Am 10. April wählen die Franzosen aus zwölf Präsidentschaftskandidaten die zwei aus, von denen einer dann als französisches Staatsoberhaupt aus der Stichwahl am 24. April hervorgehen wird. Drei Tage vor dem ersten Wahlgang stehen die Zeichen auf Rückspiel für 2017. Laut aktueller Umfragen hat sich der Abstand zwischen Emmanuel Macron und der rechten Kandidatin Marine Le Pen in den letzten zwei Wochen um die Hälfte reduziert.
Macrons Schwächen und die Taktik der Linken
Nachdem der Beginn des Ukrainekriegs die Werte für den amtierenden Präsidenten kurzzeitig auf über 30 Prozent hatte hochschnellen lassen, pendeln sie sich nun auf 27 Prozent ein. Die Tochter Jean-Marie Le Pens folgt ihm mit 22 Prozent. Ihre beiden Konkurrenten aus dem rechten und bürgerlichen Lager, Eric Zemmour und Valérie Pécresse, streiten mit jeweils rund nur noch zehn Prozent um den vierten Platz. Hingegen ist der linke EU-Kritiker Jean-Luc Mélenchon mittlerweile auf Platz drei aufgestiegen. Er profitiert vom taktischen Wahlverhalten der Linken, deren übrige Kandidaten sich auf den hinteren Rängen tummeln.
Trotz des deutlichen Vorsprungs Macrons sind in den letzten Tagen vermehrt die Schwächen seines Wahlkampfs deutlich geworden. Erst vor rund einem Monat ist der Präsident offiziell in den Ring gestiegen. Seitdem, so schätzt der Politikredakteur des „Figaro“ Guillaume Tabard, habe der Präsident-Kandidat keine Dynamik entfalten, sondern lediglich halbherzige und enttäuschende Akzente setzen können: „ein Brief an die Franzosen, der seinen Wunsch nach einer zweiten Amtszeit schlecht erklärte, ein Programm, aus dem keine herausragenden oder originellen Maßnahmen hervorgehen, zu späte und zu wenige Reisen, um wirklich mit den Franzosen in Kontakt zu kommen“.
Macrons beschwört nationale Einheit
Medien und politische Gegner werfen Macron außerdem vor, an keinem einzigen Fernsehduell gegen einen oder mehrere der anderen Kandidaten teilgenommen zu haben. Der Druck auf ihn wächst zudem, seit durch eine Untersuchung des Senats Mitte März bekannt wurde, dass die Ausgaben der Regierung für externe Beratungsfirmen in Macrons Amtszeit von knapp 400 Millionen auf fast 900 Millionen gestiegen sind.
Gegner Macrons werfen dem Präsidenten eine Abhängigkeit von Beratungsfirmen und die intransparente Vergabe von Aufträgen vor. Bei der einzigen Wahlkampfveranstaltung des Favoriten am vergangenen Samstag beschwor Macron vor 30 000 Zuhörern die nationale Einheit „von der Sozialdemokratie bis zum Gaullismus“ gegenüber „denjenigen, die das Gift der Spaltung säen und die Menschen entzweien wollen“.
Rekord an Nicht-Wählern aufgrund eines schlappen Wahlkampfes
Im Lager Macrons macht sich auch Unruhe angesichts der Umfragewerte Marine Le Pens breit. Deren frühere Nähe zu Wladimir Putin hat ihr zu Beginn des Ukrainekriegs in den Umfragewerten nur kurzzeitig geschadet. Le Pens Strategie, einen weniger lautstarken Wahlkampf nahe an der Basis zu führen, zahlt sich nun aus. Spätestens seit den monatelangen Protesten der „Gelbwesten“ gegen die Energie- und Steuerpolitik Macrons bedient die Kandidatin des „Rassemblement National“ konsequent das Thema Kaufkraft. Ihre Klientel speist sich weitgehend aus den Arbeiter- und unteren Mittelschichten.
Politikwissenschaftler fürchten mit über 30 Prozent Nicht-Wählern einen traurigen Rekord. Jérôme Sainte-Marie, Chef des Meinungsforschungsinstituts Pollingvox, sieht den Grund dafür in einem schlappen Wahlkampf. Dieser sei durch den Ukrainekonflikt ausgebremst worden, „aber auch dadurch, dass der Präsident sich nicht wirklich auf den Wahlkampf eingelassen hat“.
Besonders von Teilen der relativ jungen und bildungsferneren Klientel Le Pens und Mélenchons sei zu erwarten, dass sie sich bei der Wahl am Sonntag enthielten, so der Politikwissenschaftler. Enthaltungen könnten jedoch auch Macron betreffen: „Das Team von ,La République en marche‘ merkt gerade, dass die Gefahr besteht, dass sich ihre Wähler in zu großer Sicherheit wiegen und deshalb nicht zur Wahl gehen.“ Sowohl Macron als auch Le Pen zielen nicht nur auf ihre „Überzeugungs-Wähler“ ab, sondern rechnen schon im ersten Wahlgang mit der Taktik jener, die vor allem den jeweils anderen Kandidaten verhindern möchten.
Die Printausgabe der Tagespost vervollständigt aktuelle Nachrichten auf die-tagespost.de mit Hintergründen und Analysen.