Herr Professor Hochgeschwender, welche Bedeutung hat die Religion für die US-Politik?
Die Religion spielt eine gewisse Rolle, zusammen mit anderen Faktoren. Oft sind es ökonomische, zum Teil auch konkrete politische Probleme, die ausschlaggebend sind für die Wahlentscheidung der Bürger. Aber Religion spielt da immer mit hinein – weniger die Konfession selbst, sondern vielmehr das religiöse Milieu, in dem man sich bewegt.
Welche unterschiedlichen Milieus gibt es denn?
Es gibt zum einen ein religiös konservatives Milieu. Dazu gehören sehr gläubige, praktizierende Katholiken, aber auch Evangelikale oder Mormonen. Dann gibt es ein eher liberales religiöses Milieu, zu dem natürlich auch Katholiken gehören, und nicht zu vergessen ein stark säkulares Milieu.
Umgekehrt gefragt: Welche Bedeutung hat denn Politik für die religiösen Milieus? Stellen Sie eine zunehmende Politisierung fest?
Es hat eine starke Politisierung vor allem im evangelikalen Lager gegeben. Seit den 1970er Jahren setzte ein klarer Trend in Richtung der republikanischen Partei ein. Zwischen den Republikanern und Evangelikalen kam es dann auch immer wieder zu institutioneller Zusammenarbeit, man spricht von der sogenannten „christian coalition“. Ich habe jedoch den Eindruck, dass sich die enge Bindung Evangelikaler an die republikanische Partei allmählich auflöst. Allerdings stehen Evangelikale, wie auch konservative Katholiken, vor dem Problem, dass viele Demokraten für sie schlicht nicht wählbar sind.
Woran liegt das?
Das liegt daran, dass deren Positionen in Schlüsselfragen, den „key issues“, schlicht und ergreifend nicht akzeptabel sind. Dazu gehören beispielsweise das Thema Abtreibung oder die „Ehe für alle“.
Sollte es also in Zukunft wieder einmal einen katholischen US-Präsidenten geben, wäre er wohl eher Republikaner...
Nicht notwendigerweise. Denn wie die Gesellschaft als Ganzes ist auch der US-Katholizismus sehr gespalten. Ein großer Teil der liberalen Katholiken unterstützt die Demokraten, liegt allerdings mit der Kirche in vielen Dingen über Kreuz. Die Bruchlinien mit dem Episkopat sind doch sehr deutlich erkennbar. Konservative Katholiken haben sich inzwischen eher den Republikanern zugewandt.
Ob man als US-Katholik eher konservativ oder liberal ist, lässt sich dies auch demografisch erklären?
Ja, die Trennung verläuft auch entlang ethnischer und sozialer Milieus. Etwas stark generalisierend kann man sagen, Weiße mit College-Bildung in der Mittelklasse sind in der Regel eher liberal, während Hispanics und Schwarze tendenziell konservativ denken. Hinzu kommt die geografische Lage: Wenn man im Mittleren Westen wohnt, ist man tendenziell etwas konservativer, während man an der Ost- oder Westküste liberaler ist.
Nun ist ja eine Tendenz zu erkennen, dass der Bevölkerungsanteil von Schwarzen und Latinos in den USA weiter wächst. Was bedeutet das für die Ausrichtung der katholischen Kirche?
Die katholische Kirche muss sich vor allem den Anliegen der Hispanics öffnen. Hispanics sind zum Beispiel in Familienfragen eher konservativ. Es gibt ein ganz klar erkennbares Festhalten an „family values“. Auch in der Abtreibungsfrage sind sie weniger liberal als Teile des weißen Katholizismus. Es geht vor allem darum, auf die Mentalität der Hispanics und auf ihre Glaubenspraxis zuzugehen. Diese sind in ihrer Glaubensausübung engagierter und lebendiger als beispielsweise weiße Katholiken, sie pflegen einen offeneren Katholizismus.
Die amerikanische Kirche war lange stark durch den Primat der irischen Katholiken geprägt. Kommt es da nicht zu Konflikten?
In der Tat. Die amerikanische katholische Kirche hat sich schwer damit getan, diese Formen von Frömmigkeit zu integrieren. Irische Katholiken haben eine gewisse puritanische Tradition, sowohl was Frömmigkeit angeht, wie auch in ihrer Sexualmoral. So kannten Iren außer der St. Patricks-Parade keine Prozessionen, während diese im hispanischen Bereich eine große Rolle spielten. Hispanics haben gerne Gottesdienste in spanischer Sprache, während die Iren darauf bestehen, dass sie in Englisch abgehalten werden. Da wäre das Beibehalten des Latein vielleicht sinnvoller gewesen.
