Jesus hatte einen Plan mit ihm. Davon ist Matthias überzeugt. Sorgsam gießt er honigfarbenen Tee in die gläserne Tasse, die vor ihm auf dem Wohnzimmertisch steht. Iranischen Tee, keinen deutschen. Der sei viel kräftiger, betont er mit freundlichem Lächeln. Draußen, verborgen hinter der Dunkelheit und den schweren cremefarbenen Vorhängen, liegen die Häuser der Stadt Trier. Während Matthias an seiner Tasse nippt erzählt er, wie er seine Heimat, den Iran, verlassen musste. 2015 war das. Sein richtiger Name ist nicht Matthias. So wurde er erst in Deutschland genannt. Im Iran hatte er eine gut bezahlte Arbeit in einem Bauunternehmen und gerade sein eigenes Haus gebaut. Da erfuhr der iranische Geheimdienst von einem USB-Stick mit evangelikalen Predigten, den ein Arbeitskollege in seinem Auto gelassen hatte. Er selbst hatte zwar nichts mit dem verbotenen Material zu tun. „Aber ich musste das Land verlassen, um der Verfolgung zu entgehen.“ Anfang 30 war er zu dem Zeitpunkt. Nach mehreren Monaten in einem türkischen Flüchtlingscamp betete er eines Nachts zu Jesus Christus. „Wenn er einen Plan mit mir hat, soll er ihn mir zeigen.“ Am nächsten Tag überreichte ihm ein Schlepper einen gefälschten Pass, mit dem er nach Deutschland fliegen konnte. Überzeugt, dass es Christus war, der in sein Schicksal eingegriffen hatte, beschloss Matthias, Christ zu werden.
Seine Taufe hat Matthias Norbert Neuhaus zu verdanken. Über einen anderen Mann aus dem Iran erfuhr der heute 36-Jährige in Trier von ihm. Norbert Neuhaus hat es sich zur Aufgabe gemacht, jungen Muslimen, die sich für den christlichen Glauben interessieren, Sprach- und Katechesekurse zu geben. Und sie so auf die Taufe vorzubereiten. 2010 nahm er sich selbst der ersten größeren Gruppe von 16 Muslimen an. Vorher hatte er einzelne Interessenten zu Katechese-Gruppen des Bistums geschickt. „Doch ich habe schnell gemerkt, dass die üblichen Kurse den Bedürfnissen der jungen Muslime nicht gerecht werden“, erzählt Neuhaus und klopft Matthias freundschaftlich auf die Schulter. Bei ihnen müsse man vor allem auf die abweichenden kulturellen und sprachlichen Voraussetzungen eingehen. Neuhaus arbeitet als ehrenamtlicher Katechet und ist ursprünglich Diplom-Volkswirt, studierte später aber noch interessehalber neben seiner beruflichen Arbeit Theologie. Zwei Jahre lang war er Generalsekretär von „Kirche in Not“ International. Daher rührt auch sein Interesse am Islam und für die Arbeit mit jungen Muslimen. Fast 170 hat er bereits auf dem Weg zur Taufe begleitet. Katechumenat nennt sich diese Phase der Glaubensvorbereitung. In Deutschland wie auch in Österreich dauert sie in der Regel ein Jahr. Aber dazu später mehr.
Seit 2013 wohnen dauerhaft mehrere seiner muslimischen Katechismus-Schüler in dem Trierer Haus, das Neuhaus von einem Freund zur Verfügung gestellt wurde. Um seiner Arbeit eine institutionelle Struktur zu geben, gründete er 2016 einen Verein und rief eine persisch-deutsche Website ins Leben, „yaranemasih.com“. Das ist persisch und steht für „Freunde des Messias“. Stetig arbeitet Neuhaus daran, bilinguales Lernmaterial zu entwickeln – und die Deutschkenntnisse seiner Glaubensschüler zu verbessern.
