Dürre in Ostafrika

Ostafrika: Hungerkatastrophe ohne Beispiel

Ostafrika fühlt sich inmitten der schlimmsten Dürreperiode seit Jahrzehnten allein gelassen. Auch das Hilfswerk Misereor schlägt Alarm.
In Somalia ist nicht nur sauberes, sondern Trinkwasser im Allgemeinen Mangelware
Foto: Joe Giddens (PA Wire) | In Somalia ist nicht nur sauberes, sondern Trinkwasser im Allgemeinen Mangelware.

Vertrocknete Ernten, verbranntes Weideland, verdurstetes Vieh: Der Osten Afrikas wird derzeit von der schlimmsten Dürre seit Jahrzehnten heimgesucht, mit fatalen Folgen für die Menschen. Doch die Not geht in der Berichterstattung hierzulande beinahe unter. Katharina Götte, Länderreferentin von Misereor für Kenia und Südsudan, befürchtet eine der schwersten Hungerkrisen, „ohne dass es bisher sehr stark im Bewusstsein der Menschen in Europa ankommt“.

Speziell am Horn von Afrika (Äthiopien, Somalia, Kenia) entwickle sich die Situation in Richtung der schlechtesten IPC-Einstufung, was akute Mangelernährung und Ernährungsunsicherheit in vielen Regionen angehe.

Die Not ist so groß wie selten

Die sogenannte IPC-Skala (Integrated Food Security Phase Classification) bewertet die Ernährungsunsicherheit eines Gebiets von Phase 1 (minimal) bis Phase 5 (Hungersnot). Drohende und bereits akute Hungersnöte (Phase 4 – Notsituation – und Phase 5) erfordern schnelles Handeln. Wie Katharine Götte gegenüber der „Tagespost“ weiter erläutert, könne man bereits von eine Phase 4 sprechen, also einer Notsituation: „Die nächste Stufe der Ernährungsunsicherheit wird konkret Hungersnot genannt, allerdings bedeutet auch die aktuelle Lage nicht, dass nicht bereits viele Menschen Hunger leiden, sondern nur, dass noch kein so großer Anteil mangel- oder unterernährt ist, dass die Phase 5 – Hungersnot – deklariert wird.“

Lesen Sie auch:

Gleichzeitig müsse man etwa für Kenia differenzieren. „Es sind vor allem Regionen im Norden und Osten betroffen, in anderen Gegenden gibt es keine Dürre, und die Situation ist normal. Natürlich ist das ganze Land von Inflation und Preissteigerungen betroffen, aber speziell die Ernährungssituation im Norden und Osten ist durch den Klimawandel hervorgerufen, auch wenn mir häufig Begründungen begegnen, in denen der Ukrainekrieg verantwortlich gemacht wird.“

Beispiel Kenia: Die Regierung hatte am 8. September 2021 die aktuelle Dürre in vielen Regionen des Landes als nationale Katastrophe eingestuft. Sowohl die Regenzeit von Oktober bis Dezember 2020 als auch beide Regenzeiten der Jahre 2021 und 2022 sind mit ihren Niederschlägen weit unter dem normalen Niveau geblieben. Inzwischen hat sich die Situation der ländlichen Bevölkerung in Bezug auf die Versorgung mit Wasser und Nahrungsmitteln in den ariden und semiariden Regionen (ASAL) stark zugespitzt. Hierbei handelt es sich um meteorologische Begriffe, die das Verhältnis zwischen den Niederschlagsmengen und der potenziellen Verdunstung in einer Region beschreiben.

3,5 Millionen Menschen brauchen humanitäre Hilfe

Auf der Grundlage der letzten Erhebung für die IPC-Klassifizierung wird nach Angaben von Misereor geschätzt, dass sich ein großer Teil der Landkreise im Norden bereits in Phase 4 (kritisch) und Phase 5 (extrem kritisch – die höchste Stufe) befindet, was die akute Mangelernährung der Menschen betrifft. Fünfzehn der ASAL-Landkreise (Counties) befinden sich in Bezug auf die akute Nahrungsunsicherheit.in Phase 3 und 4 (Krise und Notlage), Phase 5 wird schließlich als Katastrophe/Hungersnot klassifiziert. Insgesamt benötigen nach Angaben der „National Drought Management Authority“ von Kenia auf der Grundlage dieser Zahlen 3,5 Millionen Menschen humanitäre Hilfe. Nachdem die Regenzeit im Oktober wieder unter der normalen Regenmenge geblieben ist, wird die Zahl inzwischen auf über vier Millionen geschätzt.

