Kommentar: Werte sind stärker

Den Gläubigen gehört die Zukunft, aber wie die Kultur der Zukunft aussehen wird, das entscheidet sich heute. Von Jürgen Liminski

Fruchtbarkeit und Geburten sind eine Frage der Werte. Diese These vertrat schon Benjamin Franklin, der Wissenschaftler, Schriftsteller, Diplomat, Verleger, kurzum eine der markanten Persönlichkeiten des 18. Jahrhunderts. Und religiöse Werte seien der Hauptgrund für die hohe Geburtenrate in der neuen Welt, sie würden sinken, so Franklin, sobald der Wohlstand steige. Ein Zeitgenosse des Amerikaners, Adam Smith, bestätigte in seinem Klassiker „Wohlstand der Nationen“ diesen Zusammenhang. Der merkantile Geist – er meinte den kapitalistischen, auf materiellen Reichtum fixierten Geist – „ersticke die heroische Gesinnung“, schrieb er. Viele andere Forscher bestätigten seither diesen Zusammenhang und die Zahlen geben ihnen recht. Der renommierte Demograf Herwig Birg spricht von dem „demografisch-ökonomischen Paradoxon“. Das Paradoxon (je materiell wohlhabender desto weniger Kinder) wird von geistigen Werten durchbrochen. Dazu gehört der Glaube. Er ist, wie Kierkegaard sagte, „die größte Leidenschaft im Menschen“. Keine Frage: Die religiöse Leidenschaft hat nicht nur karitative Taten motiviert. Aber sie ist es, die künftig die Geschicke der Welt, die Weltkultur dominieren wird. Fragt sich nur, welche Religion? Der Islam ist die am schnellsten wachsende Religion und ihr Wachstum übertrifft auch das der Weltbevölkerung. Die Christenheit ist heute insgesamt zwar zahlreicher und erst gegen Ende des Jahrhunderts wird es, so die Prognosen, auch mehr Muslime als Christen geben. Den Gläubigen gehört die Zukunft, ja, aber wie die Kultur der Zukunft aussehen wird, das entscheidet sich heute. Denn das Wachstum des Islam ist kein Schicksal, auch in islamischen Ländern wirkt das demografisch-ökonomische Paradoxon. Wenn das Christentum in Europa allerdings weiter an Lebenskraft verliert, wird die Welt vielleicht wohlhabender, aber auch ärmer an vitaler Freiheit, Vertrauen und Liebe sein.

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