Innenministeriums herunterladen, wer falsche Angaben über das Motiv seiner Ausfahrt macht, wird zurückgeschickt oder sogar mit einer Strafe belegt. Viele Süditaliener haben ihre Arbeitsplätze im Norden des Landes verlassen und sind zurück in ihre Heimatstadt gefahren. Seitdem diese Reisewelle von Norden nach Süden vorüber ist, sind die Bahnhöfe wie erstorben.
Auch wenn Italien wohl zum ersten Mal in seiner christlichen Zeit einen Sonntag ohne öffentliche Gottesdienste erlebt hat, wurden in dem Land Messen gefeiert. Der Papst selber sprach davon, als er von der Bibliothek des Apostolischen Palasts den vom Fernsehen übertragenen Angelus betete: "In diesem Augenblick", so Franziskus zu Beginn seiner Ansprache, "endet in Mailand die Messe, die der Erzbischof im Poliklinikum für die Kranken, die Ärzte, die Pfleger und die freiwilligen Helfer feiert." Aber wie es ist, in Zeiten der Corona-Pandemie: Auch dieser Gottesdienst fand ohne Gläubige statt, zu verfolgen allenfalls über Video-Stream im Internet. Dennoch lobte Franziskus diese Initiative und die vieler anderer Priester. "Mir kommt das Foto von vergangener Woche in den Sinn: Er", gemeint ist Mailands Erzbischof Mario Delpini, "alleine auf dem Dach des Doms, um zur Madonna zu beten. Ich möchte auch für die Priester danken, für die Kreativität der Priester. Viele Nachrichten erreichen mich aus der Lombardei über diese Kreativität. Es ist wahr, die Lombardei ist sehr betroffen. Priester denken sich tausend Sachen aus, um dem Volk nahe zu sein, damit das Volk sich nicht verlassen fühlt. Priester mit apostolischem Eifer, die verstanden haben, das man in Zeiten der Pandemie nicht den ,Don Abbondio machen darf. Euch Priestern vielen Dank." Don Abbondio ist der Priester in den "Verlobten" von Alessando Manzoni, der seine Kirche alleine lässt, in der Hoffnung, dass das Volk sich um sie kümmert.
Der Papst pilgert durch die leeren Straßen Roms
Am Sonntagnachmittag gab der Papst dann selber ein Beispiel für die von ihm genannte "Kreativität". Er pilgerte durch die leergefegten Straßen Roms. Um 16 Uhr fuhr er zur Marienbasilika Santa Maria Maggiore, um vor dem Gnadenbild der "Salus Populi Romani" für das Ende der Corona-Pandemie zu beten. Über die Via del Corso ging er dann zu Fuß zu der Kirche San Marcello al Corso, wo sich das wundertätige Kreuz befindet, das 1522 während der "Großen Pest" in Rom durch die Viertel der Stadt getragen wurde, damit die Seuche ende.
Die Kirche in Italien, allen voran der Papst, sucht nach Wegen, die Menschen zu begleiten. Die Pfarrkirchen sind offen, in manchen kann man wie bei den Supermärkten einzeln eintreten, wenn ein anderer das Gebäude verlässt, und hier und dort auch die Kommunion empfangen. Die meisten Bischöfe des Landes und manche Pfarrer haben ihre privaten Messen per Video-Streaming übertragen lassen.
Dass sich das Land auf längere Zeiträume der Not einrichtet, zeigt die Ankündigung der Präfektur des Päpstlichen Hauses vom Samstag, dass die Liturgien in der Karwoche und die Ostermesse mit dem Papst ohne Gläubige stattfinden und nur über die elektronischen Medien übertragen werden. Vatikansprecher Matteo Bruni relativierte diese Ankündigung am Sonntag: Man studiere noch die Art und Weise des Ablaufs und der Teilnahme an den Osterfeierlichkeiten, mit Blick auf die weitere Entwicklung der Epidemie würden die genaueren Modalitäten mitgeteilt, sobald sie festgelegt seien. Da wiederholt sich das, was man schon mit der Schließung aller Kirchen in Rom erlebt hat: Zunächst hatte sie Kardinalvikar Angelo De Donatis per Dekret vom vergangenen Donnerstag absperren lassen nach Absprache mit dem Papst, wie er in einem Schreiben vom Freitag erklärte , dann wurden alle Kirchen von Pfarreien und Missionszentren einen Tag später wieder aufgemacht, nochmals nach Rücksprache mit Franziskus, wie De Donatis in demselben Schreiben bestätigte.
Die Sterbenden bleiben einsam
Kirche und Vatikan suchen nach Wegen, um mit der völlig neuen Situation umzugehen. In Norditalien, vor allem in der Lombardei, wächst die Angst, dass das Gesundheitssystem, insbesondere die Intensivmedizin, unter der Belastung durch die Corona-Erkrankten zusammenbricht. Mailand hat den legendären Chef des Zivilschutzes zu Zeiten des Erdbebens in Aquila 2009, Guido Bertolaso, wieder in Dienst genommen. Seine erste Aufgabe: in den Messehallen der Stadt innerhalb weniger Tage ein medizinisches Versorgungszentrum mit fünfhundert Betten für eine intensivmedizinische Behandlung einzurichten. In Bergamo sterben täglich mehrere hundert Menschen. Ununterbrochen treffen auf den Friedhöfen die Leichenwagen ein, die Toten werden ohne Trauergäste beerdigt, die Requien finden irgendwann später statt. Auch die Sterbenden bleiben einsam, Angehörigen ist der Zutritt zu den Intensivstationen untersagt. In den letzten Augenblicken reicht man ihnen ein Handy oder Smartphone, um nochmals die Stimme der engsten Verwandten zu hören.
Die Kirche ist von diesem Ausnahmezustand genauso betroffen wie Gastronomie, Tourismusbranche oder Einzelhandel. Die päpstlichen Frühmessen in Santa Marta finden jetzt täglich auch am Sonntag statt und werden per Internet und Fernsehen übertragen. Dass aber eine rein virtuelle Pastoral nur eine Notlösung für befristete Zeit sein kann, wissen auch die kirchlichen Verantwortlichen. Nur ist ein Ende der Pandemie noch nicht in Sicht. Experten hoffen, dass in einem Monat ein Licht am Ende des Tunnels zu sehen sein wird. Bei den allermeisten Menschen in Italien, die den Zweiten Weltkrieg nicht erlebt haben, stellt sich das Gefühl an, dass das jetzt der "Weltkrieg" ihres Lebens ist, den sie nie mehr vergessen werden.
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