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Nigers Christen treten für Frieden ein

Gerade die Kirche spricht sich am deutlichsten für eine friedliche Lösung in der Sahelzone aus.
Niger, Maradi
Foto: IMAGO/JOERG BOETHLING (www.imago-images.de) | Die katholische Kirche im Niger unterstützt nicht nur die eigenen Gläubigen, sondern auch die muslimische Mehrheitsgesellschaft.

Sie dringen in der Öffentlichkeit oft nicht durch. Es sind auch nicht sehr viele (selbst wenn sich jetzt die Anzeichen für eine gewaltfreie Lösung im Niger-Konflikt mehren). Aber es gibt sie – denn wer genauer hinhörte, vernahm sie neben den lauten Tönen derer, die nach einer Lösung der Krise durch Waffengewalt riefen. Gott hört die Rufe der Bedrängten, heißt es in der Frohen Botschaft. Im Fall Niger dürfte die Antwort wohl am ehesten in jenen Stimmen zum Ausdruck kommen, die sich für eine friedliche Lösung der Krise einsetzen. Denn sehr viel deutet darauf hin, dass weitere Gewalt die Lage der rund 26 Millionen Menschen in einem der ärmsten Länder der Welt nicht verbessern, sondern verschlechtern würde und überdies verheerende Folgen für den gesamten Sahel hätte.

Wer sind diese Stimmen und was können sie bewirken angesichts zunehmender Gewaltbereitschaft? Die Option „Krieg im Sahel“ ist jedenfalls nicht vom Tisch nach der Entscheidung der Westafrikanischen Wirtschaftsgemeinschaft (ECOWAS), eine Truppe bereitzustellen, die jederzeit in Niger einmarschieren kann.

Katholische Kirche: Rückenwind für Friedenskurs

In einer fast vollständig muslimisch geprägten Gesellschaft (in Niger und auch in den benachbarten Staaten) setzt sich zuvörderst die Katholische Kirche für eine friedliche Lösung ein: Mit ihren Appellen, einen friedlichen Weg aus der Krise zu suchen, steht sie an der Seite der breiten Bevölkerung. Und sie hat trotz ihres Minderheitenstatuses in Niger starken Rückhalt in ganz Westafrika.

Zuletzt hatten die Bischöfe von Niger ihre Gläubigen zu drei Tagen des Fastens und des Gebets aufgerufen. Sie verfolgten die Ereignisse wachsam und seien in großer Sorge, heißt es in der Mitteilung der Bischofskonferenz. In einem Interview mit „Vatican News“ sagte der Erzbischof von Nigers Hauptstadt Niamey, Djalwana Laurent Lompo, die Interventionen sollten eher darauf abzielen, dem Volk von Niger wieder Frieden und Stabilität zu bringen. „Das ist es, was die Aufmerksamkeit der internationalen Meinung anziehen müsste: dass wir unsere Kräfte für das einen, was Frieden bringt", so der Erzbischof. Die Bevölkerung im Niger müsse bereits so viel erdulden mit „fast 1,2 Millionen Binnenvertriebenen, die weder Nahrung noch Unterkunft haben und deren Schulen geschlossen sind“. Auch die Vereinigte Bischofskonferenz Westafrikas (RECOWA) hat zu Gebeten aufgerufen, um den Niger „vor Chaos, Anarchie und Krieg zu bewahren“. RECOWA-Präsident Bischof Alexis Touably Youlo rief zudem die internationalen und subregionalen Institutionen dazu auf, „bei allen Entscheidungen, die sie über Niger treffen, das Leiden des Volkes zu berücksichtigen“. Die bereits verhängten Sanktionen durch die ECOWAS (und inzwischen auch durch die EU) und die angedrohten Militärschläge von außen belasteten die Bevölkerung Nigers und versetzten sie in Angst.

Tatsächlich haben die seit dem Putsch geltenden Sanktionen zu einer Verdopplung der Preise für viele Lebensmittel in Niger gesorgt. Die katholischen Hirten sprechen aus, was sehr viele Menschen in Niger denken. Das dürfte auch der ECOWAS klar sein – insofern hat die Position der Kirche Gewicht. Auch wenn der gestürzte Staatspräsident Mohamed Bazoum durch eine gewonnene Wahl demokratisch legitimiert war, ist der Verdruss über die Machenschaften seiner Partei und des von ihr aufgebauten Machtsystems bei vielen Nigrern groß. Die nach dem Militärputsch aufgekommenen Pro-Junta-Demonstrationen waren nicht bloß Versammlungen von Handlangern der Putschisten, sondern auch Ausdruck der Unzufriedenheit mit der Regierung Bazoums und des hinter ihr stehenden Systems. Bazoums Partei für Demokratie und Sozialismus – Parti nigérien pour la démocratie et le socialisme‘ (PNDS-Tarayya) – hat über die Jahre ein das Land fest im Griff haltendes Einflussgefüge aufgebaut, das mit Gemeinwohl und Solidarität, wie es der Parteiname suggeriert, nicht viel zu tun hatte (die „Tagespost“ berichtete).

