Berlin

Kommentar: Die grüne Gretchenfrage

Dass die Grünen ein attraktiver Mehrheitsbeschaffer für die Union sind, liegt auf der Hand. In christlichen Kernfragen wie dem Lebensschutz sollten für die Union aber keine Kompromisse hinnehmbar sein.
Unterzeichnung Koalitionsvertrag für Schwarz-Grün in Hessen
Foto: Fredrik Von Erichsen (dpa) | In Hessen schon etabliert: eine Koalition aus Grünen und der Union. Im Bild: Der hessische Ministerpräsident, Volker Bouffier, und der Wirtschaftsminister Tarek Al-Wazir.

Es sieht so aus, als ob es nach der Bundestagswahl eine Schwarz-Grüne Koalition geben wird. Selbst Friedrich Merz blinkt mittlerweile in Interviews in diese Richtung.

Der Anspruch auf das Kanzleramt ist legitim

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Dass die Grünen ein attraktiver Mehrheitsbeschaffer für die Union sind, liegt auf der Hand. Eine Wiederauflage der Großen Koalition will niemand, AfD und Linke fallen als potenzielle Partner aus, die FDP wird nicht stark genug werden. Bleiben nur die Grünen. Es ist vollkommen legitim, dass die Union den Kanzler stellen will. Ja, es wäre geradezu das Todesurteil für die einzige noch verbliebene Volkspartei, wenn sie diesen Willen nicht mehr aufbringen würde. Weiterhin ist richtig, dass man sich Koalitionsbündnisse nicht erträumt, sondern in der Realität zusammenzimmern muss. Und wenn diese machtpolitische Wirklichkeit einen grünen Schimmer hat, dann ist das eben so.

Die Koalitionsfrage wird aus einem anderen Grund zur grünen Gretchenfrage für die Union: Wofür wollt ihr eure Macht einsetzen? Die Grünen als kleinerer Partner sind der Mehrheitsbeschaffer für die Union. Aber - das gehört zum Koalitionsspiel dazu - in manchen Punkten wird die Union auch den grünen Herzensanliegen im Parlament einen Sieg ermöglichen müssen. Für welche Themen schlägt das grüne Herz? Eine Prognose lässt das neue grüne Grundsatzprogramm zu, das aktuell in der Partei diskutiert wird: In dem Entwurf heißt es etwa: "Schwangerschaftsabbrüche haben nichts im Strafgesetzbuch verloren." Und zu der Frage der Geschlechtszuordnung wird festgestellt: "Intergeschlechtliche und transsexuelle Menschen haben ausschließlich selbst das Recht, ihr Geschlecht zu definieren."

Eine Partei muss wissen, warum sie die Macht will

Wird die Union wissen, dass viele christliche Wähler ihr nur deswegen über ihre Stimme Macht verleihen, um solche Forderungen zu verhindern? Es ist legitim, Macht erringen zu wollen. Aber eine Partei muss wissen, warum sie die Macht will. Es reicht nicht, den Kanzler stellen zu wollen, damit nur niemand von der Konkurrenz den Stuhl besetzt. In der Steuerpolitik kann man Kompromisse machen, in diesen Fragen nicht. Hier wird sich zeigen, was die echten schwarzen Herzensanliegen sind.

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