Politik

Kirchenpolitik mit der Brechstange

Wie man das Trauma der Missbrauchs-Studie derzeit nutzt, um eine ganz andere innerkirchliche Agenda zu betreiben. Von Guido Horst

Ein Theologe, der das Publizieren von Büchern eingestellt hat, ein Ruhestandsphilosoph, der mit seiner Frau per Unterschrift dem Sankt Georgener Kollegen zu Hilfe kommt, ein Stadtdekan, ein Jesuit und Schulrektor, eine Politikerin der Grünen, die sich an der Lebensrechtsbewegung abarbeitet, eine Funktionärin des Zentralkomitees der Katholiken und eine Caritas-Direktorin: Das Listchen derer, die den Offenen Brief an Kardinal Reinhard Marx vom vergangenen Wochenende unterzeichnet haben, liest sich wie der Volkssturm, den die Alt-68er in der Kirche nochmals aufbieten, um im Geiste der alten „Kirche von unten“-Bewegung gegen das Katholische anzurennen. Es ist völlig unverständlich, warum sich die „Frankfurter Allgemeine Sonntagszeitung“ mit dieser Aktion blamiert hat. Das waren noch Zeiten, als das angesehene Blatt die „Kölner Erklärung“ veröffentlichte, die 1989 von mehr als 220 Theologen unterzeichnet wurde. Was da jetzt als „Aufstand von prominenten Katholiken“ durch die Medien geisterte, sieht eher wie das Mosern eines kleinen Clübchens aus. Was hat das in einem intelligenten Blatt zu suchen?

Dennoch: Wer böswillig ist, könnte vermuten, dass sich Kardinal Marx diesen Brief bestellt hat. Denn er passt in den Kurs, den das halboffiziöse Nachrichtenportal der Bischofskonferenz, „katholisch.de“, seit Wochen steuert. Die Brechstange, mit der die Sakramentenpraxis, die Weihetheologie, die Sexualmoral und die Verfasstheit der Kirche ausgehebelt werden sollen, ist die Missbrauchs-Studie. „Es muss alles anders werden“, ist der Schlachtruf, mit dem man dabei zu Werke gehen will. Ohne den Gleichklang und den Gleichschritt mit der Weltkirche oder gar Rom zu suchen, plädiert man für einen deutschen Sonderweg: Beauftragung oder gar Weihe von Diakoninnen, Abschaffung des Pflichtzölibats, priesterlose Gottesdienste, die auch von Frauen geleitet werden können, Tolerierung von homosexuellen Partnerschaften und einen „Neuanfang“ der katholischen Sexualmoral. Das Böse liege eben in der DNA der Kirche, darum müsse man diese DNA jetzt ändern. Seitdem Papst Franziskus sich entschieden hat, den deutschen Kommunionstreit eben nicht zu entscheiden, scheint für viele deutsche Bischöfe der Moment gekommen zu sein, das als Freibrief für alle möglichen nationalkirchlichen Partikularlösungen zu sehen. Auf dem Missbrauchs-Gipfel Ende Februar im Vatikan soll Kardinal Marx diese Positionen in Rom vertreten – mal sehen, ob er das tut – und viele warten schon ungeduldig auf die Amazonas-Synode: Denn egal, was diese an Vorschlägen produziert, es wird den deutschen DNA-Klempnern dazu dienen, am Zölibat zu rütteln und nach den „viri probati“ zu rufen – damit sich so etwas wie der Missbrauch Schutzbefohlener nicht mehr wiederholt. Das entbehrt zwar jeder Logik, hat aber Methode.

Das Szenario, vor dessen Hintergrund sich dieses ideologische Tauziehen abspielt, ist tatsächlich bedrohlich. Der Kirche laufen die Leute weg, die Austrittszahlen schnellen nach oben, das Priesterbild hat Dellen bekommen, religiöse Berufungen verlieren an Attraktivität, das Glaubenswissen zerbröselt und wird der beliebigen Definition durch den Einzelnen überlassen. Gewisse Lebensabschnitte darf die Kirche noch begleiten, aber bitte ohne etwas zu fordern oder zu lehren. Es läge auf der Hand, was in diesen Zeiten des Verfalls zu tun wäre: Katechese und Unterweisung im Glauben, Stärkung des sakramentalen Lebens, Initiative der Neuevangeliserung und Bildung von geistlichen Zentren, die auf eine glaubenslos gewordene Umgebung ausstrahlen. Für diakonisches Wirken gäbe es Aufgaben genug: In einer Gesellschaft, in der sich viele nach Gemeinschaft, nach geistiger Orientierung und materieller Begleitung sehnen, hätte die Kirche ein weites Betätigungsfeld. Stattdessen haben die Ideologen das Wort. Es fehlen die wahren Hirten.

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