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Eine Rückkehr zum Status quo ante ist unrealistisch

Wenn dem System jetzt durch Gewalt zu neuem Leben verholfen würde, dürfte das der ohnehin ausgeprägten Unzufriedenheit in der Bevölkerung über die alte Regierung zusätzlichen Schub verleihen. Für die Putschisten wäre es ein Leichtes, die Schuld für alle möglichen Fehlentwicklungen, für die eigentlich sie verantwortlich sind, den vermeintlichen Aggressoren von außen und womöglich auch dem Westen in die Schuhe zu schieben. Doch welche Alternativen gibt es zu einer Rückkehr Bazoums? „Auf einer vollständigen Wiedereinsetzung von Bazoum zu bestehen, hat viele Nachteile. Eine Wiedereinsetzung ist politisch undenkbar. Die Realität hat sich in der Tat durch Gewalt verändert, aber Gewalt kann sie nicht zurücksetzen. Die ideale Lösung wäre die Rückkehr zu einer nigrischen Tradition: der Putsch als Teil der Neuerfindung und Erneuerung des politischen Prozesses, wie ein Computer, der neu gestartet wird“, sagt Rahmane Idrissa, Niger-Experte der Universität Leida, dem katholischen Nachrichtendienst „Fides“.

„Die PNDS wäre von einem solchen Prozess nicht ausgeschlossen, aber ohne dabei die dominante Position zu behalten, die sie bisher vielfach missbraucht hat“, so der Wissenschaftler weiter. „Ich bezweifle, dass die Militärjunta in Niamey ein Abkommen ablehnen würde, das die Aufhebung der Sanktionen als Gegenleistung für die Aktivierung eines solchen politischen Prozesses vorsieht, und mit Garantien für Nigeria, vielleicht durch ECOWAS-Beobachter (insbesondere Nigerianer), die in Niamey stationiert sind – das wäre das auch für Tinubu eine Möglichkeit, sein Gesicht zu wahren“. Bola Tinuba ist seit kurzem Präsident des Nachbarlandes Nigeria, das den Vorsitz von ECOWAS innehat. Tinubu hatte nach dem Putsch in Niger zunächst reflexartig eine militärische Lösung in Erwägung gezogen, dann aber einen diplomatischen Weg vorgezogen.

Neue Möglichkeiten geschaffen

„Es ist noch zu früh, um genau zu sagen, wie der Putsch begonnen hat, aber Tatsache ist, dass er Möglichkeiten geschaffen hat, die es vorher nicht gab. Das Ideal wäre es, diese Möglichkeiten vernünftig zu nutzen und die Temperatur der politischen Positionen zu senken, nicht nur in Niamey und Abuja, sondern auch in Paris und Washington“, so Idrissa. „Das Ideal tritt selten ein, aber das Gegenteil dieses Ideals (im besten Fall verlängerte Sanktionen, im schlimmsten Fall eine bewaffnete Intervention) ist zu düster, um akzeptabel zu sein.“

Dass es eher nicht nach einer Rückkehr Bazoums aussieht, dämmert inzwischen auch der Bundesregierung in Berlin, deren Vertreter Bazoums Wiedereinsetzung anfangs zur zentralen Forderung gemacht hatten. Inzwischen nennt Entwicklungsministerin Svenja Schulze (SPD) – die sich öffentlich von Anfang an für eine friedliche Lösung des Konflikts eingesetzt hatte während Außenministerin Bundesaußenministerin Annalena Baerbock (Bündnis 90 /Die Grünen) schwieg – Bazoum nicht mehr als Teil  einer möglichen Lösung. Bei ihrer Reise nach Mauretanien und Nigeria Mitte August hatte sie bei der Gemeinschaft der zentralen Sahel-Staaten G 5 Sahel und der ECOWAS für einen diplomatischen Weg aus der Krise geworben. Die kleine christliche Gemeinschaft – weniger als 0,3 Prozent der Bevölkerung – ist eine geachtete Minderheit in Niger. Sie ist keinem politischen Lager in besonderer Weise verpflichtet, sondern hat mit ihrer sozialen Arbeit das Gemeinwohl im Blick. Das macht sie für manche verdächtig.

Nigers Christen präferieren kein politisches Lager

So haben die Christen besonders unter der Gewalt islamistischer Gruppen in Niger zu leiden. Das katholische Hilfswerk Kirche in Not berichtet, dass die Gewalt in Niger durch islamistische Terroristen bereits Hunderte Todesopfer gefordert und Hunderttausende seien aus ihrer Heimat vertrieben habe. Derzeit hielten sich viele hunderttausende schutz- und hilfsbedürftige Personen in Niger auf, darunter mehr als 300 000 ausländische Flüchtlinge und Asylsuchende und 360 000 Binnenflüchtlinge. Wegen der prekären Sicherheitslage komme kaum humanitäre Hilfe im Land an. Das treibe die „Spirale der Verelendung des überwiegenden Teils der Bevölkerung, auch der Christen, voran“. Die Terrorangriffe richteten sich in besonderem Maße gegen Christen und christliche Kirchen. Deshalb übten viele ihren Glauben nicht mehr öffentlich aus.
Noch unter Präsident Bazoum verhängte die nigrische Regierung in mehreren Landesteilen den Notstand und verstärkte die Militärpräsenz mithilfe westlicher Staaten und der regionalen G5-Eingreiftruppe. So konnte verhindert werden, dass sich ausländische Dschihadisten-Gruppen dort dauerhaft festsetzen. Wie es im Kampf gegen den islamistischen Terror unter den neuen Machthabern in Niamey weitergeht, ist unklar. Ihr Versprechen, für mehr Sicherheit zu sorgen, dürfte ohne Unterstützung von außen kaum einzuhalten sein. Die russischen Söldner von der „Gruppe Wagner“ stehen schon bereit.

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