Am Sonntagabend konnten sich beide ein bisschen wie die Sieger fühlen: Polens nationalkonservativer Präsident Andrzej Duda und sein größter Herausforderer bei der Wahl um das höchste Amt im Staat, Rafal Trzaskowski von der „Bürgerplattform (PO), seit 2017 Präsident von Warschau. War Duda doch das Kunststück gelungen, nach einer diskriminierenden Aussage über Homosexuelle („das ist einfach Ideologie“) und einer lächerlich wirkenden Last Minute-PR-Reise zum amerikanischen Präsidenten, bei der Wahl am Sonntag auf 43,5 Prozent der Stimmen zu kommen. Mehr Stimmen, als ihm so mancher Beobachter im Inland und Ausland jetzt noch zugetraut hätte. Aber auch für Trzaskowski waren die 30,46 Prozent kein schlechtes Ergebnis. Erst vor wenigen Wochen wurde der Politologe von seiner Partei aus dem Bewerber-Hut gezaubert. Die PO-Vorgänger-Kandidatin Malgorzata Kidawa-Blonska hätte beim eigentlich schon im Mai angesetzten Wahltermin keine Chance gehabt.
Können sie die Anhänger der geschlagenen Kandidaten ansprechen?
So bleibt dank Corona der Kampf um den Einzug in den Präsidentenpalast weiterhin offen. Duda oder Trzaskowski – viel wird bei der Stichwahl am 12. Juli davon abhängen, wie es den beiden Endvierzigern bis dahin gelingt, die Anhänger der Kandidaten anzusprechen, die nun selbst aus dem Rennen sind: Die Anhänger des unabhängigen Polit-Shooting-Stars Szymon Holownia zum Beispiel, der als liberal-katholischer Journalist auf beachtliche 13,87 Prozent der Stimmen kam. Oder die Anhänger des rechtsradikalen Politikers Krzysztof Bosak, der 6,78 Prozent der Wählerstimmen erzielte. Bis Mitte der Woche hielten sich beide mit Empfehlungen an ihre Anhängerschaft zurück. Von der Grundtendenz her lässt sich erwarten, dass Holownia-Fans mehr auf Trzaskowskis liberalen Kurs abfahren, während Bosaks Anhänger stärker auf Dudas nationalbewusste Haltung geeicht sind.
Doch man spürt in diesen Tagen die Verunsicherung – in allen Lagern.
Duda ist es in den vergangenen fünf Jahren nicht wirklich gelungen, sich ein eigenständiges Profil zu erarbeiten. Er steht trotz Stakkato-Rhetorik und charmanter Gattin weiterhin im Schatten von PiS-Übervater Jaroslaw Kaczynski. Eine große präsidiale Distanz zur PiS-Regierung und manchen umstrittenen rechtsstaatlichen Entscheidungen war auch nicht zu erkennen. Trzaskowski hingegen weiß, dass seine bisher herausragendste Leistung als Oberbürgermeister die Implementierung von „Gender Mainstreaming“ an den Schulen war, womit er bei der nun zu fangenden erzkatholisch-rechten Wählerschaft nicht besonders wird punkten können. Dazu wirkten seine im kurzen Wahlkampf unternommenen Versuche, sich und seine Familie als gute Katholiken zu inszenieren, vor dem Hintergrund, dass er seine Kinder nicht zum Religionsunterricht schickt, aufgesetzt. Bei einem Warschauer Fäkalien-Problem 2019 und bei der diesjährigen Pandemie ist Trzaskowski nicht gerade als begnadeter Krisenmanager in Erscheinung getreten.
Ein Fernseh-Duell dürfte sich schwierig gestalten
Könnte ein Fernseh-Duell die Entscheidung für einen der Kandidaten erleichtern? Vielleicht, doch dann müssten sich die dafür infrage kommenden Journalisten und TV-Medienanstalten erst einmal über den Rahmen einer solchen Debatte verständigen – ein schwieriges Unterfangen, das belegt, wie politisch und kulturell gespalten die polnische Gesellschaft ist, wenn es um die Frage „PiS oder PO“ geht. Das Duell Duda versus Trzaskowski ist insofern nur die Neuauflage des Klassikers Kaczynski (PiS) versus Donald Tusk bzw. Bronislaw Komorowski (beide PO), der allerdings vor einigen Jahren schon bei etlichen Wählern und Beobachtern Ermüdung auslöste. Nun, so sieht es aus, stoßen die Repräsentanten der Nachfolge-Generation aufeinander, die Stämme sind jedoch die gleichen geblieben. Unversöhnlich und starr. Die hohe Wahlbeteiligung (64,51 Prozent) widerlegt dies nicht.
Wer wird der nächste Präsident Polens sein? Sicher ist schon jetzt: niemand, der dieses alte Lagergefüge überwinden wird. Die polnische Teilung wird weitergehen.
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