Rom

Matteo Salvini hat sich verrechnet

Politik wird in Italien immer noch nicht auf den Plätzen und Stränden gemacht, sondern in den Hinterzimmern der Macht.
Regierungskrise in Italien
Foto: Ettore Ferrari (ANSA) | dpatopbilder - 20.08.2019, Italien, Rome: Giuseppe Conte (r), Ministerpräsident von Italien, hält eine Rede neben Matteo Salvini, Innenminister und Vize-Premier von Italien, in der Abgeordnetenkammer.

Nun ist auseinandergefallen, was eigentlich nicht zusammengehörte. Es war zwar ein nachvollziehbares Kalkül von Lega-Chef Matteo Salvini, sich nach den Nationalwahlen im März 2018 nicht mit den klassischen Rechtsparteien „Forza Italia“ und „Fratelli d’Italia“ zu einem Regierungsbündnis zusammenzutun, da dann der immer noch patriarchenhaft auftretende Silvio Berlusconi den eigentlichen Chef dieses Rechtsbündnisses gespielt hätte, obwohl die „Lega“ dessen Partei längst überholt hat. Also raufte sich Salvini mit der von dem smarten Luigi Di Maio geführten „Bewegung der fünf Sterne“ zusammen, dem Wahlsieger von 2018.

Ein Koalitionsvertrag musste her, damit sich die ungleichen Brüder auf einige gemeinsame Projekte einigen konnten. Und der parteilose Ministerpräsident Giuseppe Conte, ein von der Fünf-Sterne-Bewegung angeheuerter Rechtsprofessor, erwies sich als Glücksfall: Immer wieder gelang es ihm, Salvini und Di Maio an einen Tisch zu bringen und den schwachbrüstigen Haushaltsplan Italiens für das Jahr 2019 gemeinsam mit Brüssel unter Dach und Fach zu bringen.

Salvini muss der Erfolg bei der Europawahl zu Kopf gestiegen sein

Allen Unkenrufen zum Trotz hätte die merkwürdige Koalition von Fünf-Sterne-Bewegung und „Lega“ also weiterarbeiten können, zumal Salvini in seiner Eigenschaft als Innenminister zwei scharfe Sicherheitsgesetze im Parlament durchbekam, die die Einreise von Flüchtlingen dank privater Seenotretter praktisch unterband. Selbst beim Bau der Hochgeschwindigkeitstrasse von Turin nach Lyon, den die „Bewegung der fünf Sterne“ unbedingt verhindern wollte, setzte sich Salvini durch und erreichte die Fortsetzung der Tunnelarbeiten.

Aber der gewaltige Wahlerfolg bei der Europawahl dieses Jahres muss dem Lega-Chef dann zu Kopf gestiegen sein. Immer mehr zog es Salvini auf die Plätze und an die Strände. Wüste Attacken gegen Europa, gegen den Koalitionspartner, gegen Deutschland und Frankreich und natürlich gegen die privaten Seenotretter imponierten zwar seiner jubelnden Anhängerschaft. Aber als er dann, kurz nach Beginn der Parlamentsferien und wenige Tage vor dem Urlaubshöhepunkt zu „Ferragosto“, den berühmten Stecker zog, das Ende der Koalitionsregierung erklärte und Neuwahlen forderte, hatte er sich und das Gewicht seiner Worte völlig überschätzt.

Conte tritt zurück und rechnet mit Salvini ab

Gestern hat Regierungschef Conte seinen Rücktritt erklärt, aber vorher im Parlament mit Salvini abgerechnet. Dieser habe seine persönlichen Interessen und parteipolitisches Kalkül vor das Wohl der Regierung und der Italiener gestellt. Andere Abgeordnete rechneten dem Innenminister vor, wie viele (also wie wenige) Tage er im Parlament und im Innenministerium verbracht hat und stattdessen Versammlungen auf Plätzen und Stränden abhielt. Wie ein geprügelter Hund saß Salvini im Senat neben seinem Regierungschef, der dann auf den Quirinalshügel zu Staatspräsident Sergio Mattarella fuhr, um seinen Rücktritt einzureichen. Dass es aber nun – wie von Salvini gewollt – Neuwahlen geben wird, ist noch lange nicht gesagt.

Ob es Neuwahlen gibt, ist noch nicht klar

Die starke Figur im italienischen Staat ist eigentlich nur der Präsident. Mattarella hat jetzt die Konsultationen mit allen politischen Kräften begonnen und entscheidet, wie es weitergeht. Und hier liegt der Knackpunkt. Mattarellas Amtszeit endet 2022. Jetzt in Italien wieder zu wählen – wobei die „Lega“ sicherlich stärkste Kraft würde –, hieße, die Mehrheiten in den beiden Kammern des Parlaments deutlich nach rechts zu verlagern, was dann bei der Wahl des neuen Präsidenten ausschlaggebend wäre.

Darum haben die Kräfte, die in Italien wirklich etwas zu sagen haben – wie die Hochfinanz oder Ex-Regierungschef Romano Prodi – größtes Interesse daran, dass die Mehrheiten in Senat und Abgeordnetenkammer so bleiben, wie sie derzeit sind. Salvinis Kalkül ist nicht aufgegangen. Die eigentliche Politik wird in Italien immer noch nicht auf den Straßen gemacht, sondern in den Hinterzimmern der Macht.

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