Laikipia County im Zentrum von Kenia, wo die Misereor-Partnerorganisation IMPACT (Indigenous Movement for Peace Advancement and Conflict Transformation) arbeitet, ist eines der von der Dürre besonders betroffenen Counties. Der Großteil der Bevölkerung in der Region lebt nomadisch oder semi-nomadisch und betreibt in erster Linie Viehzucht.

Neben der Dürre haben weitere Faktoren wie die COVID-19 Pandemie und die Heuschreckenplage seit 2020 dazu geführt, dass die Preise für Basisgüter bereits vor dem Beginn des Ukrainekrieges stark gestiegen sind. Seit Beginn des Krieges ist die Situation noch einmal prekärer geworden. Nicht nur die Kosten für Transport und Nahrungsmittel verschlechtern die Versorgungslage, auch die Nothilfeorganisationen mussten ihre Hilfen teilweise reduzieren, weil Weizen knapp und teuer wird und finanzielle Mittel in erster Linie in die Unterstützung der Menschen in der Ukraine fließen.

Der Ukrainekrieg verdrängt Ostafrika aus den Medien

Die Folgen der Situation sind bereits spürbar, heißt es in einer Analyse von Misereor weiter: Die Produktivität der Rinder hat abgenommen und so gibt es weniger Milch für den Eigenbedarf und zum Verkauf. Die Tiere sind zudem weniger gut ernährt und können nicht mehr rentabel verkauft werden.

Viele Menschen haben bereits begonnen, negative Strategien zum Umgang mit der geringen Verfügbarkeit von Nahrungsmitteln anzuwenden. Sie nehmen weniger oder kleinere Mahlzeiten zu sich und verzichten auf Nahrungsmittel, die teuer oder schwer erhältlich sind. Das Vieh, das noch in der Lage ist, weite Strecken zu laufen, wird in die wenigen Gebiete getrieben, in denen es noch Weidemöglichkeiten und Wasser gibt. Dies führt zu erhöhter Konkurrenz unter den Viehhaltern und Viehhalterinnen sowie mit ansässigen bäuerlichen Gemeinden. Häufig entladen sich die entstehenden Konflikte in gewaltsamen Auseinandersetzungen, nicht selten mit Toten.

Am Horn von Afrika liegt die Ursache im Zusammenspiel diverser Krisen: Einige Regionen kämpfen seit 2020 mit Heuschreckenplagen und extremer Dürre. Dazu kommen die Auswirkungen der Corona-Pandemie sowie Bürgerkriege in Somalia und Äthiopien. Atsbaha Gebre-Selassie berät Misereor-Projektpartner in Ostafrika, war früher in Äthiopien tätig. Aufgrund des Krieges musste er allerdings das Land verlassen, lebt und arbeitet nun in Kenia – stets Äthiopien im Blick. Er berichtet gegenüber dieser Zeitung: „Bis zum Jahr 2022 war das Land Äthiopien ein Symbol für Frieden und Stabilität am Horn von Afrika und darüber hinaus. Über zwei Jahrzehnte wuchs die Wirtschaft ununterbrochen und Äthiopien wurde als eine der am
schnellsten wachsenden Volkswirtschaften der Welt beschrieben. Der im November 2020 begonnene Krieg im Norden des Landes hat jedoch alle Errungenschaften der letzten Jahrzehnte zunichte gemacht. Die Region Tigray und einige Teile in den Nachbarregionen Amhara und Afar wurden stark zerstört. Viele Schulen, Gesundheitszentren, Farmen, Wasserstellen, Kirchen, Moscheen, Industrien und andere soziale Infrastrukturen in Tigray wurden stark beschädigt. Glücklicherweise hält das am 2. November 2022 unterzeichnete Friedensabkommen von Pretoria zwischen der äthiopischen Regierung und der Befreiungsfront der Tigray-Völker weiter an.“