Konversionen von Muslimen zum Christentum gibt es in Deutschland schon seit mehreren Jahren, auch wenn es sich dabei zunächst nur um Einzelfälle handelte. Erst im Zuge der Flüchtlingsbewegung ist das Thema in den Fokus der Öffentlichkeit gerückt. Seitdem ist von einem Anstieg der Zahl muslimischer Taufbewerber auszugehen. Die Deutsche Bischofskonferenz kann auf Nachfrage keine konkreten Zahlen nennen. Schätzungen könne man ebenfalls nur schwer vornehmen. Ähnliche Antworten erhält man meistens auch aus den einzelnen Bistümern, mit einigen Ausnahmen: Im Erzbistum Köln etwa sei die Anzahl muslimischer Täuflinge „wegen zugewanderter Flüchtlinge leicht angestiegen“. Von 40 bis 60 muslimischen Taufbewerbern pro Jahr geht man aus. Das Erzbistum Hamburg schätzt die Taufen von Muslimen in den letzten Jahren auf konstant fünf bis zehn jährlich. Auch Freiburg und Würzburg liefern konkrete Angaben: In den letzten vier Jahren lag die Zahl der neugetauften Muslime im Schnitt bei ungefähr zehn. Von deutschlandweit etwa 300 muslimischen Konvertiten für das Jahr 2017 geht Christian Troll aus. Der in Frankfurt lebende Jesuitenpater hat sein Leben dem Dialog zwischen Christen und Muslimen gewidmet und besitzt langjährige Erfahrung in der Arbeit mit muslimischen Taufanwärtern. Dass die Deutsche Bischofskonferenz keine genaueren Angaben zu muslimischen Konversionen machen will, schreibt er dem Bemühen zu, in dieser Sache möglichst wenig Aufmerksamkeit zu erregen.
Auch die Evangelische Kirche in Deutschland erfasst die Zahl der zum Christentum übergetretenen Muslime eigenen Angaben zufolge nicht zentral. Insgesamt dürften die Zahlen im Vergleich mit der katholischen Kirche höher liegen, insbesondere da Freikirchen keine vergleichbar lange Vorbereitung auf die Taufe voraussetzen. Die evangelische Kirche setzt auf eine spezielle Taufvorbereitung, die in den meisten Kirchengemeinden auch bis zu einem Jahr dauern kann. Freikirchen taufen Muslime oft nach kürzerer Vorbereitungszeit. Einem Bericht der Zeitung „Die Welt“ vom Juli 2016 zufolge traten zwischen 2014 und 2016 mindestens 1 200 Muslime einer Landeskirche, weitere 800 diversen Freikirchen bei.
Für Schlagzeilen sorgte Gottfried Martens, Pastor einer Selbstständigen Evangelisch-Lutherischen Kirche in Berlin-Steglitz, da er besonders vielen Muslimen das christliche Taufsakrament spendete. Mehr als 1 000 sollen es in den vergangenen sechs Jahren gewesen sein. Dazu kommen Meldungen von Massentaufen anderer Freikirchen – etwa in einem Schwimmbad oder in einem Hamburger Park. Katholische und evangelische Amtskirchen reagierten darauf häufig mit Kritik: Massentaufen und allzu zahlreiche Bekehrungen schadeten dem Bemühen um Toleranz und interreligiösen Dialog, so die Befürchtung. Jüngstes Beispiel für diese Auffassung: die evangelische Kirche im Rheinland. In einem Positionspapier entschied die Landessynode Anfang Januar mit überwältigender Mehrheit, Muslime nicht mehr zum christlichen Glauben „bekehren“ zu wollen. Schließlich glaubten Muslime an den einen Gott.
