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Es wäre nicht schlimm, wenn der Gesetzesentwurf für eine Impfpflicht ab 60 keine Mehrheit fände. Regierung und Parlament sollten sich eher mit der Stellungnahme des Ethikrats befassen. Ein Kommentar.
Gesetzesentwurf für eine Impfpflicht ab 60
Foto: Boris Roessler (dpa) | Eine Passantin trägt in der Fußgängerzone von Mainz ihre FFP-2 Maske am Handgelenk.

Heute will der Bundestag abschließend über die Einführung einer gesetzlichen Impfpflicht gegen COVID-19 befinden. Nach dem Wegfall der Schutzmaßnahmen dürfte die Entscheidung, unabhängig davon, ob und worauf sich die Volksvertreter verständigen, für viele einem Schlussstrich gleichkommen. Das lässt sich verstehen. Zu nervenzerfetzend, weil über weite Strecken kopflos und angstgesteuert, war der Umgang mit der Pandemie, als dass es nun anders sein könnte.

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Eine sich über mehr als zwei Jahre erstreckende Erregungskurve vermag, Gesundheitsminister und Virologen in den Schlagzeilen zu halten - die Mehrheit der Bürger überfordert sie. Dennoch wäre es falsch, nun einfach unter die Pandemie einen Schlussstrich zu ziehen. Nicht etwa, weil im Herbst gefährliche Mutanten drohten, sondern weil es nun gelten muss, Lehren aus den schwerwiegenden Versäumnissen und Fehlern der Vergangenheit zu ziehen.

Die nächste Wahl kommt bestimmt

Der Anfang ist gemacht. Nachdem sich bei den Befürwortern einer Impfpflicht ab 18 die späte Erkenntnis eingestellt hat, dass ihr unverhältnismäßiges Vorhaben keine Mehrheit im Parlament finden wird, einigten sie sich am Dienstag mit anderen Abgeordneten auf einen Gesetzesentwurf, der eine Impfpflicht für Personen ab 60 Jahre vorsieht. Ob die verhältnismäßig wäre, darüber lässt sich zumindest streiten. Fakt ist jedoch, solange die Union geschlossen hinter ihrem Antrag versammelt bleibt, wird auch der neue Kompromissvorschlag keine Mehrheit finden. Schlimm wäre das nicht.

Fatal hingegen wäre, wenn Regierung und Parlament sich nicht eingehend mit der am Montag vorgestellten Stellungnahme des Ethikrats befassten. Die so mutige wie schonungslose Analyse des von Bund und Ländern gemeinsam zu verantwortenden Pandemie-Managements ist aller Lektüre wert. Politiker sind gut beraten, nicht auf sie zu verzichten. Schon im eigenen Interesse. Wer sich hier als lernunfähig erweist, wird das Vertrauen, das die Regierenden verloren haben, kaum zurückerobern können. Und die nächste Wahl kommt - anders als eine gefährliche Virusvariante - bestimmt.

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Stefan Rehder Deutscher Bundestag Impfpflicht

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