Hongkong

Pekings neue Waffe ist das Sicherheitsgesetz

Als in Hongkong tausende Menschen auf die Straße gingen, um gegen das "Sicherheitsgesetz" zu protestieren, ertönte immer wieder ein bestimmtes Lied: "Sing Halleluja to the Lord". Ein Ohrwurm wurde zur inoffiziellen Hymne des Protests.
Militär
Foto: Adobe Stock | Symbolbild

Hongkong, eine Stadt in Angst. Seit dem 1. Juli gilt das von der Regierung der Somderverwaltungszone eingeführte "Sicherheitsgesetz". Bisher hatte Hongkong kein nationales "Sicherheitsgesetz". Ein Versuch war 2003 am Widerstand von Zivilgesellschaft und Opposition gescheitert. Deshalb hat die kommunistische Führung in Peking das Gesetz jetzt selbst erlassen. Offiziell richtet sich das Sicherheitsgesetz gegen subversive, separatistische und terroristische Aktivitäten. Doch was genau darunter zu verstehen ist   das definiert allein Peking. Schon das ist Willkürherrschaft. Was jedoch noch schlimmer ist: Mit dem neuen Gesetz dürfen Polizei und Militär der Volksrepublik unmittelbar in Hongkong stationiert werden und vor Ort eingreifen. Das stellt ganz klar einen Bruch der "Gemeinsamen Erklärung" zwischen Großbritannien und China dar, die Hongkong einen hohen Grad an Autonomie bis 2047 garantiert. 

Von Willkürherrschaft gepägt war auch das zunächst geplante Auslieferungsgesetz. Das Gesetz hätte es Hongkongs Behörden erlaubt, von China verdächtigte und gesuchte Personen an die Volksrepublik auszuliefern, obwohl Pekings Justizsystem nicht unabhängig ist und häufig als Werkzeug politischer Verfolgung benutzt wird. Nach massenhaften Protesten in Hongkong im vergangenen Sommer wurde der umstrittene Gesetzentwurf zu Auslieferungen von Straftätern an China offiziell zurückgezogen. 

Das neue Sicherheitsgesetz

Das neue "Sicherheitsgesetz" hat so viel Unsicherheit bei Hongkongern ausgelöst, dass die Massenproteste des vergangenen Sommers so schnell wohl nicht zurückkehren werden. Zahlreiche Pro-Demokratie-Aktivisten wurden verhaftet, die 2016 gegründete Partei Demosisto wurde aufgelöst. Prominente Leitfiguren der Bewegung sind ins Exil geflohen oder haben ihren Rückzug aus der Politik verkündet. Die meisten achten darauf, die Erkennungsfarbe Schwarz der Demokratiebewegung zu vermeiden. 

Das neue "Sicherheitsgesetz" der kommunistischen Führung in China gilt als tiefster Einschnitt in die Autonomie der Sonderverwaltungszone. Vor allem Christen in Hongkong befürchten, dass das neue Gesetz für sie weitreichende Folgen haben wird. Besonders im Visier der Machthaber in Peking sind jene Katholiken und katholischen Einrichtungen, die die Demokratiebewegung unterstützen. Dazu gehören die Bischofskommission für Frieden und Gerechtigkeit, die unter den 89 Unterzeichnern eines Protestbriefs gegen das "Sicherheitsgesetz" war, aber auch die katholischen Schulen und Universitäten, die die Protestbewegung 2019 aktiv unterstützt hatten.  Nur etwa jeder Zehnte der 7,4 Millionen Einwohner bekennt sich zu einer christlichen Konfession. Dennoch engagieren sich besonders Katholiken bei den Protesten. Das Bistum Hongkong gibt ihre Zahl mit 374000 (2013) an. 

Katholiken unter Generalverdacht

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Die Katholiken dürften in den Augen der Staatssicherheit unter dem Generalverdacht einer ausländischen "Unterwanderung" stehen, da sie enge Beziehungen zum Ausland unterhalten. Chinas Kommunistische Partei wird dies nutzen, um erneut gegen vermeintlich "westliche Religionen" zu polemisieren. "Die Angst vor Verfolgung ist leider auch nicht unbegründet, denn das Gesetz ist sehr vage formuliert, so dass es den Sicherheitsorganen breite Kompetenzen und Ermessensspielräume beim Vorgehen gegen Kritiker gibt. So kann jeder juristisch belangt werden, der die Protestbewegung auch nur verbal unterstützt", erläutert gegenüber der "Tagespost" Ulrich Delius, Direktor der Gesellschaft für bedrohte Völker (GfbV). Alle diese Personen können auf der Grundlage des neuen "Sicherheitsgesetzes" nach Festland-China überstellt und dort für ihr Handeln vor Gericht zur Rechenschaft gezogen werden. 