Auffällig ist jedoch, dass muslimische Flüchtlinge in vielen Fällen gar nicht durch aktive Mission mit dem christlichen Glauben in Kontakt kommen. „Ich will niemandem den katholischen Glauben aufdrängen. Die kommen einfach“, meint Norbert Neuhaus. Viele Muslime hatten in der Heimat bereits Interesse am Christentum, besuchten Kirchen im Untergrund oder trafen sich in Kleingruppen zu Gebeten. Bei ihnen ist der Wunsch, Christ zu werden, der eigentliche Fluchtgrund. Anderen attestiert der Frankfurter Jesuitenpater Troll eine „totale Ablehnung dessen, was sie als den real existierenden Islam erfahren haben“. Dies sei vor allem bei Iranern und Afghanen der Fall. Diese Menschen befänden sich jedoch weiterhin auf einer religiösen Suche, so der Professor für Islamische Studien. „Mit dem Christentum begegnet ihnen dann auf der Flucht eine Religion der Freiheit und der Liebe.“ Die Frage der religiösen Überzeugung sei für Muslime stets eine Frage der Geburt. „In Europa wird sie zur freien Entscheidung.“ Oft hört man aber auch, dass Flüchtlinge von der Vorbildfunktion der Christen schwärmen, die ihnen auf der Flucht begegnet sind. Und von der Hilfsbereitschaft und Nächstenliebe, die sie erfuhren.
Doch nicht alle sind überzeugt, dass muslimische Flüchtlinge aus echtem Interesse an der christlichen Religion um die Taufe bitten. Letztes Jahr behauptete etwa Ulf Küch, der stellvertretende Vorsitzende des Bundes Deutscher Kriminalbeamter, dies sei ein „Trick, um im Land bleiben zu können“. Als im vergangenen Juni ein afghanischer Asylbewerber in einer Flüchtlingsunterkunft in der Oberpfalz einen kleinen Jungen erstach, war dies Wasser auf die Mühlen der Skeptiker. Schnell war das Bild vom muslimischen Flüchtling geschaffen, der sich lediglich einen christlichen Taufschein besorgen muss, um anschließend den Gerichtssaal mit einem positiven Asylbescheid zu verlassen. So einfach ist es nicht. Denn die Taufe in Deutschland begründet noch lange keinen Asylanspruch. Wenn dem Geflüchteten in der Heimat allerdings eine Verfolgung aus religiösen Gründen droht, kann der Übertritt zum Christentum eine Abschiebung sehr wohl verhindern oder hinauszögern.
Entkräftet wird der Vorwurf des erschwindelten Aufenthaltsrechts, wenn man die Folgen betrachtet, die ein Abfall vom Islam, die sogenannte Apostasie, nach sich zieht: Diskriminierung, Ausgrenzung, Verfolgung bis hin zur Todesstrafe. Islamwissenschaftler weisen zwar darauf hin, dass der Koran außer der Strafe im Jenseits keine konkrete weltliche Bestrafung für Abtrünnige vorsehe. Die islamischen Rechtsschulen der Scharia sprechen hingegen davon, dass Apostaten mit dem eigenen Leben bezahlen sollen. Grundsätzlich gilt: Ein jeder Neugetaufte bringt sich in Lebensgefahr. In Deutschland, insbesondere aber im Falle einer Rückkehr ins Herkunftsland. Und er nimmt in Kauf, sämtliche Rechte innerhalb seiner Familie zu verlieren. Erfahrungen haben zwar gezeigt, dass der schiitische Islam Konvertiten offener und toleranter behandelt. Schiiten kennen zum Beispiel keine Sippenhaftung. Ein Sunnit jedoch bringt nicht nur sich selbst, sondern seine ganze Familie in Gefahr. Daher sind Neugetaufte in westlichen Ländern oftmals gezwungen, den Kontakt zu ihren Angehörigen in der Heimat völlig abzubrechen, um deren Leben zu schützen.
