Es ist eines der kontroversesten Sportereignisse unserer Zeit, die Fußball-Weltmeisterschaft in Katar. Eine Mehrheit der Deutschen hält die Vergabe der „WM der Schande“, wie eine Fernsehdokumentation lautete, für einen Fehler, spricht sich für einen Boykott aus. Dabei geht es nicht nur um dubiose Umstände bei der Vergabe dieses Turniers. Von allen möglichen Austragungsorten war Katar von den Experten der FIFA (Fédération Internationale de Football Association, Internationaler Fußballverband) als „ungeeignet“ eingestuft worden. Bei Außentemperaturen von bis zu 45 Grad gelten die medizinischen Risiken für die Sportler als unzumutbar.
Keine Fußball-Tradition im Wüstenstaat
Die kleine und schwerreiche Diktatur verfügt über viel Gas und Öl, aber keinerlei fußballerische Tradition. Zudem steht es schlecht um die Menschenrechte. Es gibt keine Presse- und Meinungsfreiheit, männliche Vormundschaft schränkt Frauenrechte stark ein. Auch wenn das Emirat behauptet, es habe das Kafala-System beendet: Dieses System der modernen Sklaverei, das die Arbeiter aus Ländern wie Indien, Nepal oder Bangladesch zu einer Art Leibeigenen der Unternehmer macht, ist noch nicht vollkommen abgeschafft. Immer noch verhindern Arbeitgeber die Ausreise ihrer Arbeiter oder deren Wechsel in einen anderen Job.
Auch von wirklicher Glaubensfreiheit kann keine Rede sein. In Katar sind von 900.000 Einwohnern 8,5 Prozent christlichen Glaubens. Im Gegensatz zu Saudi-Arabien erkennt Katar die drei abrahamitischen Religionen an. Dementsprechend gibt es seit 2005 auch Kirchen im Land, die sich allerdings in den Industriezonen an den Stadträndern befinden, heißt es auf der Internet-Plattform „Islamportal“ des Instituts für Islamische Theologie und Religionspädagogik an der Universität Innsbruck. Die Akzeptanz von Christen ende bei der Konversion vom Islam zum Christentum. Auf Apostasie, das Abfallen vom Glauben, stehe die Todesstrafe. Nicht erlaubt sei auch das Tragen oder Zeigen von Kreuzen, weshalb es auch an den Kirchen keine Kreuze gebe. „Trotzdem garantiert die katarische Verfassung Religionsfreiheit, mit der Einschränkung, dass diese sich im Rahmen der öffentlichen Ordnung befindet. Angesichts der Praxis in Katar kann man aus unserem heutigen europäischen Verständnis nicht von Religionsfreiheit sprechen, weil das religiöse Leben vom Staat beobachtet wird und die Gläubigen sich dementsprechend sehr vorsichtig verhalten müssen“, heißt es weiter. Auch gebe es Regelungen im Schulleben: Christen dürften ihre Kinder zwar zuhause ihrem Glauben gemäß erziehen, jedoch sei christlicher Religionsunterricht an öffentlichen und privaten Schulen verboten.
