Die Berliner Mohrenstraße ist in den letzten Jahren ihres dreihundertjährigen Bestehens zum Mittelpunkt einer Diskussion geworden, die einen neuen Zenit erreicht hat. Schon vor der Debatte um die Diskriminierung von schwarzen Minderheiten hatten sich linke Protestgruppen über den Namen echauffiert, da er rassistisch sei und die koloniale Vergangenheit nicht aufarbeite. Dass die Herkunft des Namens bis heute nicht geklärt ist, hat verschiedene Aktivisten nicht davon abgehalten, das Objekt als so obszön zu betrachten, dass man aus Rücksicht vor etwaigen Gefühlen nur noch von der „M-Straße“ spricht.
Der Zeitgeist verträgt keine Ambivalenzen mehr
Nahezu jährlich versuchen die Säuberungsmeister nunmehr das Territorium für sich zu erobern. Die Berliner Verkehrsbetriebe wollten ein Zeichen setzen und benannten den U-Bahnhof Mohrenstraße jüngst zugunsten der ebenfalls in der Nähe verlaufenen Glinkastraße um. Kaum glaubte man die Diskussion erledigt zu haben, und mittels Tugendzeichen die richtige Ideologie zu vertreten, meldeten sich plötzlich Kritiker von der anderen Seite. Der Komponist Michail Glinka sei Antisemit gewesen, die Umbenennung ein Skandal. Zwar hatte man sich im letzten Jahrhundert so wenig an Glinka gerieben wie die anderen Jahrhunderte über am Mohren; doch geschenkt, die Empörung wurde lanciert, dieses Mal auch von der Bild-Zeitung, die es der linken Stadtregierung heimzahlen wollte.
Die Posse zeigt zweierlei. Der Zeitgeist verträgt keine Ambivalenzen mehr, wenn ein Wort wie Mohr – das in seiner Bedeutung vom „edlen Mohr“ bis zum „Höllenmohr“ vom Kontext abhängig ist – als Empörungsanlass reicht. Zweitens zeigt es den unheilvollen Anteil der Medien am Bildersturm, wenn sie es für eine Schlagzeile in Kauf nehmen, den Ikonoklasten Futter zu bieten. In Zukunft dürften Namenspaten nur noch Heilige sein. Dass der Mohr (auch) eine Verballhornung des Heiligen Mauritius ist, wissen die Verantwortlichen sowieso nicht mehr.