Im Fall von Hamid hat Norbert Neuhaus erlebt, wie gefährlich es sein kann, Christ zu werden. Hamid ist Afghane, 21 Jahre alt, sieht aber älter aus. Sein richtiger Name soll nicht genannt werden. „Ich habe nie geglaubt, dass Christen meine Feinde sind. Auch wenn man mich das glauben machen wollte“, erzählt Hamid. Auf der Flucht habe er zunächst von einem Syrer mehr über das Christentum erfahren. Ausschlaggebend für seine Entscheidung zu konvertieren sei jedoch die bedingungslose Hilfsbereitschaft gewesen, die ihm Christen unterwegs zuteil werden ließen. „Sie gaben mir Essen, Kleider und eine Unterkunft – ohne jemals eine Gegenleistung zu fordern.“ In Deutschland hatte Hamid zunächst Kontakt zu evangelischen Christen. „Aber ich wollte zum Original“, erzählt er mit einem Grinsen. Nachdem Norbert Neuhaus ihn mehrere Monate vorbereitet hatte, wurde er eines Abends im Geheimen katholisch getauft. In die Kirche geht er meistens alleine, meidet hier den Kontakt zu anderen Afghanen aus Furcht, verraten zu werden. Seine Familie in Afghanistan weiß nichts von seiner Konversion. „Das würden sie nicht akzeptieren.“
Die Kirchen wehren sich gegen den Vorwurf, Muslime nutzten die christliche Taufe, um einer Abschiebung zu entgehen. In der Praxis zeigt sich: Der Weg zur Taufe ist ein langer und gewundener. „Christ wird man nicht im Galopp“, heißt es etwa aus dem Bistum Augsburg. Die Dauer des Katechumenats kann individuell nach Vorkenntnis und Eignung des Bewerbers verkürzt oder verlängert werden. Nahezu alle deutschen Bistümer betonen die intensive Vorbereitung, die Muslime in dieser Zeit erfahren. Teilweise gibt es auf Ebene der Dekanate Katechumenatsgruppen, teilweise bereiten sich die Taufbewerber in ihren Pfarreien vor. Die Interessenten sollen aktiv ins Gemeinde- und Glaubensleben eingebunden werden, an Gottesdiensten und kirchlichen Veranstaltungen teilnehmen.
Ein Blick in die Handreichung „Christus aus Liebe verkündigen“, von der Deutschen Bischofskonferenz im Jahr 2009 veröffentlicht, zeigt, dass man sich bereits lange vor der Ankunft einhunderttausender muslimischer Flüchtlinge damit beschäftigte, den Weg zur Konversion klar vorzuzeichnen. Wichtig sei einerseits, den christlichen Glauben näherzubringen und Glaubenswissen zu vermitteln. Begleiter von Taufbewerbern mit muslimischem Hintergrund sollten aber auch auf Gemeinsamkeiten und Unterschiede zwischen Christentum und Islam aufmerksam machen, heißt es darin. Sind alle Hürden genommen, darf der muslimische Taufbewerber – oft in der Osternacht – zum Taufbecken schreiten und das Sakrament empfangen. Der Weg ist damit noch nicht zu Ende. Eine Vertiefung des Glaubens und eines christlichen Lebens kann schließlich erst im Alltag stattfinden.
Während Norbert Neuhaus betont, nicht aktiv um muslimische Taufbewerber zu werben, versuchen es andere mit gezielter Mission, zum Beispiel „Elijah21“. Ein Anruf bei Andreas Sauter. Der 44-Jährige ist der Leiter des christlichen Missionswerks, ansässig im Raum München. Sauter und sein Team haben einen Ansatz entwickelt, der in Deutschland zuvor noch völlig unbekannt war. Sie zeigen einen Film über Jesus Christus, der in zwei Stunden die Kernbotschaft des Evangeliums zusammenfasst – und in nahezu jeder beliebigen Sprache ausgestrahlt werden kann. Vor Flüchtlingsunterkünften werben Mitglieder von „Elijah21“ für ihre Veranstaltungen, verteilen Flyer in den jeweiligen Muttersprachen. „Über 30 Filmabende haben wir bisher veranstaltet“, berichtet Sauter. „So konnten wir zwischen 3 000 bis 4 000 Muslime erreichen.“ Bei „Elijah21“ will man so vielen Muslimen wie möglich die christliche Botschaft vermitteln. Eine Botschaft, die zu hören eines jeden Menschen Recht ist, wie Sauter nachdrücklich erklärt. Andreas Sauter weiß auch von einigen Fällen, in denen interessierte Muslime letztendlich getauft wurden. Was deren Zahl angehe, könne er jedoch keine Schätzungen abgeben.
