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Reiner Haseloff: „Verbindung zu Rom ist überlebenswichtig“

Sachsen-Anhalts Ministerpräsident Reiner Haseloff ist bekennender Katholik. Ein Gespräch über das Ost-West-Verhältnis, die Rolle der katholischen Laien und das C-Profil der CDU.
Reiner Haseloff ist der dienstälteste Ministerpräsident Deutschlands
Foto: IMAGO/Chris Emil Janssen (www.imago-images.de) | Er ist der dienstälteste Ministerpräsident Deutschlands: Reiner Haseloff. Seit 2011 steht der 69-Jährige an der Spitze der Landesregierung von Sachsen-Anhalt.

Herr Ministerpräsident, Deutschland ist jetzt ja fast schon so lange vereinigt wie es vorher geteilt war. Aber trotzdem stellt man doch immer noch fest, es gibt viele Unterschiede zwischen Ost und West. Wie sehen Sie da die aktuelle Lage?

Schaut man auf aktuelle Erhebungen, spiegelt sich die alte Trennlinie in den statistischen Parametern immer noch wider. Vor allem was die wirtschaftliche Struktur angeht – Arbeitsplätze, Unternehmensgröße, kein DAX-Unternehmen in den neuen Bundesländern. Der unterschiedliche Weg in mehr als 40 Jahren unter dem Dach von zwei grundverschiedenen Weltmächten, der ist in einer oder in zwei Generationen nicht zu nivellieren. Das wird viele Generationen dauern. Wir wissen aus der Bibel: Die Sünden der Väter gehen bis ins dritte oder vierte Geschlecht.

Dieses Bibelzitat haben die Leute vor 30 Jahren offenbar nicht im Kopf gehabt. Damals glaubte man doch, es ginge schneller. War man da zu optimistisch?

Wir müssen ja trotzdem sehen, dass die Lebensqualität stark angewachsen ist. Es wird sich objektiv keiner beklagen können. Die Durchschnittswerte liegen heute etwa um das Zweieinhalbfache über dem DDR-Niveau. Selbst Populisten leugnen diese Entwicklung nicht. Sie sagen nur: „Es könnte noch mehr sein, nämlich 100 Prozent West“. So eine schnelle Angleichung ist aber nicht zu leisten und auch die westdeutschen Regionen sind alles andere als homogen. Bestimmte historische Fakten, die nach dem Kriegsende geschaffen worden sind, wirken über einen langen Zeitraum. Wir haben zum Beispiel den Hauptteil aller Reparationszahlungen geleistet. Während die westlichen Alliierten daran interessiert waren, dass sich die Bundesrepublik gut entwickelt, haben wir diese Chance nicht gehabt.

Stichwort Populismus. Es gibt sehr gute Umfragewerte für die AfD in Ostdeutschland. Und, so scheinen zumindest manche Beobachter zu meinen, es sei eine latente Sympathie für Russland unter Ostdeutschen zu erkennen?

Die Ostdeutschen haben keine latente Sympathie für Russland. Die Ostdeutschen haben aber nach dem Systembruch viele ökonomische Probleme erlebt, die sich im Zuge der Transformation in das neue System ergeben haben. Wenn man dann endlich wirtschaftlich wieder Boden unter den Füßen hat, schaut man natürlich skeptisch auf alles, was das bisher Erreichte in Gefahr bringen könnte. Die Politik muss mit Blick auf Russland klar machen, dass es hier um eine Systemauseinandersetzung geht. Auf der einen Seite die freiheitlich-demokratische Grundordnung, in der wir Gott sei Dank leben, und auf der anderen die Autokratien mit der Diktatur Putins. Es gibt hier eine Frontlinie zwischen Freiheit und Unfreiheit. Aber eines ist auch wichtig: Die Westdeutschen müssen ein bisschen demütiger werden. Bei der Landtagswahl in Niedersachsen war die Beteiligung schlechter als bei uns in Sachsen-Anhalt. Schließlich: Die AfD ist eine Westgründung. Der Großteil des Führungspersonals kommt aus der alten Bundesrepublik.

"Die Ostdeutschen haben keine
latente Sympathie für Russland"

Kommen wir zur Lage der Kirche: Ostdeutsche Katholiken sind daran gewohngesellschaftlich in der Minderheit zu sein. Können ihre westdeutschen Glaubensgeschwister von diesen Erfahrungen lernen?

Sie müssen davon lernen. Denn wir kennen bereits den Weg, der mit Blick auf Gesamtdeutschland den Kirchen beider Konfessionen noch bevorsteht. Die Mitgliederzahlen werden schmelzen. Und zwar ganz unabhängig davon, ob sich die Rahmenbedingungen ändern, wie es jetzt die Ampelregierung mit Blick auf die Ablösung der Staatsleistungen plant. Die Gläubigen sind Minderheit. Wir müssen zum Sauerteig werden.

Wie schwierig ist es, aus einer Diaspora-Situation heraus so eine Wirkung als Sauerteig entfalten zu können? Sie sind immerhin als bekennender Katholik Ministerpräsident geworden.

Ich bin mittlerweile sogar der dienstälteste Ministerpräsident. Bei der Wahlentscheidung spielen für die Bürger natürlich viele Faktoren eine Rolle. Ich mache jedenfalls keinen Hehl aus meinen Wurzeln. Die Menschen wissen, welch ein  Wertefundament ich habe. Und mein Eindruck ist, dass die Menschen das auch schätzen.

Bis 2021 gehörten sie dem Zentralkomitee der deutschen Katholiken an. Wie schauen Sie auf den deutschen Verbandskatholizismus? Seit drei Jahren geht es um den Synodalen Weg. Aber setzt der Laienkatholizismus in Deutschland hier nicht angesichts der gesellschaftspolitischen Agenda der Ampel-Regierung die falschen Akzente?

