Säkularisierung

Laizisten in der SPD machen mobil

Künftig wird es in der SPD einen bundesweiten „Arbeitskreis Säkularität und Humanismus“ geben. Einer der Initiatoren ist der frühere Hamburger Abgeordnete Gerhard Lein – er tritt für eine stärkere Trennung von Kirche und Staat ein.
Parteibücher der SPD
Foto: Michael Kappeler (dpa) | Ein Arbeitskreis von Laizisten hat sich in der SPD gegründet. Säkulare in der Sozialdemokratie auf dem Vormarsch.

Gerhard Lein lebt in Hamburg, er kennt sich mit Schiffen gut aus. „Große Tanker brauchen lange Vorlaufzeiten, um zu steuern“, sagt der SPD-Politiker und langjährige Abgeordnete der Hamburgischen Bürgerschaft. Mit dem Tanker meint er seine eigene Partei. Denn der Bundesvorstand der Sozialdemokraten hat vor kurzem einen Beschluss umgesetzt, auf den Lein und seine Mitstreiter viele Jahre hingearbeitet haben: In der SPD werden sogenannte humanistische oder konfessionsfreie Mitglieder künftig ein stärkeres Gewicht haben.

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Säkularität 

In seiner Klausurtagung Anfang April hat der SPD-Bundesvorstand beschlossen, einen „Arbeitskreis Säkularität und Humanismus“ einzusetzen. Eine entsprechende Forderung hatte der Bundesparteitag bereits im Dezember vergangenen Jahres mit großer Mehrheit aufgestellt.

Neben den „Christen in der SPD“ sind bisher Juden und Muslime mit einem eigenen Arbeitskreis vertreten. Nach langen Diskussionen erhalten nun auch die Konfessionslosen und Atheisten eine eigene Repräsentanz, ihre Stellung in der Partei dürfte dieser Schritt weiter aufwerten. Auch auf Landesebene, so in Berlin und Nordrhein-Westfalen, hatten sich in jüngster Vergangenheit bereits entsprechende Gremien gegründet. Doch der Erfolg für die Laizisten auf Bundesebene hat eine lange Vorgeschichte. Schon vor über zehn Jahren haben Gerhard Lein und Gleichgesinnte einen solchen Arbeitskreis gefordert – zunächst ohne Erfolg.

Durchbruch mit Kühnert

„Lange Zeit herrschte Schweigen“, sagt Lein im Gespräch mit dieser Zeitung. Sie gründeten zunächst ein Netzwerk außerhalb der offiziellen Parteistrukturen, nannten sich „Säkulare Sozialdemokrat_innen“. Doch das war der Parteiführung wiederum ein Dorn im Auge. Noch 2019 eskalierte der Konflikt. Der damalige Generalsekretär und heutige Bundesvorsitzende Lars Klingbeil verbot dem Arbeitskreis einem Bericht der „Frankfurter Allgemeinen“ zufolge, sich als „Sozialdemokraten“ zu bezeichnen.

Doch gerade der Aufstieg Klingbeils zum Parteichef könnte dem Netzwerk zum Duchbruch verholfen haben. Mit seinem Nachfolger als Generalsekretär, dem früheren Juso-Vorsitzenden Kevin Kühnert, mache sich ein Generationenwechsel an der Parteispitze bemerkbar, meint Gerhard Lein. „Mit Kühnert haben wir jemanden, der schon vor zehn Jahren eher auf unserer Seite war“, sagt er im Gespräch. Auf dem Parteitag im Dezember sind die Laizisten dann in die Offensive gegangen: Sieben gleichlautende Anträge haben die Einrichtung eines laizistischen Arbeitskreises gefordert. Da mussten wohl auch die Skeptiker in der Parteiführung erkennen, dass sie an dieser Forderung nicht mehr vorbeikommen, zumal gerade mit Olaf Scholz der erste konfessionslose Bundeskanzler vereidigt worden war – ohne die Zusatzformel „So wahr mir Gott helfe“.

Säkulare Sozis

Der Beschluss des Parteitags war freilich nicht bindend, er konnte nur an den Parteivorstand appellieren. Doch der lieferte – und hat längere Gespräche mit dem Netzwerk der „Säkularen Sozis“ geführt. Auch den Humanistischen Verband Berlin-Brandenburg sowie die Humanistische Vereinigugung in Nürnberg habe die Parteispitze mit ins Boot geholt, berichtet Gerhard Lein. Im April folgte dann der Durchbruch: Der Parteivorstand gab grünes Licht für die Arbeitskreis-Gründung. „Ihr habt jetzt was zu tun“, so interpretiert Lein dieses Votum.