Sauters Missionswerk ist überkonfessionell, er selbst aber katholisch – „so wie die Mehrheit der Mitarbeiter“, betont er. Pfarrgemeinden in ganz Deutschland haben bereits mit „Elijah21“ zusammengearbeitet, wenn es darum ging, einen Film-abend zu veranstalten. Die Begegnungen finden meist in Räumlichkeiten der örtlichen Pfarreien statt. Sauters Heimatbistum Augsburg kooperiert zwar schon mit dem Missionswerk. Doch er wünscht sich ein breiteres Interesse der Bistümer in ganz Deutschland. Eine Anfrage an die Deutsche Bischofskonferenz, in der Sauter eine koordinierte Zusammenarbeit anbot, blieb bisher unbeantwortet.
Für welche Konfession entscheidet sich ein muslimischer Flüchtling letztendlich, wenn er tatsächlich den Weg bis zur Taufe gehen will? In dieser Hinsicht ist die Herangehensweise von Sauters Team ganz pragmatisch: Die Interessierten gliedern sich nach und nach in die Kirchengemeinde ein, die ihrer Unterkunft am nächsten ist. „Dann gibt es Glaubensgespräche und Kurse, in denen in Grundzügen das Wichtigste über die christliche Religion vermittelt wird“, so Sauter. Das könne schließlich in ein konfessionell geprägtes Katechumenat münden.
So manchem Flüchtling bleibt die Chance auf ein Katechumenat allerdings verwehrt. Das hat Norbert Neuhaus im Rahmen seiner Arbeit bereits selbst erfahren. „Menschen fliehen aus dem Iran, weil sie Kontakt mit christlichen Untergrundkirchen hatten. Sie kommen nach Deutschland, um dort zum Christentum zu konvertieren – und dann wird ihr Asylverfahren beschleunigt.“ So hätten viele Geflüchtete kaum noch die Möglichkeit, sich zu orientieren und den Weg ins Katechumenat zu finden. „Oder sie erhalten einen Abschiebebescheid, während sie sich gerade mitten im Katechumenat befinden“, fügt Neuhaus hinzu. Was das Bundesamt für Migration (Bamf) nicht berücksichtige: „Auch Katechumenen sind bereits mit der katholischen Kirche verbunden.“ Zusammen mit den deutschen Bischöfen wolle er sich nun darum bemühen, dass auch die Vorbereitung auf die Taufe im Asylverfahren berücksichtigt wird.
Die Entscheidung, ob ein Asylsuchender nach der Taufe als Christ ein Aufenthaltsrecht in Deutschland erhält, liegt zunächst in den Händen des Bamf. Dort werden Konvertiten im Rahmen einer persönlichen Anhörung zu den genauen Umständen ihrer Taufe befragt. Wenn sie abgelehnt werden, bleibt immer noch die Möglichkeit, vor Gericht das Aufenthaltsrecht einzuklagen. Das Urteil darüber, ob ein Glaubenswechsel aus echter Überzeugung oder aus asyltaktischen Gründen erfolgt ist, fällen somit in den meisten Fällen Personen, die nicht unbedingt Experten in Religions- und Glaubensfragen sind. Das kritisieren viele Seelsorger.
Auch in Österreich werden Asylbewerber von den Behörden oft langen Verhören unterzogen. Und auch dort ist aus kirchlichen Kreisen immer wieder Kritik an diesem Prozedere zu vernehmen. „Die Vorgangsweise, Leute in einer Art und Weise zu prüfen, die teilweise über ihre intellektuellen Fähigkeiten hinausgeht, bringt die Befragten massiv an ihre Grenzen“, erzählt Friederike Dostal. Die Leiterin des Referats für Erwachsenenkatechumenat und Verkündigung der Erzdiözese Wien begleitet seit Jahren Taufbewerber aus dem Islam auf ihrem Weg in die katholische Kirche. Deren Zahl ist in der Alpenrepbulik zuletzt deutlich angestiegen. Gut 550 Muslime waren es im vergangenen Jahr.
