Jerusalem

Parteien bringen sich in Stellung

In einigen Wochen wird in Israel zum zweiten Mal in diesem Jahr gewählt. Im noch jungen Wahlkampf werden schon jetzt die Weichen für die Zeit nach der Netanjahu-Ära gestellt.
Staatliches Gedenken an äthiopische Juden
Foto: dpa. | Immer noch der prägende Politiker des Landes, aber nicht mehr so dominierend wie früher: Es zeichnet sich ein Ende der Ära von Benjamin Netanjahu ab.

Die Initiative, dass die Kandidaten des Likud eine Loyalitäts- und Unterstützungserklärung für (ihren Parteivorsitzenden) Benjamin Netanyahu unterzeichnen sollen, erinnert an das nordkoreanische Regime, das jeden Bürger verpflichtet, sich vor jeder Statue der Führer zu verbeugen“, spottete Moshe Ya'alon, einer der führenden Politiker des Parteienbündnisses Kahol Lavan, an dessen Spitze Benny Gantz, der ehemalige Generalstabschef der israelischen Verteidigungsstreitkräfte und gegenwärtige Hauptkonkurrent des amtierenden Premierministers in den Neuwahlen am 17. September, steht.

Alternativen zu Netanjahu im Gespräch

Am vergangenen Montag hatte David Bitan, der ehemalige Vorsitzende der Regierungskoalition und enge Vertraute Benjamin Netanyahus diese Petition gestartet, der sich geschlossen alle Kandidaten des Likud angeschlossen haben. Sie kann jedoch nicht verdecken, dass sowohl im Likud als auch bei den von Benjamin Netanyahu präferierten Koalitionspartnern bereits die Weichen für eine Zeit ohne den noch amtierenden Premierminister  nach den Neuwahlen  gestellt werden.

Nach den im Frühjahr gescheiterten Koalitionsverhandlungen brach der politische, religiös-rechte Block, auf den Benjamin Netanyahu seine Macht aufbaut, auseinander. Der Parteivorsitzende der nationalistisch-säkularen Partei Yisrael Beitenu begann eine scharfe Kampagne gegen die ultra-orthodoxen Parteien. Wie er am vergangenen Samstag in einem Fernsehinterview erklärte, unterstützt er Benjamin Netanyahu nur, wenn dieser eine säkulare Regierung der nationalen Einheit zwischen dem Likud, Kahol Lavan und Yisrael Beitenu errichten werde.

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Benny Gantz hat jedoch bereits ausgeschlossen, dass sein Parteienbündnis einer Koalition unter der Führung Benjamin Netanyahus beitreten werde. Gemäß den momentanen Umfragen ist eine solche Koalition der nationalen Einheit die einzige mögliche Regierungskoalition, auch wenn sie nur von 37 Prozent der Israelis gewollt wird. Daher fügte Avigdor Lieberman gegenüber Channel 12 hinzu, er sei „sicher, dass, wenn die Likud-Partei versteht, dass Netanjahu nicht in der Lage ist, die nächste Regierung zu bilden, sie einen alternativen Kandidaten vorschlagen wird“.

Mit seinen Worten ist der Wahlkampf auf dramatische Weise aus dem Sommerloch erwacht, nachdem am 1. August die Parteien und Bündnisse ihre Kandidatenlisten endgültig festlegen mussten. Wie in den vorherigen Neuwahlen am 9. April hatte Benjamin Netanyahu versucht, die national-religiösen Parteien rechts von dem Likud zu einer Liste zu vereinen. Während er sich im Frühjahr noch durchsetzen konnte und die rassistische, ultranationalistische Partei Otzma Yehudit mit den Siedlerparteien vereinte, zeigt sich nun auch hier sein schwindender Einfluss.

Religiöse stellen säkulare Politikerin an die Spitze

Diesmal folgten die einflussreichen, nationalistisch-religiösen Rabbiner und Politiker seinem Wunsch nicht und vereinten sich nicht mit Otzma Yehudit. Sondern die, die sich für die Trennung der Geschlechter im öffentlichen Bereich einsetzen und sich weigern, einer Frau die Hand zu schütteln, haben ihren ersten Listenplatz an die säkulare und sehr beliebte ehemalige Justizministern Ayelet Shaked vergeben. In einem Interview mit dem Nachrichtenportal Ynet stellte auch sie hinter den Führungsanspruch Benjamin Netanyahus zumindest ein vorsichtiges Fragezeichen.

Gefragt, wen sie nach der Wahl dem Präsidenten für die Bildung einer Regierung vorschlagen werde, antwortete sie: „Wir werden den rechtsnationalen Kandidaten als Premierminister vorschlagen, der, wie es momentan aussieht, Benjamin Netanjahu sein wird.“ Auf diese Aussage folgend warf sie dem amtierenden Premierminister vor, die Errichtung eines Staates für die Palästinenser zu unterstützen und bereit zu sein, verurteilte palästinensische Terroristen aus den Gefängnissen zu entlassen.

Linkes Lager bleibt gespalten

Im linken politischen Lager ist währenddessen der Versuch des in die Politik zurückgekehrten, ehemaligen Premierministers Ehud Baraks gescheitert, ein Parteienbündnis zwischen der Arbeiterpartei, der sozial-demokratischen, grünen Partei Meretz und der von ihm gegründeten Israel Democratic Party zu errichten. Dieses Lager blieb in zwei Blöcke gespalten.

Die Arbeiterpartei hat Amir Peretz, der bereits von 2005–2007 erfolglos die Partei führte, zu ihrem neuen Vorsitzenden gewählt. Er entschied sich gegen ein Bündnis mit Ehud Barak und wandte sich für eine gemeinsame Liste nach rechts der in der letzten Wahl noch an der 3,25 Prozent-Sperrklausel gescheiterten Partei von Orly Levy-Abekasis zu. Sie gehörte früher der Partei Avidgor Liebermans an. Es wird davon ausgegangen, dass sowohl Amir Peretz als auch Orly Levy-Abekasis ein Angebot Benjamin Netanjahus vorliegt, falls er die Wahlen im September gewinnen sollte, dass sie mit Ministerposten in die Regierung zu gelangen.

Momentan konzentriert Netanjahu seine gesamte Kampagne darauf, die Stimmen der russischsprachigen Einwanderer zu gewinnen, die traditionell Avigdor Lieberman wählen. Zu diesem Zweck konzentriert er seine Medienpräsenz auf die russischsprachigen israelischen Medien, begrüßt Einwanderer aus der Ukraine direkt am Flughafen kurz nach der Landung in Tel Aviv und an der Fassade der Zentrale des Likud hängt ein riesiges Banner, auf dem er zusammen mit dem russischen Präsidenten Wladimir Putin zu sehen ist. Allerdings schadet dies Yisrael Beitenu in den Umfragen nicht. Die Partei konnte ihre Umfragewerte von fünf auf zehn Sitze in der Knesset verdoppeln – und ohne diese Stimmen wird Netanyahu voraussichtlich keine Regierungskoalition bilden können.

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