Tschechiens neuer Präsident

Petr Pavel: Tschechiens Wind des Wandels

Unter Neu-Präsident Petr Pavel wendet sich Tschechien verstärkt dem Westen zu.
Tschechiens Präsident Petr Pavel
Foto: IMAGO/Roman Vondrous (www.imago-images.de) | Tschechiens Präsident Petr Pavel unterzieht gegenwärtig die internationale Ausrichtung seines Landes einer Totalüberholung.

Samstag, 11. März 2023 am Prager Wenzelsplatz: Wo einst Freiheitskämpfer gegen den Kommunismus protestierten, tummeln sich tausende Demonstranten, viele von ihnen mit tschechischen Flaggen, aber auch Schildern mit Botschaften gegen die NATO und die Unterstützung der Verteidigung der Ukraine. Vertreter der neuen PRO-Partei („Recht Respekt Kompetenz“), Organisatorin der offiziell gegen Armut gerichteten Demonstration, fordern ein Ende der Waffenlieferungen und stattdessen humanitäre Hilfe, Friedensgespräche und eine Regierung, die sich "zuerst um die Interessen tschechischer Bürger kümmert", wie Parteichef Jindrich Rajchl betont. Später versuchen Demonstranten eine vor dem Nationalmuseum gehisste ukrainische Flagge abzureißen – 18 Personen werden infolgedessen verhaftetet und eine weitere wegen prorussischer Aufnäher der Billigung des russischen Völkermords verdächtigt. Gleichsam kündigen die Organisatoren für den 16. April eine Blockade von Regierungsgebäuden an.

Kritik an den Demonstrationen nicht aus der Luft gegriffen

Am Folgetag betonte der zur Bürgermeister- und Unabhängigenbewegung STAN gehörende Innenminister Vít Rakušan, er habe den Eindruck gewonnen, „dass die gesamte sogenannte Demonstration gegen Armut nur ein Deckmantel für prorussische Provokationen war“. Derartige Manifestationen, so Rakušan, seien nicht zu tolerieren. Schon im September 2022 hatten große Proteste gegen die Regierung am Wenzelsplatz für internationales Aufsehen gesorgt. Auch damals hatte Tschechiens Ministerpräsident Petr Fiala (ODS) auf der Demonstration zweifelsfrei präsent gewesene prorussische Akteure verantwortlich gemacht. Kritiker warfen ihm aber Einseitigkeit vor – auch viele Armutsgefährdete hätten damals mitdemonstriert, da dem regierenden Mitte-Rechts-Bündnis eine zu späte und nicht hinreichende Reaktion auf die Energiekrise und die Inflation vorgeworfen wird.

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Die Kritik der Regierung an den Demonstrationen ist aber nicht aus der Luft gegriffen. Einer Studie des Prager Thinktank „European Values“ zufolge verbreitet vor allem die rechtspopulistische Partei SPD (Freiheit und Direkte Demokratie) samt Chef Tomio Okamura und Mitgründer Radim Fiala russische Narrative. Und in Radek Vondráček, dem ehemaligen Vorsitzenden des tschechischen Abgeordnetenhauses und Politiker der als opportunistisch-populistisch geltenden Partei ANO 2011 (JA 2011), habe China einen prominenten Fürsprecher. Die SPD gehört der Fraktion „Identität und Demokratie“ (ID) im EU-Parlament an, der auch die AfD angehört - ANO hingegen derselben Fraktion wie die FDP, „Renew Europe“. Die tschechische Regierungskoalition besteht wiederum aus der liberalkonservativen Demokratischen Bürgerpartei (ODS), die – wie die polnische Regierungspartei PiS – zur EU-Fraktion „European Conservatives and Reformists“ (ECR) gehört sowie den Christdemokraten der KDU-ČSL, der konservativen, aber vom früheren Populismus abgerückten Partei TOP 09 (Tradition, Verantwortung und Prosperität), der nur parteiähnlichen STAN-Bewegung und der Piratenpartei des Landes.

Pavel reicht USA und Visegrád-Staaten die Hand

Mag dieses Regierungsbündnis auch wie eine wilde Mischung anmuten – es ist ein erster Schritt hin zur Abkehr vom Postkommunismus samt Präsidenten wie Milos Zeman, der dieses Jahr sein zehntes Amtsjahr beschloss, oder Ministerpräsidenten wie dem Oligarchen und Fiala-Vorgänger Andrej Babiš (ANO). Sowohl der als schwer krank geltende Zeman als auch Babiš standen lange für politische Polarisierung und eine Nähe des Landes gegenüber Russland und China. Zeman hatte der russische Krieg immerhin zur öffentlichkeitswirksamen Umkehr bewegt, Babiš hingegen setzte sich im vergangen Präsidentschaftswahlkampf als Friedensbringer in Szene. Seine während einer Live-Fernsehdebatte geäußerte Weigerung, Nato-Bündnispartnern wie Polen und den baltischen Ländern, wie in Nato-Artikel 5 vorgesehen, bei einem Angriff militärisch zur Seite stehen zu wollen, sorgte im Ausland für Entsetzen. Nicht zuletzt deshalb kündigte sein Gegenkandidat an, seinen zweiten Amtsbesuch – traditionell gilt der erste Besuch der Slowakei – Polen zu widmen. Am Ende konnte er - der parteilose, aber der Regierungskoalition nahestehende Petr Pavel - sich gegen den oft als tschechischen, nur noch opportunistischeren Donald Trump geschmähten Babiš durchsetzen.