Der Hauptgrund für die Zunahmen sei die hohe Zahl von muslimischen Taufbewerbern, die im Zuge der Flüchtlingsbewegung nach Österreich kamen, so Dostal. Ein Blick auf die Zahlen bestätigt das: 350 Erwachsenentaufen gab es in Österreich im Jahr 2014, nur ein Drittel davon waren Muslime. Dostal glaubt nicht daran, dass Muslime die christliche Taufe „ausnutzen“ können, um sich bessere Asylchancen zu erschleichen. „Aufgrund meiner Erfahrung bin ich relativ sicher, dass ich rasch einschätzen kann, warum jemand Christ werden will“, sagt sie. Dostal vermutet zwar, dass sich der Zuwachs an muslimischen Taufbewerbern in den nächsten Jahren nicht in gleicher Weise fortsetzen wird. Doch auch in diesem Jahr könnte die Zahl der neugetauften Christen wieder hoch sein. Allein für die Erzdiözese Wien rechnet sie mit bis zu 200 Erwachsenentaufen.
Ist die Flüchtlingsbewegung eine Chance zur Mission? „Absolut“, meint Andreas Sauter überzeugt. Und er ergänzt: „Die Herzen dieser Menschen sind wie reife Trauben. Der Herr hat einen Heilsplan für sie und gleichzeitig für uns als Leib Christi.“ Die Kirche müsse sich nur an die Ernte machen. Norbert Neuhaus sieht das ähnlich. „So viele Menschen haben Angst vor Überfremdung. Aber wir sollten nicht so sehr daran zweifeln, dass die Motivationslage von Muslimen nicht aufrichtig ist, wenn sie um die Taufe bitten.“ Natürlich hätte jeder Geflüchtete auch einmal den Gedanken, dass er eher hierbleiben könne, wenn er Christ wird. „Wer das leugnet, der lügt“, so Neuhaus. Aber: Wer sich intensiv mit dem Glauben auseinandersetze, verändere sich innerlich. „Gott schickt uns diese Menschen. Er gibt uns dadurch die Chance, seine Liebe weiterzugeben.“
Norbert Neuhaus ist mit seiner Arbeit noch lange nicht am Ziel. Auch in diesem Jahr hat er bereits sechs Muslime auf den Gang zum Taufbecken vorbereitet. Das Material zur Glaubensweitergabe ist weitestgehend deutsch-persisch aufgearbeitet. „Jetzt müssen wir haupt- und ehrenamtliche Katecheten finden, die die Herausforderung annehmen, die Taufinteressenten zu begleiten.“ Ohne Angst vor der Sprachbarriere. Nicht nur die Muslime profitieren davon, wie Neuhaus festgestellt hat: „Die Katechese mit Muslimen hat mir selbst geholfen, viele Aspekte des katholischen Glaubens tiefer zu verstehen.“
Matthias hat sich inzwischen gut in Deutschland integriert. Stolz berichtet er von der Aufenthaltsgenehmigung, die ihm zugebilligt wurde, während er sich eine weitere Tasse iranischen Tees genehmigt. Auch seine Arbeitszeugnisse wurden anerkannt – voraussichtlich wird er bald wieder in leitender Position arbeiten. „Manchmal vermisse ich zwar meine Familie“, gesteht er, und zum einzigen Mal huscht ein wehmütiger Schatten über seine mandelbraunen Augen. „Aber jetzt habe ich alles. Vor allem die Liebe Gottes.“ Und das zufriedene Lächeln kehrt auf sein Gesicht zurück. Siehe Blickpunkt S. 9