Dass Mario Draghi nicht nur der nächste Ministerpräsident Italiens sein wird und bald eine Regierung der nationalen Einheit führt, sondern dass ihm in dieser Eigenschaft bereits jetzt schon der Ruf als „Deus ex machina“ in Zeiten höchster (Corona-)Not anhängt, gilt als ausgemachte Sache. Nach dem Tauziehen um die Vorgängerregierung von Giuseppe Conte fliegen dem einstigen Gralshüter der europäischen Geldpolitik die Herzen nur so zu. Selbst die Galionsfigur der rechten Opposition, Matteo Salvini, hat Draghi die „bedingungslose“ Unterstützung zugesagt. Doch wer ist dieser „professore“, von dem sich die Italiener erhoffen, dass er selbst einer Angela Merkel das Wasser reichen und einen Emmanuel Macron oder gar Pedro Sánchez blass aussehen lassen kann?
Der den Euro rettete
Draghi gilt als frommer Katholik, der mit fünfzehn Jahren, als er in Rom auf eine angesehene Schule der Jesuiten ging, beide Eltern verloren hat und seinen beiden jüngeren Geschwistern Vater und Mutter ersetzen musste. Nach dem Studium der Wirtschaftswissenschaften, der Zeit als Doktorand am MIT in Boston und in Cambridge und als Wirtschaftsprofessor in Trient, Padua und Venedig kam der Sprung in die Praxis: Ab 1991 als Generaldirektor im italienischen Finanzministerium, von 2002 bis 2005 als Spitzenbanker bei Goldman Sachs International in London und schließlich als Gouverneur der italienischen Notenbank. Seine steile Karriere krönte der heute 73-Jährige 2011 mit dem Sprung an die Spitze der Europäischen Zentralbank, wo er mit dem legendären Ausspruch „Whatever it takes“ Geschichte schrieb: Auf dem Höhepunkt der Finanz- und Eurokrise versicherte er 2012 bei einer Rede in London, er werde „alles Notwendige“ tun, um den Euro zu erhalten, und notfalls Staatsanleihen durch die Europäische Zentralbank ankaufen. Seither gilt er als Retter des Euro und der europäischen Finanzmärkte.
Italien kann sein Glück kaum fassen
Und „Super-Mario“ soll nun italienischer Regierungschef werden. Italien kann sein Glück immer noch nicht fassen. Als auf dem Höhepunkt der Krise von 2011 Mario Monti als Sparkommissar von Brüssels Gnaden ein Kabinett von parteilosen Fachleuten bildete, galt es, den Gürtel enger zu schnallen. Draghi dagegen kann ausgeben. Über zweihundert Milliarden Euro stellt die Europäische Union Italien als Corona-Beihilfen zur Verfügung. Staatspräsident Sergio Mattarella hat den gerufen, dem man am ehesten zutraut, Investitionen und Strukturförderung sinnvoll zu planen und umzusetzen. Dafür hat Draghi zwei Jahre Zeit. Erst im Mai 2023 stehen in Italien die nächsten Nationalwahlen an.
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