Viele befürchten Parallelen zu Unterdrückung
der Kirche auf dem chinesischen Festland

Pekings intensive Anstrengungen zum Ausbau der Überwachung in allen Bereichen Hongkongs lassen es zweifelhaft erscheinen, ob Kirchen und kirchliche Ausbildungsstätten ihre internationalen Kontakte in gewohnter Weise beibehalten dürfen. Das Internationale Katholische Missionswerk missio Aachen betrachtet daher die Entwicklungen in Hongkong mit großer Sorge. "Wir hoffen für unsere Partner, dass das neue Sicherheitsgesetz und die zunehmend aggressiven Auseinandersetzungen zwischen den USA und China nicht zu Verhärtungen führen, unter deren Folgen allein dann die Menschen vor Ort und eben auch die Christinnen und Christen leiden müssen", teilte missio auf Anfrage der "Tagespost" mit. Weiter heißt es: "Für unsere Partner dort ist es zuerst wichtig, dass sie die aufgewühlten Menschen und Gläubigen in dieser schwierigen Situation gut begleiten können. Viele Menschen und Gläubige in Hongkong brauchen derzeit psychologische Hilfe und eine aufsuchende und wertschätzende Seelsorge. Das leisten die Katholikinnen und Katholiken des Landes und ihre Verantwortlichen sehr umsichtig und engagiert." Die Kirche in Hongkong habe in der Vergangenheit viele schwierige Situationen erlebt "und auch eine entsprechende Resilienz entwickelt, aus einem starken Glauben heraus die jeweiligen Situationen zu meistern". 

 

Sonderverwaltungszone Hongkong

Hongkong hat als ehemalige britische Kolonie eine besondere Stellung. Es gehört zwar zu China, genießt als Sonderverwaltungszone aber besondere Autonomie-Rechte. Diese besondere Ein-Land-Zwei-Systeme-Regelung besteht seit 1997, als Großbritannien Hongkong nach 156 Jahren an China zurückgab. Im Jahr 2047 soll Hongkong dann auch rechtlich an Festland-China angepasst werden. Obwohl den Hongkongern bei dem Souveränitätswechsel 1997 Freiheitsrechte und Autonomie garantiert worden waren, können chinesische Stellen in Hongkong künftig eigenmächtig Ermittlungen ausführen und Rechtshoheit ausüben. Der Autonomie-Status der Stadt ist de facto beendet. Das Fenster zur Welt, das Hongkong für China einst war, schließt sich. 

Auch wenn schwammig von Religionsfreiheit in Hongkong die Rede ist, Erfahrungen aus China zeigen, dass sich die Staatssicherheit nicht an gesetzliche Vorgaben hält, wenn sie in Christen eine Gefährdung ihrer Machtposition sieht. "Viele befürchten Parallelen zu Unterdrückung der Kirche auf dem chinesischen Festland, wo kirchliche Zusammenkünfte, die Verbreitung des Glaubens und karitative Arbeit streng überwacht und stellenweise verboten werden", erklärte das überkonfessionelle Hilfswerk "Open Doors" gegenüber dieser Zeitung. Mit anderen Worten: Den Kontrollorganen Pekings geht es nicht um die Sicherung der Religionsfreiheit, sondern vielmehr um eine umfassende Zerschlagung der Protestbewegung. 

Christen müssen schlimmes befürchten

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Getreu ihrem sprachlichen Diffamierungs-Vokabular nennt die Staats- und Parteiführung in Peking  weiterhin grundsätzlich alle, die sich in der autonom regierten Stadt für Freiheitsrechte und mehr Demokratie einsetzen, Unruhestifter, Randalierer oder Separatisten. Verunglimpft und verfolgt als amerikanischer "Agent" und "Verräter" wird etwa der 71 Jahre alte katholische Zeitungsverleger Jimmy Lai, der eine der letzten unabhängigen, Peking-kritischen Zeitungen in Hongkong vertreibt. Ihm wird unter anderem vorgeworfen, in Hongkong nicht genehmigte Demonstrationen und Versammlungen mitorganisiert zu haben. Martin Lessenthin, Vorstandssprecher der Internationalen Gesellschaft für Menschenrechte (IGFM), kritisiert daher gegenüber dieser Zeitung das "Sicherheitsgesetz" als einen fundamentalen Verstoß gegen Demokratie und Menschenrechte. Die Religionsfreiheit, als Menschenrecht in Artikel 18 der Allgemeinen Erklärung der Menschenrechte verankert, sei durch die Totalisierung von Hongkong in Gefahr. "Alle christlichen Gruppierungen, die in Festland-China bereits unter Verfolgungsdruck standen, müssen nun in Hongkong mit der gleichen Verfolgung rechnen. Dies gilt vor allem für evangelikale Hauskirchen, Gemeinden und Katholiken, die sich nicht registrieren lassen wollen und von Untergrundpriestern geführt werden. Christen müssen befürchten, dass der neue Leiter der chinesischen Behörde für Hongkong und Macao, Xia Baolong, Hongkong mit harter Hand kontrollieren wird." Xia Baolong, der Name macht hellhörig. Als Parteisekretär der Provinz Zhejiang, in der zahlreiche Christen leben, wurden in seiner Verantwortung in den Jahren von 2014 bis 2016 über 1500 Kreuze von christlichen Kirchen entfernt. 

Menschenrechtler sehen im "Sicherheitsgesetz" eine Waffe der Unterdrückung. Unter Hongkongs Bevölkerung, besonders aber bei vielen der jungen Demokratie-Aktivisten, schwindet mit abnehmender Freiheit letztlich auch die Hoffnung. 

 

 

 

 

 

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