In einer Hinsicht gibt es in Italien sicherlich keinen Franziskus-Effekt: So sehr der Papst seiner Kirche und allen Menschen guten Willens die Sorge für die Flüchtlinge und Migranten ans Herz legt, dazu Botschaften verfasst und unermüdlich entsprechende Appelle wiederholt, desto mehr haben sich die Italiener den rechtspopulistischen Positionen derer zugewandt, die Einwanderer abweisen, zurückschicken oder gar nicht mehr ins Land lassen möchten.
Bekanntester Exponent dieser Haltung ist Matteo Salvini, der zurzeit einen kometenhaften Aufstieg erlebt. Im Wahlkampf, der mit dem Urnengang vom 4. März zu Ende ging, hat er das Wörtchen „Nord“ aus dem Namen seiner Partei entfernt, die nun als „Lega“ im ganzen Land Sympathisanten sammelt. Und das mit großem Erfolg. Ganz neue Wählerschichten erschloss Salvini seiner Bewegung im Süden des Landes. Hatte diese Partei mit der Gründergestalt Umberto Bossi vor einem Vierteljahrhundert als Los-von-Rom-Bewegung begonnen, ihre Anhänger vor allem im Norden des Stiefelstaats gefunden und sich im nationalen Durchschnitt ein etwa vier Prozent starkes Stück aus dem Wählerkuchen herausschneiden können, überholte sie bei den vergangenen Nationalwahlen ihren Koalitionspartner, die „Forza Italia“ Silvio Berlusconis, des ehemaligen Ministerpräsidenten, und kam auf siebzehn Prozentpunkte.
Doch der Siegeszug von Salvini ging weiter. Von dem alten Schlachtruf der Partei gegen „Roma ladrona“ – gegen „die Diebin Rom“ – ist von Salvini nichts mehr zu hören. Er sitzt jetzt selber in Rom, auf dem Sessel des Innenministers, und ist in der von dem Rechtsprofessor Giuseppe Conte geführten Koalitionsregierung mit der Bewegung der fünf Sterne stellvertretender Ministerpräsident. Sein harter Kurs kommt bei den Menschen an. Er hat die italienischen Häfen für die unter fremder Flagge fahrenden Flüchtlings-Schiffe der Nichtregierungs-Organisationen geschlossen und will erreichen, dass die in Nordafrika wartenden Migranten erst gar nicht mehr auf dem Seeweg in Richtung Italien aufbrechen. Umfragen zufolge liegt die „Lega“ jetzt bei knapp dreißig Prozent. Bei Wahlen wäre sie damit die stärkste Partei und hätte nun auch knapp das von Luigi Di Maio geführte „Movimento cinque stelle“ überholt. Ein beispielloser Zuwachs an der Basis, den Salvini allein mit der Trumpfkarte einer konsequent flüchtlingskritischen Politik erzielen konnte.
Kritik der Kirche am Populismus
Wer darin einen menschenverachtenden Populismus auf Kosten der notleidenden Migranten sieht, ist die Kirche. Der Vorsitzende der Bischofskonferenz, Kardinal Gualtiero Bassetti, hat sich hierzu in der Zeit des Wahlkampfs und in den anschließenden zweieinhalb Monaten der Regierungsbildung eindeutig positioniert. Jetzt ist er etwas ruhiger geworden, genauso wie Bischof Nunzio Galantino, der als Generalsekretär der Bischofskonferenz das Sprachrohr des Papstes in Sachen Flüchtlingspolitik war. Aber am 26. Juni hat ihn Franziskus als Nachfolger von Kardinal Domenico Calcagno an die Spitze der vatikanischen Güterverwaltung APSA berufen, ein wichtiges Kurienamt, dessen Inhaber aber in der Regel eher im Stillen wirkt.
Dafür bezogen umso deutlicher Männer des Vatikans Position. Kurz vor seiner Erhebung in den Kardinalsstand hat der ehemalige Substitut im Staatssekretariat und designierte Präfekt der Heiligsprechungskongregation, Giovanni Angelo Becciu, unter dem Eindruck des von Italien abgewiesenen und schließlich in Malta gelandeten Rettungsschiffs „Lifeline“ mit 230 Migranten an Bord erklärt, dass es die Mission des Papstes und der Kirche bleibe, sich für Ausgegrenzte einzusetzen, auch wenn es heutzutage vielleicht nicht populär sei. „Dass nur Länder mit besonders exponierter Lage wie etwa Griechenland und Italien die Last der Aufnahme übernehmen und nicht die ganze Europäische Union, ist nicht richtig, aber dass Schiffe voller Menschen genutzt werden, um politische Positionen voranzutreiben, ist inakzeptabel”, sagte er italienischen Zeitungen.
Dauerkonflikt mit der Kirche zeichnet sich ab
Der Migrationsbeauftragte von Papst Franziskus, Michael Czerny SJ, nahm zudem Stellung gegen die von Salvini beförderten Pläne, Migranten gar nicht mehr etwa aus Libyen herauszulassen. Stattdessen forderte Czerny, als Untersekretär im vatikanischen Dikasterium für die integrale Entwicklung des Menschen für Migranten zuständig, gegenüber der Katholischen Nachrichten-Agentur schnellere Prüfungsverfahren. Jahrelange Verfahren seien eine „schreckliche Folter“ für Asylsuchende. Der Jesuit wandte sich auch gegen die geplanten geschlossenen Aufnahmelager in Libyen. Als gescheiterter Staat sei Libyen ungeeignet, „zur Lösung der europäischen Probleme beizutragen“, meinte Czerny. Das klingt anders, als es der neue europäische Wind aus München, Wien und Rom vermuten lässt. Immerhin fühlt sich Salvini so sicher, dass er jetzt von Pontida aus, dem historischen Aufmarschort der „Lega“, eine dreißigjährige Regierung seiner Partei in Italien ankündigte. Einen Dauerkonflikt mit der Kirche eingeschlossen.