Wenn in der Hauptstadt Bücher über Politiker vorgestellt werden, dann hat das etwas von „Dornröschen“. So wie im Märchen an der Wiege der gerade geborenen Königstochter Feen erscheinen, um dem Säugling ihre Segenssprüche für sein künftiges Leben mitzugeben, so treten auch Spitzenpolitiker als Paten auf, wenn ein Werk über einen ihrer Kollegen aus der Taufe gehoben werden soll.
Von „Dornröschen“ wissen wir, dass es nicht nur gute, sondern auch böse Feen gibt, war es doch genau eine von denen, die statt Segen einen Fluch brachte – das Resultat war der bekannte Jahrhundertschlaf der Prinzessin. Das haben natürlich auch Verleger auf dem Schirm, deswegen beauftragen sie mit solchen Patenschaften mit Vorliebe Politiker, die Gegner des Buch-Protagonisten sind. In der Hoffnung auf genau diesen „böse Feen-Effekt“ - es muss ja vielleicht nicht gleich ein Fluch sein, aber Gegensätze versprechen zumindest Spannung.
Zwischen Merz und Gabriel gibt es Ähnlichkeiten
Sollte auch der Verlag Langen Müller Ähnliches im Sinn gehabt haben, als er Sigmar Gabriel am Vorabend der großen Haushaltsdebatte am Mittwoch die neue Biographie von Friedrich Merz vorstellen ließ, der ehemalige SPD-Chef machte einen Strich durch die Rechnung. Gabriel zelebrierte geradezu genüsslich die Gemeinsamkeiten mit dem ebenfalls anwesenden „Friedrich“ - die zwei duzen sich. Zwischen beiden gibt es Ähnlichkeiten. Merz war einst Chef des deutsch-amerikanischen Netzwerkes „Atlantikbrücke“, Gabriel ist es jetzt. Und Merz und Gabriel haben Erfahrungen mit einer Art Polit-Zombie-Existenz gemacht, noch kein „Elder Statesman“, aber auch kein aktiver Berufspolitiker mehr.
Dass das Leben in diesem Zwischenreich eine neue Perspektive auf den Politikalltag erlaubt, weiß Sigmar Gabriel, seit er nicht mehr Minister und Abgeordneter ist. Friedrich Merz konnte Gleiches nach seinem Ausstieg aus der Politik vor 20 Jahren erleben. Und so lobte Gabriel auch letztlich sich selbst, als er Merz bescheinigte, dieser zähle zu den „Raren, die sich in der Politik nicht abschleifen lassen“ und er sei „das Gegenteil von anpassungsfähig“.
Damit nahm der Sozialdemokrat das Leitmotiv der beiden Autoren, Jutta Falke-Ischinger und Daniel Goffart, auf, die ihr Buch schließlich „Der Unbeugsame“ genannt haben. Die zwei, beide erfahrene Hauptstadtjournalisten, verstehen ihr Werk nicht ausschließlich als Biographie, sie wollen nachzeichnen, wie der oberste Christdemokrat die Macht in seiner Partei errungen hat und sie nun prägen will. Dabei beschreiben sie Merz als jemanden, der sich einer klaren Zuordnung – Stichwort: der Konservative – entzieht, stattdessen zeichneten ihn vor allem bestimmte Charaktereigenschaften aus: Zähigkeit, Durchhaltevermögen, Standhaftigkeit.
Die Eigenschaften scheinen ihm zu schmeicheln
Merz, der sich diese Thesen ruhig von der Seite anhörte, betonte zwar, er habe an dem Buch nicht mitgewirkt und es auch nicht autorisiert – und doch scheinen ihm die Eigenschaften, die ihm dort zugeschrieben worden sind, durchaus zu schmeicheln. Ist doch das mal etwas anderes als die Klischees, mit denen der Sauerländer seit eh und je zu kämpfen hat. Für seine Gegner ist Friedrich Merz der böse Turbo-Kapitalist, für seine Freunde der konservative Retter der Union. Doch Merz - so konnte man aus seinen Aussagen an diesem Abend heraushören – sieht sich weder als den einen, noch als den anderen. Gleichwohl: Dass der 67-Jährige eine Projektionsfläche für seine Gegner wie für seine Anhänger ist, lässt sich schwer leugnen. Genauso wenig, dass dieser Effekt bei seinen Anhängern während seines Kampfes um den Parteivorsitz Sehnsüchte wach werden ließ – er sollte die Repräsentationslücke rechts der Mitte füllen, die Angela Merkel gelassen hatte.
Aber will Friedrich Merz das überhaupt? Geradezu ungerührt kommentierte der CDU-Chef die Gründung einer neuen Rechtspartei, die sich am Dienstagvormittag in Berlin konstituiert hatte. „Bündnis Deutschland“ – auch ehemalige CDU-Mitglieder sind dabei: „Ich nehme das ernst, lasse mich aber nicht verängstigen.“ Und überhaupt, er sei nicht Repräsentant einer bestimmten Strömung, sondern müsse als Vorsitzender das ganze Spektrum der Union abdecken. Hier zeigte sich Merz dann tatsächlich als Bewahrender: Die Existenz von Volksparteien sei ein Pfund, mit dem Deutschland im Vergleich zu den USA und anderen europäischen Ländern wuchern könne, das müsse auf jeden Fall konserviert werden.
Mit Technik gegen den Klimawandel
Ansonsten blickte Merz in die Zukunft: Der Klimawandel sei das zentrale Thema - und zwar milieu- und generationenübergreifend. Anders als die Grünen und die SPD müsse die Union betonen, dass es darum gehe, Techniken zu entwickeln, die das Problem lösen. Deutschland sei leider viel zu saturiert, um hier innovativ zu sein.
Diese Klage über die deutsche Technik-Skepsis hätte man so ähnlich auch schon vor 20 Jahren in einer Merz-Rede hören können. Und so stellt sich der Eindruck ein, dass hier einer, der selbst ziemlich saturiert ist, die Saturiertheit der Deutschen geißelt. Aber vielleicht beherzigt Merz auch nur das, was Sigmar Gabriel ihm rät: Er solle bloß nicht den Fehler machen, die Grünen zu imitieren. Die Menschen sehnten sich nämlich nach Politikern, die eine „geradlinige Spur“ hinter sich zögen. Und vielleicht liegt so eine Geradlinigkeit bei Merz gerade in dessen Saturiertheit. Ob dieser Ratschlag von „Fee“ Sigmar tatsächlich ein Segen für „Friedrich“ ist, wird aber wohl erst die Zukunft zeigen. Es wird einmal.
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