Bundesgesundheitsminister Karl Lauterbach (SPD) ist nicht zu beneiden. Nicht genug, dass sich das Virus SARS-COV-2, das Deutschlands härtestem Corona-Sheriff die letzten Jahre zuverlässig in den Schlagzeilen und den Talkshows hielt, anschickt, endemisch zu werden. Nun droht dem Minister neues Ungemach. Noch dazu solches, das auch den verbliebenen Rest seiner Reputation als Mediziner – vom „approbierten Arzt“ reden viele Kollegen Lauterbachs ohnehin nur noch in Anführungszeichen – zu zerstören droht.
Lauterbach war lange Zeit dagegen
Der Grund: In ihrem Koalitionsvertrag hatten sich SPD, Bündnis 90/Die Grünen und FDP auf die Legalisierung des Konsums von Cannabis verständigt. Schwarz auf weiß heißt es dort unter der Zwischenüberschrift „Drogenpolitik“: „Wir führen die kontrollierte Abgabe von Cannabis an Erwachsene zu Genusszwecken in lizenzierten Geschäften ein. Dadurch wird die Qualität kontrolliert, die Weitergabe verunreinigter Substanzen verhindert und der Jugendschutz gewährleistet.“
Vergangene Woche hat Lauterbach, lange Zeit ein erklärter Gegner einer Legalisierung der Hanfpflanze, nun die Eckpunkte des Projekts vor der Bundespressekonferenz in Berlin vorgestellt. Das sieht vor, Cannabis bzw. Tetrahydrocannabinol (THC) rechtlich nicht länger als Betäubungsmittel einzustufen. Produktion, Lieferung und Vertrieb der Substanz sollen künftig „innerhalb eines lizensierten und staatlich kontrollierten Rahmens zugelassen werden. Erwerb und Besitz von Cannabis soll bis zu einer Höchstmenge von 30 Gramm im privaten und öffentlichen Raum straffrei ermöglicht werden. Auch der Eigenanbau soll in begrenztem Umfang erlaubt werden“.
Vertrieb auch in Apotheken
Der Vertrieb soll mit Alterskontrolle durch lizensierte Fachgeschäfte und, kein Scherz, Apotheken erfolgen. Als Mindestalter für den Verkauf und Erwerb soll die Vollendung des 18. Lebensjahres festgeschrieben werden. Anders als bei vorgeburtlichen Kindstötungen soll jedoch die Werbung für Cannabis-Produkte untersagt werden. Last but not least soll die Einführung mit einer Verbrauchssteuer (Cannabisteuer) einhergehen. Schätzungen zufolge könnte das dem Bund jährlich bis zu fünf Milliarden Euro in die leere Kasse spülen.
So weit, so schlecht. Da wundert es nicht, dass die Kritik auf dem Fuße folgte. Noch dazu von allen Seiten. Dem angesichts der eigenen Umfragewerte derzeit verständlicherweise besonders schlecht gelaunten Koalitionspartner FDP gingen die vom Bundeskabinett beschlossenen Eckpunkte nicht weit genug. Die Sprecherin der FDP-Bundestagsfraktion für Sucht- und Drogenpolitik, Kristine Lütke, die mit einem Video zur Abschaffung des Werbeverbots für Abtreibung (§ 219a) zweifelhaften Ruhm erlangte, erklärte in einem auf Instagram geteilten Video: „Der vorgelegte Entwurf ist nach wie vor sehr restriktiv, er ist zögerlich und er ist auch zurückhaltend. Wenn wir einen echten und pragmatischen Verbraucher- und Jugendschutz gewährleisten wollen, müssen wir uns einige Punkte noch einmal anschauen.“ Statt einer Besitzobergrenze träten die Liberalen für eine Erwerbsmenge ein, „pro Kopf, pro Kauf bei 30 Gramm“. Lütkes Begründung: „Wir regulieren ja auch nicht, wie viele Flaschen Bier oder Wein jemand in seinem Keller aufbewahrt.“ Wie viele Käufe der „Kopf“ pro Monat, pro Woche oder gar pro Tag tätigen können solle, verriet die FDP-Politiker nicht.
Ferner: Wolle man den „Schwarzmarkt tatsächlich zurückdrängen“, brauche es „eine breite und ausgewogene Produktpallette“. Dazu gehören für sie FDP-Politikerin auch „Esswaren, die mit Cannabis versetzt“ werden. Und schließlich „ganz wichtig“: Wenn die Legalisierung soweit sei, dass sie kommen können, brauche es „eine gute und flächendeckende Verkaufsinfrastruktur“. Da müssten dann auch „moderne Wege“, wie der „Online- und Versandhandel“ sowie „Lieferdienste“, wie sie in Kanada möglich seien, gleich „mitgedacht“ werden. „Dann schaffen wir es, gutes Cannabis einfach und bequem verfügbar zu machen“ und einen „guten“ und „sicheren Verbraucher-, Jugend- und Gesundheitsschutz“ umzusetzen, so Lütke.
Auch die Ärzte übten Kritik
Auch die Ärzte übten Kritik. Nur eben andere. Der Präsident der Bundesärztekammer, Klaus Reinhardt, nannte es im ZDF-Morgenmagazin: „erschütternd, dass ein Gesundheitsminister die Legalisierung einer Substanz vorstellen muss, von der wir wissen, dass sie hirnorganische Veränderungen hervorruft, zu Verhaltensauffälligkeiten bei Jugendlichen führt, Abhängigkeiten und psychische Veränderungen auslösen kann“.
Bleibt zu hoffen, dass das oft genug zu Recht gescholtene Brüssel dem Spuk ein jähes Ende bereitet. Nach Ansicht vieler Experten verstößt die Freigabe der Droge sowohl gegen Abkommen der Vereinten Nationen als auch gegen Europarecht. Daher hat das Bundeskabinett der Europäischen Kommission denn auch eine „Interpretationserklärung“ der Abkommen zukommen lassen und um deren „Vorabprüfung“ gebeten.
Hat die Ampel Glück, beerdigt Brüssel das Ganze. Falls nicht, hat sie ein ernstes Problem. Dann nämlich müsste sie nicht nur erklären, weshalb sie dem Recht alchemistische Fähigkeiten zuschreibt, sondern auch, welche Drogen die Mitglieder des Kabinetts konsumieren. Anders formuliert: Wer, wenn nicht diejenigen, die regelmäßig in Paralleluniversen zu Gast sind, könnten auf die Idee verfallen, dass eine chemische Substanz wie THC, die, wenn sie in den Blutkreislauf gelangt, das Gehirn nachweislich schädigt, dort weniger Schaden anrichtet, wenn man sie legalisiert?
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