Das heißt: Der Generalsekretär müsse jetzt in der Partei Voraussetzungen dafür schaffen, dass der Bundesvorstand einen Gründungsvorstand benenne. Der müsse dann innerhalb eines halben Jahres einen öffentlichen Aufruf starten. Jedes Parteimitglied, so betont Lein, habe die Möglichkeit, in dem Arbeitskreis mitzuwirken. Im Herbst oder Winter, wenn genügend Mitglieder zusammengekommen sind, solle dann nach Möglichkeit ein ordentlicher Vorstand gewählt werden. Ein Initiativkreis sei bereits in diese Richtung aktiv geworden. So habe es vor kurzem bereits eine Veranstaltung zum aktuell stark diskutierten Thema des assistierten Suizids gegeben.

Laizisten sind für ein  „Recht auf Selbsttötung“

Damit wird auch der inhaltliche Rahmen des künftigen Arbeitskreises „Säkularität und Humanismus“ deutlich: Es geht um ethisch-religiöse Fragen, die Laizisten wollen bei diesen Themen mehr Deutungshoheit erlangen. Neben dem „Recht auf Selbsttötung“, welches das Bundesverfassungsgericht vor zwei Jahren in einem wegweisenden Urteil begründet hat, geht es den „Konfessionsfreien“ insbesondere um die Abschaffung des Werbeverbots für Abtreibungen oder die Ablösung der Staatsleistungen an die Kirchen. Diskutieren wollen die Laizisten auch die mögliche bundesweite Einführung einer „humanistischen Lebenskunde“ anstelle des Religionsunterrichts.

Das sei Ländersache, gesteht Lein im Gespräch ein. Zudem regelt Artikel 7 Absatz 3 des Grundgesetzes: „Der Religionsunterricht ist in den öffentlichen Schulen mit Ausnahme der bekenntnisfreien Schulen ordentliches Lehrfach.“ Hier, so Lein, müsse eine bundesweite Diskussion stattfinden, die den Ländern Wege weise, wie man aus der „Klemme“ herauskomme, dass wir eine immer entkirchlichtere Gesellschaft seien. „Die Gesellschaft ändert sich, wir sind säkularer als in der Vergangenheit“, so Lein. Doch präferiere das Grundgesetz nach wie vor den Religionsunterricht. „Das sind sehr vage Überlegungen, wir sind da sehr zurückhaltend“, unterstreicht der frühere Bürgerschaftsabgeordnete, der in Hamburg einst evangelische Religion unterrichtet hat und sich heute als „konfessionsfrei“ bezeichnet.

Gegen kirchliches Arbeitsrecht

Man wolle jetzt niemandem „grell Paroli bieten“, sagt Gerhard Lein – und spielt damit auf die drei religiösen Arbeitskreise an, die in der SPD bereits länger existieren. „Wir wollen im Grunde genommen deutlich machen, dass die Gesellschaft eine zunehmende Zahl von säkular denkenden Menschen hat und dass die Parteien das in ihrer Programmatik stärker berücksichtigen müssen.“ Die Vorsitzende des Arbeitskreises „Christen in der SPD“, die nordrhein-westfälische Bundestagsabgeordnete und Parlamentarische Staatssekretärin Kerstin Griese, glaubt auf Nachfrage dieser Zeitung indes nicht, dass mit dem neuen Arbeitskreis eine inhaltliche Neuorientierung der Partei einhergehe.

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Im Grundsatzprogramm der SPD sei festgelegt, so Griese, dass die Partei ihre Wurzeln „in Judentum und Christentum, Humanismus und Aufklärung, marxistischer Gesellschaftsanalyse und den Erfahrungen der Arbeiterbewegung“ habe. Als „überzeugte evangelische Christin“ trete auch sie für eine säkulare Gesellschaft ein. Insbesondere sehe sie Reformbedarf beim kirchlichen Arbeitsrecht, bei dem man „die Kirchen in die Verantwortung nehmen“ müsse. Es sei längst nicht mehr hinnehmbar, dass in katholischen Einrichtungen die individuelle Lebensführung sanktioniert werde, meint die SPD-Bundestagsabgeordnete.

Keine Reaktion

Der Vorsitzende des Arbeitskreises jüdischer Sozialdemokratinnen und Sozialdemokraten, Abraham de Wolf, teilte auf Nachfrage mit, man trete weiterhin offensiv für die Religionsfreiheit als eine Grundlage der Demokratie ein. „Das Grundgesetz und das Bundesverfassungsgericht schützen deshalb das religiöse Leben in Deutschland. Wer dagegen anrennt, wird scheitern“, so de Wolf. Der Arbeitskreis Muslime äußerte sich trotz wiederholter Nachfrage nicht zur Gründung des Laizistischen Arbeitskreises. Und auch die SPD-Parteiführung reagierte nicht auf mehrmalige Nachfragen.

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