Moskau/Brüssel

Putin macht Europa nervös

Angesichts der Kriegsgefahr im Osten Europas rücken die politischen Akteure des Westens enger zusammen.
Lage in der Ukraine
Foto: Andriy Dubchak (ap) | Nicht nur dieser ukrainische Soldat, sondern auch die Regierenden in Kiew rechnen mit einer russischen Invasion und hoffen auf westliche Hilfe.

Vor 30 Jahren, am 21. Dezember 1991, wurde die Sowjetunion nach 74 blutigen Jahren zu Grabe getragen. Was im Spätherbst 1917 mit der „Oktoberrevolution“ Lenins, die tatsächlich eher ein Putsch gegen die schwache, sozialromantische Kerenski-Regierung war, begonnen hatte, ging vor drei Jahrzehnten wie ein viel zu langer, horribler Alptraum zu Ende. Einer, der der Sowjetunion nachtrauert und daraus kein Geheimnis macht, ist Russlands Präsident Wladimir Putin. Den ehemaligen Sowjetrepubliken gesteht der einstige KGB-Agent allenfalls eine eingeschränkte Souveränität zu, weshalb Moskau sich offen und unter Androhung militärischer Maßnahmen gegen einen Beitritt von Georgien und der Ukraine zur NATO stemmt.

Grenzen sollen "unverschiebbar und unverletzbar" bleiben

Eine entsprechende Zusage der NATO an beide Staaten im Jahr 2008 müsse widerrufen werden, tönt es aus dem Kreml. Außerdem wünscht Moskau eine verbindliche Zusage der NATO, keine Waffensysteme in der Nähe der russischen Grenzen zu stationieren. Und das, obwohl Russland beide Staaten bereits überfallen und Teile ihres Staatsgebietes militärisch besetzt hat: 2008 Georgien, 2014 die Ukraine. Seither stehen russische Soldaten in den georgischen Provinzen Abchasien und Südossetien, auf der Krim wie in den ukrainischen Gebieten um Donezk und Luhansk.

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Bundeskanzler Olaf Scholz sagte am vergangenen Freitag bei seinem Antrittsbesuch in Brüssel, er betrachte „mit Sorge die vielen Truppen, die sich entlang der ukrainischen Grenze besichtigen lassen“. Die Grenzen in Europa müssten „unverschiebbar und unverletzbar bleiben“. Noch deutlicher wurde EU-Kommissionschefin Ursula von der Leyen: „Aggression muss ein Preisschild haben.“ Die EU-Kommission werde dies „in angemessener Form mit Russland oder nach Russland, zu Russland kommunizieren“ – aber nicht öffentlich. Wichtig sei jedoch, „dass Energie niemals als Druckmittel genutzt werden darf und dass die Energiesicherheit Europas und seiner Nachbarn gewährleistet sein muss“, so die Kommissionspräsidentin.

Das war eine allseits verstehbare Anspielung auf die umstrittene Pipeline Nord Stream 2, die russisches Erdgas unter Umgehung der Ukraine durch die Ostsee nach Deutschland liefern soll und von Anfang an nicht nur Kiew und Warschau, sondern auch Washington ein Dorn im Auge war.

Sanktionen gegen russische Söldnertruppe

Polens Ministerpräsident Mateusz Morawiecki meinte, mit der Ostseepipeline ziehe sich eine „politische und energetische Schlinge“ um die Ukraine zu. Bei der Sitzung der 27 EU-Außenminister zu Wochenbeginn war die neue deutsche Repräsentantin, Annalena Baerbock, bereit, die Inbetriebnahme von Nord Stream 2 zu hinterfragen, während der österreichische Außenminister Alexander Schallenberg dagegenhielt. Zwar ist Europa noch immer abhängig von russischem Gas, doch ist umgekehrt auch Russland abhängig von den daraus gewonnenen Einnahmen. Darum drohen EU-Repräsentanten dem Kreml jetzt für den Fall einer Invasion in der Ukraine mit wirtschaftlichen Konsequenzen.

Einiger als bei der Energie-Sicherheit präsentierten sich die Außenminister am Montag in der Frage von Sanktionen. Sie beschlossen, die auf fast allen Kontinenten – etwa in Syrien, Libyen, Mali, Zentralafrika und der Ukraine – tätige russische Söldnertruppe „Wagner“ und mit ihr verbundene Unternehmen und Personen auf die EU-Sanktionsliste zu setzen. Das hat für acht Personen und drei Unternehmen, denen die EU schwere Menschenrechtsverletzungen anlastet, zur Folge, dass ihre Vermögen in der EU eingefroren werden und ihnen die Einreise verweigert wird.

In einer Erklärung der EU von Montagabend heißt es dazu: „Die Wagner-Gruppe hat private Militäreinsatzkräfte rekrutiert, ausgebildet und in Konfliktgebiete auf der ganzen Welt entsandt, um Gewalt zu schüren, natürliche Ressourcen zu plündern und die Zivilbevölkerung einzuschüchtern, wobei sie gegen das Völkerrecht, einschließlich der internationalen Menschenrechtsnormen verstößt.“

Putin torpediert seine eigene Strategie

Mit einem massiven Truppenaufmarsch von bis zu 100.000 Soldaten an den ukrainischen Grenzen hat Wladimir Putin nun offenbar seine seit Jahren verfolgte Strategie, Europa und den Westen zu spalten, selbst torpediert. Das zeigte sich bereits am Montag, als die 27 Außenminister der EU-Mitgliedstaaten in erstaunlicher Einmütigkeit Sanktionen gegen Russland berieten und sich zur Unterstützung der ukrainischen Souveränität und territorialen Unversehrtheit bekannten.

Nicht alle waren so klar wie Litauens Gabrielius Landsbergis, der sich überzeugt zeigte, „dass Russland sich tatsächlich auf einen totalen Krieg gegen die Ukraine vorbereitet“. Österreichs Außenminister riet in schlechter alter Neutralitäts-Tradition zu einem „Abrüsten der Worte und der Taten von beiden Seiten“ – als sei ein ukrainischer Einmarsch in Russland so wahrscheinlich wie umgekehrt. Ähnlich verworren sprach der Vorsitzende der SPD-Bundestagsfraktion, Rolf Mützenich, von einer „Spirale von Drohungen und Gegendrohungen“, die man „durchbrechen“ müsse.

In der üblichen Schärfe wies Kreml-Sprecher Dmitri Peskow alle Vorwürfe zurück. Es gehe wieder einmal um eine „Dämonisierung Russlands“. In der Ukraine dagegen ist die Angst real. Vitali Klitschko, der frühere Box-Weltmeister und heutige Bürgermeister der Hauptstadt Kiew, meinte am Dienstag, dass Hilfe für die Ukraine „noch nie so wichtig war“. Nicht nur die EU-Staaten sind dazu bereit, sondern auch Großbritannien und die USA. Offenbar rückt der Westen angesichts der Kriegsgefahr im Osten doch wieder zusammen.

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