Nach Wahlen in Israel

Neue Gefahren in Nahost

Netanjahu deutet sein Comeback als Sehnsucht nach Stärke. Zugleich weiten Moskau und Teheran ihre Zusammenarbeit aus.
Nach der Parlamentswahl in Israel
Foto: Maya Alleruzzo (AP) | Benjamin Netanjahu, ehemaliger Ministerpräsident von Israel und Vorsitzender der Likud-Partei, winkt seinen Anhängern nach den ersten Ergebnissen der Parlamentswahlen 2022.

Israel kommt von "Bibi" nicht los: Der 73-jährige Benjamin Netanjahu, der bereits von 1996 bis 1999 und dann neuerlich von 2009 bis 2021 israelischer Ministerpräsident war, schaffte bei den Neuwahlen am Dienstag ein Comeback. Seine Person war das dominante Wahlkampfthema, denn der Mann, den Freund und Feind "Bibi" nennen, polarisiert. Die einen sehen in ihm den Garant der Stärke Israels angesichts einer brandgefährlichen regionalen Entwicklung, die anderen sähen ihn angesichts von Korruptionsvorwürfen und Strafverfahren am liebsten hinter Gittern.

"Stärke, nicht Schwäche"

Netanjahu selbst deutete das Wahlergebnis in der Nacht auf Mittwoch so: Das israelische Volk wolle "Stärke, nicht Schwäche". Er werde "den Nationalstolz zurückbringen". Unübersehbar ist an dieser fünften Wahl innerhalb von vier Jahren jedoch, wie gespalten die Gesellschaft Israels und wie zersplittert seine politische Landschaft ist. Angesichts der Krisen in der Region setzten viele Israelis auf eine Politik der Stärke und sahen über die Vorwürfe gegen "Bibi" hinweg.

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Immerhin ist der nördliche Nachbar Libanon nun ein gescheiterter Staat, in dem die Staatsmacht der vom Iran gesteuerten Partei Hisbollah und ihrer Miliz keine Grenzen mehr setzt. Das "Land der Zedern" geht seit Wochenbeginn führungslos durch die tiefste Wirtschaftskrise seiner Geschichte, ohne Präsidenten und ohne legitime Regierung. 80 Prozent der Libanesen leben heute an oder unter der Armutsgrenze. Treibstoff und Medikamente sind unerschwinglich teuer, selbst die Preise für Grundnahrungsmittel steigen ins Astronomische. Zudem hat die Cholera, die in Syrien bereits Zehntausende erfasste, nun den Libanon erreicht.

Ob das vor wenigen Tagen unterzeichnete Abkommen Israels mit dem Libanon, das den Streit um die Seegrenze und die Verteilung der Erdgasvorkommen im Mittelmeer regeln sollte, angesichts des libanesischen Zusammenbruchs und der neuen Regierung in Israel Bestand haben wird, bleibt abzuwarten. Hier war unter Vermittlung Washingtons ein Dauerstreit zwischen Nachbarn zu Ende gegangen: ein Prestigeerfolg für Israels Kurzzeit-Premier Jair Lapid.

Der Einfluss des Iran ist stark

Sicher ist, dass jene regionalen Kräfte, die von Teheran gesteuert werden, kein Interesse daran haben, Israel zur Ruhe kommen zu lassen. Dazu zählt die im Libanon wirkende schiitische Hisbollah. Der Einfluss des Iran ist auch in Syrien stark, wo Bashar al-Assad seine Macht mit russischer und iranischer Hilfe rettete. Groß ist Teherans Einfluss auf die neue irakische Regierung, die unter Ausschluss der Iran-kritischen Schiiten des Predigers Muqtada al-Sadr gebildet wurde. An der neuen Regierung in Bagdad beteiligt ist etwa die schiitische "Liga der Rechtschaffenen", die vom Iran gesteuert und von den USA als Terrorgruppe eingestuft wird. Der schiitische Premier Mohammed Shia al-Sudani war einst Minister für Menschenrechte in der Regierung von Langzeit-Premier Nuri al-Maliki, dem Kritiker vorwarfen, durch die Unterdrückung der irakischen Sunniten der sunnitischen Terrormiliz "Islamischer Staat" in die Hände gespielt zu haben. Maliki, der in den 1980er Jahren auf iranischer Seite gegen den Irak Saddam Husseins kämpfte und erst nach Saddams Sturz heimkehrte, spielt wieder eine Rolle: Seine Partei erhielt drei Ministerien, darunter jenes für Erdöl.

So bedrängt die Mullahs im Iran auch sind: In der Region wächst Teherans Macht. Im Krieg um Syrien wie im Konflikt zwischen Armenien und Aserbaidschan haben der Iran und Russland ähnliche Interessen. Dazu kommt, dass Moskau und Teheran dem Einfluss Amerikas und Europas in jener Region Widerstand entgegensetzen, die sie als ihre Einflusszone betrachten: Im Fall Russlands ist dies der Raum der einstigen Sowjetunion und der orthodox geprägte Teil des Balkan; im Fall des Iran der schiitisch geprägte Gürtel vom Westen Afghanistans bis zum Mittelmeer. Kein Wunder, dass der Iran Putins Krieg gegen die Ukraine unterstützt und umgekehrt auf Moskaus Hilfe in Nahost setzt.

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