Kaiserliche Hoheit, Äthiopiens Regierungschef Abiy Ahmed ist mit dem Friedensnobelpreis ausgezeichnet worden. Ist die Auszeichnung gerechtfertigt?
Ja, die Auszeichnung ist durchaus gerechtfertigt. Abiy Ahmed hat viel dafür getan, das ehemalige Regime abzusetzen. Seine größte bisherige Leistung für Äthiopien und die Welt ist es, dass er es geschafft hat, den sinnlosen Krieg zwischen Äthiopien und Eritrea zu beenden. Er hat Zehntausende Gefangene des alten Regimes freigelassen. Wir Äthiopier fühlen uns unheimlich geehrt und freuen uns, dass zum ersten Mal ein Landsmann mit dem Friedensnobelpreis ausgezeichnet wurde.
Im Februar 2018 kam Ahmed an die Macht. Wie von Ihnen angesprochen, hat er seitdem nicht nur sein eigenes Land reformiert, sondern auch für Befriedung in Eritrea gesorgt. Und auch im Sudan konnte er vermitteln. Ist er ein Modell-Politiker für den gesamten afrikanischen Kontinent?
"Seine demokratische Legitimität
muss Abiy Ahmed sich erst noch erwerben"
Hier muss man vorsichtig sein. Ahmed muss erst noch liefern. Man kann nicht erwarten, dass er die großen Sünden der Vergangenheit in eineinhalb Jahren rückgängig macht. Seine demokratische Legitimität muss er sich erst noch erwerben.
Nächstes Jahr, wenn wieder Wahlen stattfinden, hat er die Gelegenheit dazu. Man wird ihn auch an den Versprechen messen, die er vor eineinhalb Jahren gegeben hat, und die die Bevölkerung damals mit Freuden registrierte.
Welche sind das?
Er will die Verfassung revidieren und die Apartheid beenden. Wenn das gelingt, kann er die Einheit und Souveränität der Nation gewährleisten. Leider gibt es fundamentalistische Gruppierungen, die dies immer wieder zu verhindern versuchen.
Was zeichnet Ahmed aus? Warum gelang ihm der Reformkurs in Äthiopien und der Friedensschluss mit Eritrea, wo viele zuvor scheiterten?
"Wir versuchen, die Einheit in der
Verschiedenheit zu leben, gleichzeitig
aber auch die Verschiedenheit in der Einheit"
Ahmed ist jung, dynamisch und gläubig. Kurzum: Er ist jemand, der die Vielfalt Äthiopiens in sich trägt. Sein Vater ist Muslim, die Mutter äthiopisch-orthodoxe Christin. Ahmed selbst ist Protestant. Daran sieht man das Schöne an Äthiopien: Wir versuchen, die Einheit in der Verschiedenheit zu leben, gleichzeitig aber auch die Verschiedenheit in der Einheit. Es gibt Christen, Muslime, Juden und Animisten. Die leben seit Jahrhunderten friedlich zusammen. Und das muss weiter so bleiben.
Kritische Stimmen sagen, der von ihm als Staatspräsident eingeschlagene Kurs habe auch zu neuen Problemen geführt. Sehen Sie das auch so?
Nein, ich kann keine neue Probleme erkennen, die durch ihn entstanden sind. Alle Probleme wurzeln in Äthiopiens Verfassung. Äthiopien ist das einzige Land der Welt, das eine ethnische Verfassung hat. Die Grenzen sind ethnisch, die Politik ist ethnisch, ebenso die Wirtschaft. Die ist in den Händen diverser Clans. Man kann sich denken, dass ethnische Säuberungen da nicht weit entfernt sind. Solange die Parteigrenzen entlang ethnischer Linien verlaufen, wird es nicht zu einer echten Demokratie kommen. Das ist für einen Vielvölkerstaat wie Äthiopien ein großes Problem.
"Der Preis ist sicherlich auch
eine Herausforderung für ihn"
Viele der Pläne und Reformen sind noch nicht abgeschlossen und müssen erst noch umgesetzt werden. Ist der Friedensnobelpreis für den Erfolg von Ahmeds Vorhaben förderlich, oder kann er sich auch negativ auf seine Arbeit auswirken?
Der Preis ist sicherlich auch eine Herausforderung für ihn. Die Welt wird ihm von nun an auf die Finger schauen. Ich wünsche ihm, dass der Allmächtige ihn weise berät, sodass er das erreichen kann, wofür wir seit Jahrzehnten beten: ein friedliches Äthiopien, in dem verschiedene Ethnien in Brüderlichkeit und Demokratie leben.