Logo Johann Wilhelm Naumann Stiftung Tod des iranischen Präsidenten

Raisis unvollendetes Ende

Der verunglückte iranische Präsident nahm seine Ambition als Nachfolger von Ali Chamenei mit ins Grab. Wie es jetzt weitergeht.
Der verunglückte iranische Präsident Ebrahim Raisi
Foto: IMAGO/Mohsen_Rezaei (www.imago-images.de) | Der verunglückte Präsident Ebrahim Raisi hinterlässt eine schwache Leistungsbilanz: hohe Inflation, grassierende Korruption, wachsende Armut und gesellschaftspolitische Schikane.

Allzu gerne würden ihn die Iraner auf der Anklagebank sehen. Irans Präsident Ebrahim Raisi starb bei einem Helikopter-Absturz am Sonntag. Mit ihm kamen alle Insassen an Bord zu Tode, darunter auch Außenminister Hossein Amir Abdollahian. Raisi wurde mit 20 Jahren Staatsanwalt.

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Vizestaatsanwalt, dann Staatsanwalt von Teheran, Vizechef der Judikative und bis 2016 Generalstaatsanwalt: das waren Stationen des Geistlichen, die ihm als einer Schlüsselfigur im grausamsten Ressort der Islamischen Republik, der Justiz, Beinamen wie "Blutrichter" und "Massenmord-Ayatollah" einbrachten. Berüchtigt ist Raisis Mitgliedschaft im vierköpfigen "Todes-Komitee", das im Sommer 1988 etwa 3.500 politische Häftlinge in Schnellverfahren zum Tode verurteilen ließ.

Seinen Aufstieg verdankte er den Zeitumständen

2017 ernannte ihn der Oberste Führer des Iran, Ali Chamenei, zum Chef der größten, finanzstarken religiösen Stiftung des Landes, Astan-e Qods-e Razavi. Zwei Jahre später wurde er Chef der Judikative. Bei den Präsidentschaftswahlen 2017 unterlag er Rohani, im zweiten Anlauf 2021 schaffte er den Sprung ins Amt. Bereits zuvor wurden Spekulationen laut, dass er der wichtigste Kandidat für die Nachfolge von Chamenei sei. Die Mullahs haben sich in den 45 Jahren seit Bestehen der Islamischen Republik als Überlebenskünstler erwiesen. Sie überstanden bisher alle Krisen: von landesweiten Unruhen bis zu unerwarteten Verlusten hochrangiger Offizieller.

Ebrahim Raisi verdankte seinen Aufstieg nicht seinen Fähigkeiten, sondern den Zeitumständen. Der Wächterrat lehnte alle potenziellen Konkurrenten ab. Raisis Regierung war das Ergebnis der Arbeit der Institutionen des Revolutionsführers Chamenei, der mit umfangreichen Interventionen, der Unterdrückung politischer und sozialer Freiheiten und hartnäckigem Widerstand gegen Reformen eine zahme Regierung schuf.

Kaum jemand nahm Raisi ernst, obwohl er ja als möglicher Chamenei-Nachfolger gehandelt wurde. Er und seine Regierung betrachteten sich als Vollstrecker von Vorgaben. Der Geistliche hinterlässt eine schwache Leistungsbilanz: hohe Inflation, grassierende Korruption, wachsende Armut und gesellschaftspolitische Schikane, die sich besonders in der Auseinandersetzung um die Durchsetzung der Verschleierungspflicht zeigte. Sicher ist das Regime geschockt und muss Maßnahmen ergreifen, um in nur 50 Tagen vorgezogene Präsidentschaftswahlen abzuhalten. Aber der Tod von Raisi hat keinen großen Einfluss auf die Stabilität der Islamischen Republik, und es ist keine schwierige Aufgabe, einen Nachfolger zu finden. Es sei denn, er wurde tatsächlich als Option für die Nachfolge Chameneis in Betracht gezogen. Dann muss man sich umorientieren.

Die Mullahs werden auch diese Krise meistern

Das Gleiche gilt für den verunglückten Außenminister Hossein Amir Abdollahian, dessen Loyalität seine Schwächen überdeckte. Er pflegte enge Beziehungen zu General Ghasem Solaimani. Aber der General wurde 2020 durch eine US-Drohne getötet. Sein Tod damals war ein härterer Schlag für die Mullahs als die aktuellen Verluste. Die Mullahs werden auch diese Krise meistern. Unruhen wären existenzbedrohender, aber sie sind momentan nicht in Sicht.

Am 28. Juni finden Neuwahlen statt. Vizepräsident Mohammad Mokhber wird Übergangspräsident und kann sich bis zu den Wahlen profilieren, doch er ist wenig bekannt und farblos. Die Hardliner, die sogenannten Konservativen und die Gemäßigten werden nun aktiv werden. Für die Hardliner wäre Mokhber Said Dschalili, der unter Ahmadinedschad Chefunterhändler für die Nuklearverhandlungen war, eine Option. Für die Konservativen könnten Parlamentspräsident Mohammad Bagher Ghalibaf und der etwas moderatere Ex-Parlamentspräsident Ali Laridschani infrage kommen. Ghalibaf hat bessere Chancen. Unter den Gemäßigten könnten Hassan Rohani und Mohammad Javad Zarif Kandidaten sein, wenn sie das Aussiebverfahren des Wächterrates überstehen. Am Ende entscheidet nur ein Mann: Ayatollah Chamenei.

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