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Für uns Katholiken in Ostdeutschland war die Verbindung zu Rom überlebenswichtig. Eine Position, die beim ZdK heute anders gesehen wird. Ich war tatsächlich die einzige gewählte ostdeutsche „Einzelpersönlichkeit“, die also nicht wegen eines Amtes oder in einer Funktion über die Bistümer gewählt worden war. Ich hatte mich 2021 überreden lassen, noch einmal zu kandidieren. Beim ersten Wahlgang bin ich, wie auch Julia Klöckner und Jens Spahn, nicht gewählt worden und beim zweiten nicht mehr angetreten, denn mir ist eines wichtig: Jeder nationale Sonderweg schwächt uns Katholiken. Denn er stellt den globalen Ansatz der römisch-katholischen Kirche in Frage. Ich kann mich sehr gut an den einzigen Katholikentag 1987 in der DDR erinnern, an dem ich aktiv mitgewirkt habe. Damals sprach dort auch Joseph Ratzinger. Für uns war es ein bedeutsames Zeichen, dass mit dem Kardinal ein Vertreter des Vatikans anwesend war. Wir Katholiken in der DDR haben nur deswegen überleben und durchhalten können, weil wir mit Rom verbunden waren. Wir sind römisch-katholisch, und nicht deutsch-national katholisch oder wie man so eine Linie auch nennen mag. Ich will jetzt nicht aggressiv sein. Aber das ist die geschichtliche Erfahrung von jemandem wie mir, der in einer religionsfeindlichen Gesellschaft aufgewachsen ist.

Wenn Menschen es heute schwerfällt, den Glauben finden zu können, dann liegt es nicht an einem Mangel gesellschaftlicher Aktivitäten der Kirchen, auch nicht an fehlendem Engagement für die Rettung des Weltklimas. Wir katholischen Laien müssen doch einfach sehen, wo unsere eigentlichen Kernaufgaben liegen. Für solche Themen gibt es viele NGOs, die sich sehr engagieren. Kirchen und ihre Verbände sind da aber nur eine Größe am Rand. Unser Auftrag ist ein anderer: Wir müssen unseren Glauben plausibel leben und damit anderen Menschen anbieten.

Wir katholischen Laien müssen doch einfach sehen,
wo unsere eigentlichen Kernaufgaben liegen. 

Ein Blick auf Ihre Partei: Die CDU diskutiert im Moment über ihr Grundsatzprogramm. Ist das C-Profil aus Ihrer Sicht deutlich genug?

Eine Volkspartei wie die CDU deckt ein sehr weites Spektrum ab. Und wir in Sachsen-Anhalt tragen dem auch Rechnung. Hier in Ostdeutschland etwa wenden sich auch viele der CDU zu, die nicht konfessionell gebunden sind, trotzdem sich aber den Grundwerten und dem christlichen Menschenbild verpflichtet fühlen. Das ist etwas Positives. Wenn das nicht möglich wäre, könnten wir ja gar nicht gewählt werden. Wir haben bei der letzten Landtagswahl aber immerhin 37,1 Prozent erreicht.

Insgesamt kann man mit Blick auf aktuelle deutschlandweite Umfragen sagen: Wenn die Union dort bei rund 30 Prozent verortet wird, dann ist das gut. Meistens ist es ja in Krisen- und Kriegszeiten so, dass die jeweilige Regierung vorne liegt. Das heißt auch: Wir als Union haben nicht grundsätzlich etwas falsch gemacht.

Die Programmdiskussion führen wir in der Partei sehr intensiv. Und wir können feststellen, dass gerade klassische christdemokratische Grundsätze dabei eine starke Rolle spielen: Zum Beispiel eine Skepsis gegenüber zu viel Staat und ein starkes Bekenntnis zur Familie. Ebenso gibt es ein Bewusstsein für die Bedeutung der Subsidiarität. Insgesamt können wir doch erfreulicher Weise feststellen: Die christlichen Werte werden von einem großen Teil der Bevölkerung geteilt und sind positiv belegt. Diese Werte vereinen uns auch in einer säkularen Gesellschaft. Wir leben wie schon zur Zeit der Ottonen noch in einer christlich fundierten Kultur. Im Jahresverlauf sind fast alle gesetzlichen Feiertage die des christlichen Jahreskreises und in fast jedem Ort, auch in Sachsen-Anhalt, steht im Zentrum eine Kirche, die immer noch zum Dorf gehört.

Sie regieren in einer Koalition mit SPD und FDP. Wie bleibt man kompromissfähig, ohne sein Profil zu verlieren?

Interview mit Reiner Haseloff
Foto: Staatskanzlei Sachsen-Anhalt | Chefredakteur Guido Horst (l.) und Politik-Redakteur Sebastian Sasse (r.) trafen Sachsen-Anhalts Ministerpräsident Reiner Haseloff (Mitte) zum Interview in der Magdeburger Staatskanzlei.

Profil kann man am besten in der Opposition entwickeln. Aber trotzdem ist es natürlich besser, die Regierung zu stellen, sonst hat man keine Chance, wirklich gestalten zu können. Aus meiner 69-jährigen Lebenserfahrung kann ich sagen: Man sieht sich immer mehrfach im Leben. Man braucht immer eine Anschlussfähigkeit im Positiven. Und das beherzige ich auch im Umgang mit meinen unterschiedlichen Koalitionspartnern. Wir bilden mit ihnen zusammen die Regierung. Und jeder muss seine Punkte entsprechend den Mehrheitsverhältnissen machen können. Kurz: Fairness im Umgang miteinander ist wichtig für die politische Kultur.

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