Viele der Gastarbeiter gelten als rechtelos
Viele der Gastarbeiter, unter ihnen Christen, gelten als rechtelos. Auf den Schultern asiatischer Arbeitssklaven habe man ein Spieleparadies für die Fußball-WM gebaut, betont die Gesellschaft für bedrohte Völker (GfbV) in Göttingen. „In Katar sind Geld und Ressourcen unbegrenzt. Trotzdem verschließen die Verantwortlichen die Augen vor dem Elend der sogenannten Gastarbeiter“, erklärte Nahostreferent Kamal Sido, der das Golfemirat bereist hatte. Mit einer anderen, bizarren Sichtweise dagegen hatte einst der vermeintliche Nahostexperte Franz Beckenbauer für Befremden gesorgt. Er habe „noch keinen einzigen Sklaven in Katar gesehen. Die laufen alle frei rum", ließ der ehemalige deutsche Fußballspieler, -trainer und -funktionär verlauten: „Vom arabischen Raum habe ich mir ein anderes Bild gemacht, und ich glaube, mein Bild ist realistischer.“
Der FIFA aber geht es schon lange nicht mehr um Fußball, schon gar nicht um Bürgerrechte, meint Michael Brand, menschenrechtspolitischer Sprecher der CDU/CSU-Bundestagsfraktion. Gegenüber der „Tagespost“ sagte der CDU-Bundestagsabgeordnete aus Fulda: „Es geht FIFA-Funktionären nur noch um eigenen Profit. Weit weniger finanzkräftige, aber viel mehr sportbegeisterte Fußballnationen wurden von der FIFA und Katar ausgebootet. Dabei sind es allein die Fans und ihre Begeisterung, die die großartige Wirkung von Fußball weltweit ausmachen. Viele werden bei dieser WM den Fernseher ausgeschaltet lassen, weil das widerliche Schauspiel zwischen FIFA und Scheichs auf dem Rücken der Fußballer nicht mitanzusehen ist.“
In der Tat fällt die Unterstützung für das Team des Deutschen Fußballbundes deutlich verhaltener als bei sonstigen Turnieren aus: Der „Fan Club Nationalmannschaft“ etwa hat nach einer ZDF-Meldung lediglich 4.000 Karten von den insgesamt 37.000 Tickets an Deutsche geordert. Für Katar gehe es eben nicht um Fußball, nicht um Sport, kommentiert Michael Brand: „Es werden Milliarden investiert, um vor allem im Westen Propaganda für das Regime zu machen. Nicht nur sind während der Bauzeit der Fußballstadien nach unterschiedlichen Befürchtungen und konkreten Berichten Tausende Menschen gestorben. Arbeiter werden wie Sklaven gehalten, erst internationale Interventionen haben minimale, vollkommen unzureichende Verbesserungen erbracht. Dieselben Leute, die von der FIFA hofiert werden, finanzieren nicht nur die WM, sondern auch islamistischen Terrorismus wie den der Hamas, die Raketen gegen Israel werden unter anderem von Katar finanziert.“
Brand: Völlig falsch, dass Faeser dorthin fährt
Brand bezeichnet es gegenüber dieser Zeitung daher auch als Schande, „dass Innenministerin Nancy Faeser ausgerechnet von Deutschland den Sponsoren der Hamas-Terroristen die Aufwartung macht, deren Propaganda übernimmt und zu dieser WM der Schande noch einmal extra anreisen will. Man darf schon fragen, wie ernst es die Bundesinnenministerin mit dem Kampf gegen Antisemitismus meint, wenn sie denen den Hof macht, die Israel mit Terror und Bomben vernichten wollen. Es ist völlig falsch, dass Frau Faeser dorthin fährt. Ihre Reise erfüllt keinen Zweck, außer zu Propagandazwecken für ein brutales Regime. Dass Katar an Deutschland Öl und Gas verkauft, für das wir Milliarden zahlen, ist kein Argument dafür, sich vor diesem Regime in den Wüstenstaub zu werfen.“ Die SPD-Politikerin hatte während ihres Besuchs in Katar zu Monatsbeginn angekündigt, zum deutschen Gruppenspiel gegen Japan am 23. November reisen zu wollen.
Der Wüstenstaat steht nicht nur im Hinblick auf Menschenrechte in der Kritik. Nach Angaben des GfbV-Nahostreferenten Kamal Sido ist das Emirat indirekt an vielen Konflikten im Nahen und Mittleren Osten und darüber hinaus beteiligt: „Unter anderem in Syrien, Libyen, Tunesien, Somalia und Afghanistan finanziert Katar islamistische Organisationen. Das Geld fließt über die internationale Muslimbruderschaft. Deren führende Köpfe sitzen in Katar und organisieren von dort aus ihre Aktivitäten in der ganzen Welt.“ Hierbei arbeite Katar eng mit dem NATO-Mitglied Türkei zusammen, seit Erdogan dort an der Macht sei. In Syrien, Irak, Libyen, Afghanistan und Mali würden Angehörige der kurdischen, armenischen, christlichen, jesidischen und anderer Minderheiten über Einschüchterung und Verfolgung durch Islamisten klagen.
Viele dieser islamistischen Milizen bekämen Geld aus Katar oder Unterstützung aus der Türkei. Es wäre eine Schande für die Bundesregierung, „würde Frau Faeser tatsächlich vor dem Scheich zu Kreuze kriechen, der islamistischen Terrorismus finanziert“, warnt Brand daher. Schließlich drohe es zu einem Markenzeichen der Sozialdemokratie zu werden, gegenüber brutalen Diktaturen keinerlei Haltung mehr zu wahren.
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