Deutschland hält sich viel auf seine Vergangenheitsbewältigung zugute. Spitzenpolitiker erinnern regelmäßig daran, wie wichtig es sei, sich seiner historischen Verantwortung zu stellen. „Viele Deutsche meiner Generation,“ so erklärte etwa Bundespräsident Frank-Walter Steinmeier, „haben nur dank dieser Aufarbeitung ihren Frieden mit dem eigenen Land machen können“. So lange es um die Aufarbeitung des Nationalsozialismus geht, mangelt es nicht an Initiativen. Denn von den Verantwortlichen ist praktisch niemand mehr am Leben. Schon deutlich weniger entschlossen wird die SED-Diktatur aufgearbeitet.
Er traf sich regelmäßig mit hohen Funktionären der FDJ
Zur Mangelware wird Vergangenheitsbewältigung aber dann, wenn es um persönliche Verstrickungen heutiger Spitzenpolitiker geht. Ein Beispiel dafür gibt dieser Tage Bundeskanzler Olaf Scholz. Als stellvertretender Bundesvorsitzender der Jungsozialisten agitierte er in den 1980er Jahren nicht nur gegen den Kapitalismus, die USA und die NATO. Er kooperierte dabei auch eng mit den Machthabern der DDR.
Wie aus jetzt bekannt gewordenen Unterlagen hervorgeht, traf er sich regelmäßig mit hohen Funktionären der FDJ. Zweimal war er sogar bei Egon Krenz. Gemeinsam mit ihm machte er gegen den Beschluss der NATO mobil, der Bedrohung durch sowjetische Mittelstreckenraketen etwas entgegenzusetzen.
Von einer Aufarbeitung dieser Vergangenheit kann bisher keine Rede sein. Viele Medien verkehrten sie sogar ins Gegenteil und behaupteten, dass Scholz „jahrelang bespitzelt“ worden sei; Belege dafür gibt es nicht. Er selbst sagte nur: „Ist nicht schön, aber so isses eben.“Scholz Umgang mit seiner Vergangenheit erinnert an das Verhalten Angela Merkels. Auch sie hat sich niemals mit ihrer Rolle als FDJ-Sekretär am Zentralinstitut für Physikalische Chemie auseinandergesetzt. Noch hätte Olaf Scholz die Chance, es besser zu machen.
Der Autor war von 2000 bis 2018 Direktor der Gedenkstätte Berlin- Hohenschönhausen.
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