Am 9. März, zwei Tage vor der Demonstration am Wenzelsplatz, legte Pavel im Wladislaus-Saal der Prager Burg seinen Amtseid als tschechischer Präsident ab. „General Pavel“, wie er gerne genannt wird, ist aber nicht nur neuer Präsident Tschechiens und passionierter Motorradfahrer, sondern gilt als erster hochrangiger Vertreter der Staaten des Warschauer Pakts in der NATO. Und trotz seiner kommunistischen Vergangenheit, die er mit dem aus der Slowakei stammenden Babiš teilt, erzielte der Nato-General a.D. ein starkes Wahlergebnis von 58 Prozent. Und mag Pavel – anders als der konservative Katholik Fiala und sein für tschechische Verhältnisse als ungewöhnlich christlich geltendes Kabinett – auch Atheist sein: Ihren Abschluss fand seine symbolträchtige Vereidigungszeremonie in einer Reliquienschau in der Wenzelskapelle und einer Messe im Veitsdom.

Pavel will – so erklärte er nach der Vereidigung – „Würde, Respekt und Anstand“ in die tschechische Staatsführung zurückbringen und weniger über eine vermeintliche Spaltung der Gesellschaft reden, als vielmehr das Verbindende suchen, das er in der Außenpolitik sieht: Bald nach seiner Vereidigung rief er bei der Präsidentin Taiwans, Tsai Ing-wen, an und bedankte sich für ihre Glückwünsche. Zudem versicherte Pavel ihr nicht nur, dass Taiwan und sein Land die Werte Freiheit, Demokratie und Menschenrechte teilen würden, sondern äußerte auch seine Hoffnung auf ein persönliches Treffen. Chinas Außenamtssprecherin Mao Ning forderte infolgedessen dazu auf, „sofortige und wirksame Maßnahmen zu ergreifen, um das Fehlverhalten zu korrigieren“. Neben diesen Werten, so China-Experte Filip Šebok von der tschechischen Denkfabrik „Association for International Affairs“ (AMO) gegenüber der „Frankfurter Rundschau“, sprächen auch wirtschaftliche Gründe, vor allem im Hightech-Bereich, für die Zusammenarbeit der zwei Länder – andererseits drohe aber auch Machtmissbrauchs seitens Chinas, dem zweitgrößten Handelspartner Tschechiens.

Klare Ansagen - auch gegenüber Westeuropa

Als wichtiger Handelspartner gilt aber auch das Nachbarland Polen, das Pavel ab dem 16. März für zwei Tage besuchte: Neben Treffen mit Präsident Andrzej Duda (PiS) und Premierminister Mateusz Morawiecki (PiS) gab Pavel sowohl dem öffentlich-rechtlichen, konservativen Fernsehsender „TVP“ als auch liberalen Medien wie dem Sender „TVN“ und der Zeitung „Gazeta Wyborcza“ (GW) Interviews. Dabei sparte er nicht mit klaren Ansagen – auch gegenüber Westeuropa, wo sich manch einer vielleicht schon voreilig über einen angeblichen Zerfall des brüsselkritischen Visegrád-Bündnisses freute. Es sei normal, sagte Pavel der „GW“, dass Deutschland und Frankreich als große nationale Mächte versuchen würden, Europa zu dominieren. „Aber unsere Aufgabe ist es, ein ausreichendes Gegengewicht zu schaffen.“ Ein solches Vorgehen untergrabe nicht die europäische Idee, sondern sorge für einen Ausgleich der Kräfte. Der Euro – den Tschechien wie auch Polen bisher noch nicht als nationale Währung angenommen haben – sei, so Pavel gegenüber der „GW“, eine „Eintrittskarte in die europäische Extraliga“ und verheiße mehr Partizipation an politischen Entscheidungen und nicht zwingend eine stärkere EU-Integration, die Pavel ohnehin kritisch sieht. Es brauche derzeit mehr Flexibilität als Integration, viele EU-Länder seien dafür noch nicht bereit.

Im Hinblick auf Polen, wo man erst die Wahl und dann den Besuch des tschechischen Präsidenten lagerübergreifend fast euphorisch begrüßte, betonte Pavel in den Interviews die strategische Bedeutung der politischen und wirtschaftlichen Zusammenarbeit beider Länder, deren Beziehungen sich auf einem historischen Hoch befänden. Einig sind sich Duda und Pavel nicht nur in Sachen USA- und NATO-Bindung, sondern auch in der Forderung nach einem EU-Eintritt der Ukraine, im Zuge dessen die „Gestaltungskraft des deutsch-französischen Tandems schwinden“ würde.

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