Es gibt Zeichen der Hoffnung, erläutert Atsbaha Gebre-Selassie: „Humanitäre Hilfe, einschließlich Medizin und medizinischer Ausrüstung, kommt nun langsam nach Tigray. In vielen Städten wurden die Elektrizitäts- und Telefonverbindungen sowie Flugverbindungen wieder aufgenommen. Der Transport auf den Straßen von Tigray in andere Teile Äthiopiens und umgekehrt hat noch nicht begonnen. Die meisten Menschen in Tigray und in anderen Teilen Äthiopiens hoffen auf die vollständige Umsetzung der in Südafrika und Kenia unterzeichneten Abkommen.“

Konflikte, offene Kriege, Vertreibungen, religiöse Auseinandersetzungen, und ethnische Spannungen sind keine gute Voraussetzung für ein gesundes Zusammenleben, resümiert Atsbaha Gebre-Selassie. Bedrohlich ist die Situation durch die Dürre. In vier Regenzeiten in Folge hat es nicht oder kaum geregnet. Die Situation ist dramatisch: Die Böden sind viel zu trocken, um Getreide oder Gemüse anzubauen.

Mehr als die Hälfte aller Somalier betroffen

Für kleinbäuerliche Familien bedeutet das: keine Ernte und nicht genügend zu essen. Viele Hirtenfamilien haben bereits bis zu 70 Prozent ihres Viehbestands verloren – oft ihre einzige Einnahme- und Versorgungsquelle. Atsbaha Gebre-Selassie berichtet: „Ein ehemaliger Partner von Misereor schickte mir heute Morgen einige Bilder von gestorbenen Tieren. Normalerweise sterben Kamele nur, wenn die Dürre ein extremes Ausmaß erreicht hat“.

Und schließlich Somalia, das seit dem Sturz seiner Regierung 1991 als der Inbegriff eines gescheiterten Staates gilt. Doch die Bedrohung geht nicht nur von der islamistischen Terrormiliz Al-Shabaab aus, sondern von der schlimmsten Dürre seit Jahrzehnten. Hilfsorganisationen befürchten nun eine ähnliche Hungersnot wie im Jahr 2011, als 260.000 Menschen ums Leben kamen.

Aktuell sind in dem Land am Horn von Afrika sechs Millionen Menschen – und damit mehr als die Hälfte der Bevölkerung – von Hunger betroffen, berichtet das UN-Kinderhilfswerk Unicef. Verzweifelte Familien, die sich nicht mehr versorgen können, fliehen vor der Dürre auf der Suche nach Nahrung. Neben dem Hunger ist der Zugang zu Trinkwasser ein großes Problem. Zahlreiche Seen und Flüsse sind ausgetrocknet, die Preise für Trinkwasser massiv gestiegen. Viele Familien können sich kein sauberes Wasser mehr leisten.

In ihrer Hilflosigkeit verlassen sie ihr Zuhause auf der Suche nach einem besseren Ort zu leben. So sind Tausende in Somalia auf der Flucht vor der Dürre, wie überall am Horn von Afrika.

Die Printausgabe der Tagespost vervollständigt aktuelle Nachrichten auf die-tagespost.de mit Hintergründen und Analysen.

Themen & Autoren
Carl-Heinz Pierk Bischöfliches Hilfswerk Misereor UNICEF Äthiopische Regierungen

Weitere Artikel

Die Auswirkungen von Covid-19, bewaffneten Konflikten und der Klimakrise haben laut einer aktuellen UN-Studie „verheerende Konsequenzen“ für die Zukunftsperspektiven von Frauen und Kindern.
18.10.2022, 20 Uhr
Meldung

Kirche

Das ZdK glaubt, in der Absage des Heiligen Stuhls zu Laientaufe und Laienpredigt ein Interesse Roms an Zielsetzungen des Synodalen Weges zu erkennen.
31.03.2023, 15 Uhr
Meldung
In der 23. Folge des „Katechismus-Podcasts“ der „Tagespost“ spricht Margarete Strauss von der Einheit zwischen Altem und Neuen Testament.
31.03.2023, 14 Uhr
Meldung
Der Vatikan schreibt erneut an den DBK-Vorsitzenden Bätzing und erteilt zentralen Synodalforderungen eine Absage. Der Sprecher der Bischöfe betont, im Gespräch bleiben zu wollen.
30.03.2023, 16 Uhr
Meldung