Lassen Sie uns noch einmal über das evangelikale Milieu sprechen: Dort sehen einige Donald Trump als eine Art gottgesandten Präsidenten. Ist das für Europäer nicht eine äußerst starke, ja sogar befremdliche Verquickung von Religion und Politik?
Sicher. Doch die ist nicht völlig neu. Bei der Wahl von George W. Bush beispielsweise habe ich im Bundesstaat Indiana in einer Lokalzeitung einen Leserbrief gelesen. Der Autor fragte darin, warum man überhaupt Wahlkampf machen würde, wo doch völlig klar sei, dass Bush der Kandidat Gottes sei. Diese Verquickung gibt es nicht erst seit Trump – und sie widerspricht auch nicht der amerikanischen Verfassung.
Das müssen Sie erläutern: Im ersten Zusatzartikel der amerikanischen Verfassung ist doch ausdrücklich von einer Trennung von Kirche und Staat die Rede.
Die Verfassung trennt Staat und Kirche, aber nicht Religion, Gesellschaft und Politik. Das geht ja gar nicht. Insofern hat man ein völlig falsches Verständnis, wenn man sagt, es dürfte keine religiöse Argumentation in die Politik eingebracht werden. Der Staat darf nur keine Staatskirche errichten. Das ist die Aussage des ersten Zusatzartikels.
Ein Motto wie „In God We Trust“, das sich auf US-Dollarscheinen findet, oder der Eid des Präsidenten auf die Bibel sind somit also von der Verfassung gedeckt?
Durchaus. Der Supreme Court hat zweifelsfrei geurteilt, dass religiöse Symbolik und Semantik mit der Verfassung in Einklang sind, solange sie keine spezifische Religion bevorzugen. Problematisch wurde es allerdings bei der Vereidigung George W. Bushs. Da rief ein Prediger die Dreieinigkeit an. Wenn in der offiziellen Amtseinführungsfeier des US-Präsidenten eine christliche Formel verwendet wird, ist das mit der Trennung von Staat und Kirche eigentlich nicht mehr vereinbar. Grundsätzlich jedoch muss man unterscheiden zwischen Formen der Staatsvergottung und religiöser Argumentation im politischen Feld.
Von überzeugten Säkularisten wird allerdings auch letztere kritisiert...
Sicher, in der Politik stellt sich immer die Frage nach dem Rationalitätsgehalt religiöser Argumente. Argumente müssen ja intersubjektiv vermittelbar sein. Wenn ich mich dann rein auf religiöse Elemente beziehe, habe ich ein Problem. Anhand des Glaubens und der Heiligen Schrift zu beweisen, warum nun ausgerechnet Trump der Kandidat Gottes sein sollte, stelle ich mir äußerst schwierig vor.
Nächste Woche stehen die Kongresswahlen an. Wie wichtig ist katholischen Wählern die Politik momentan überhaupt? Stichwort Missbrauchskrise – sind Katholiken nicht hauptsächlich mit ihren eigenen Problemen beschäftigt?
Beide Lager, Liberale und Konservative, sind von der Missbrauchskrise irritiert. Das ändert aber nichts daran, dass bestimmte Kernthemen im politischen Bereich für Katholiken, gerade für konservative, wichtig bleiben. Das sind eben die Abtreibungsfrage und die Frage der Homo-„Ehe“.
Glauben Sie, mit Brett Kavanaugh am Obersten Gericht wird das Grundsatzurteil zur Straffreiheit von Abtreibungen, „Roe vs. Wade“, aufgehoben?
Ich glaube nicht, dass „Roe vs. Wade“ gekippt wird. Wenn man Roe angreifen will, würde man das nicht direkt tun, sondern das Urteil aushebeln, auf dem Roe basiert, nämlich „Griswold vs. Connecticut“. Dieses legte 1965 ein Recht auf Privatsphäre fest, auf dem die absolute Fristenregelung in den ersten drei Monaten einer Schwangerschaft basiert. Die wahrscheinlichere Variante ist für mich jedoch, dass man Roe einfach enger auslegt. Man kann beispielsweise Pflichtberatungen einführen. Dagegen laufen Liberale ja auch Sturm. Oder vorschreiben, dass jede Mutter sich ein Bild des Fötus anschauen muss. Was ich damit sagen will: Es gibt Möglichkeiten unterhalb einer völligen Aufhebung.
Die Printausgabe der Tagespost vervollständigt aktuelle Nachrichten auf die-tagespost.de mit Hintergründen und Analysen. Kostenlos erhalten Sie die aktuelle Ausgabe