Amerikas Lebensschützer befinden sich derzeit in einer Art Hochstimmung: Als in der vergangenen Woche die ersten mündlichen Anhörungen zum strengen Abtreibungsgesetz des Bundesstaates Mississippi vor dem Obersten Gerichtshof, dem „Supreme Court“ begannen, fiel das Fazit der Beobachter durch die Bank einheitlich aus – und das auf beiden Seiten.
Neues Grundsatzurteil zum Greifen nah
Was vor wenigen Jahren noch als ferner Wunschtraum von Abtreibungsgegnern erschien, ist nun zum Greifen nah. Das umstrittene Grundsatzurteil „Roe vs. Wade“ aus dem Jahr 1973, auf das Amerikas äußerst liberale Abtreibungsgesetzgebung zurückgeht, steht vor seiner Revision.
Zwar wird ein Urteil erst für den Juni des kommenden Jahres erwartet. Bemerkenswert an den veröffentlichten Gesprächsprotokollen der Sitzungen ist allerdings, dass selbst diejenigen konservativer Richter, die im Vorfeld als „Wackelkandidaten“ galten, mit ihren Äußerungen durscheinen ließen, dass sie offen dafür sind, „Roe vs. Wade“ zu kippen. Insbesondere der Vorsitzende Richter, John Roberts jr., und der vom ehemaligen Präsidenten Donald Trump ernannte Brett Kavanaugh taten sich mit deutlichen Aussagen hervor. Eine gar nicht mal so knappe Entscheidung von sechs zu drei Stimmen für ein neues Grundsatzurteil gilt nun als nicht unwahrscheinlich.
Das plausibelste Szenario nach den ersten Anhörungen scheint zu sein, dass sich der „Supreme Court“ nicht mehr weiter als „Schiedsrichter“ im Gezänk zwischen Gegnern und Befürwortern von Abtreibung versteht – und die Entscheidungshoheit in die Hände der einzelnen Bundesstaaten legt. Es wäre wohl eine sehr vernünftige Lösung, die Parlamentsmehrheiten für oder gegen Abtreibung erfordert, und zudem in Einklang mit der Verfassung steht. Der Politisierung der Justiz, die in den letzten Jahren immer weiter fortgeschritten war, wäre damit ebenfalls Einhalt geboten.
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