Rund einen Monat vor den sogenannten "Midterms", den Zwischenwahlen zum US-Kongress am 8. November, steht das Thema Abtreibung in den USA erneut auf der innenpolitischen Agenda. In Washington demonstrierten am vergangenen Wochenende Tausende gegen die Entscheidung des US-Supreme Courts.
Verschärfung der Gesetze
Der hatte am 24. Juni im Zuge der Entscheidung des Falls "Dobbs v. Jackson Women s Health Organization" auch sein Grundsatzurteil "Roe v. Wade" aus dem Jahr 1973 aufgehoben und die rechtliche Regelung von Abtreibungen wieder in die Hände der Parlamente der Bundesstaaten gelegt. Seitdem haben zahlreiche Bundesstaaten ihre diesbezüglichen Gesetze verschärft oder Abtreibungen ganz verboten. Vergangene Woche meldete das "Guttmacher-Institute", inzwischen hätten in 14 Bundestaaten insgesamt 66 vormalige Abtreibungskliniken die Arbeit ganz eingestellt oder böten dort zumindest keine vorgeburtliche Kindstötungen mehr an.
Die einflussreiche Denkfabrik der Abtreibungslobby, die rund 100 Mitarbeiter in ihren Büros in Washington und New York beschäftigt, rechnet damit, dass bis zu 12 weitere Bundesstaaten ihre Abtreibungsgesetze binnen eines Jahres derart verschärfen werden, dass auch dort Kliniken schließen.
Kultur des Lebens
Auch die amerikanischen Bischöfe meldeten sich zu Wort. In einem auf der Homepage der US-Bischofskonferenz veröffentlichten Dokument rief der Vorsitzende des Komitees für Lebensschutz-Aktivitäten der Bischofskonferenz, Erzbischof William E. Lori, die Katholiken auf, eine "Kultur des Lebens und eine Zivilisation der Liebe in Amerika" aufzubauen. Die Rücknahme des Urteils "Roe v. Wade" sei ein "Sieg für die Gerechtigkeit, die Rechtsstaatlichkeit und die Selbstverwaltung." "Aber für diejenigen unter uns, die dafür gebetet haben, dass dieser Moment kommen möge, ist es an der Zeit, unsere Bemühungen um den Aufbau einer Kultur des Lebens und einer Zivilisation der Liebe zu erneuern und neu auszurichten", so Lori weiter.
"Gerechtigkeit" sei zwar "eine Grundvoraussetzung für die Erreichung dieses Ziels", reiche aber allein nicht aus. "Um eine Welt zu errichten, in der alle willkommen sind, bedarf es nicht nur der Gerechtigkeit, sondern auch des Mitgefühls, der Heilung und vor allem der bedingungslosen Liebe", heißt es in dem Text.
Paradigmenwechsel
In der bereits angebrochenen "Post-Roe-Welt" müssten "Katholiken nun gemeinsam auf einen weiteren, noch tieferen Paradigmenwechsel hinarbeiten". Es gehe darum, "den Menschen in unserem Land zu helfen, besser zu erkennen, wer wir als Nation sein können, indem wir wirklich verstehen, was wir einander als Mitglieder der gleichen Menschheitsfamilie schulden." Abtreibung sei "ein grausames Zeichen dafür, dass wir unsere gegenseitige Zugehörigkeit vergessen haben". Unter Berufung auf Papst Johannes Paul II. rufen die Bischöfe die Katholiken in dem Text zur "radikalen Solidarität" auf. Es gelte "das Wohl der anderen zu unserem eigenen Wohl zu machen insbesondere das der Mütter, der (geborenen und ungeborenen) Kinder und der Familien während der gesamten menschlichen Lebensspanne". Und weiter: Der "Aufruf zur Freundschaft und Mitgefühl" wurzele "in der Wahrheit, dass wir dazu geschaffen sind, unseren Nächsten zu lieben wie uns selbst".
Zerstrittene Bischöfe
Die US-Bischöfe hatten sich zuletzt heftig zerstritten in der Frage des Kommunionempfangs von Politikern gezeigt, die Abtreibungen öffentlich unterstützen. Dabei ging es etwa darum, ob US-Präsident Joe Biden und der Sprecherin des Repräsentantenhauses, Nancy Pelosi, die Spendung der Kommunion verweigert werden solle. Während ein Teil der Bischöfe dies befürwortete, lehnten anderen dies ab. Auf dem Höhepunkt des Streits, schreckte Loris Vorgänger als Vorsitzendes des Komitees für Lebensschutz-Aktivitäten, Erzbischof Joseph Naumann, im Interview mit dieser Zeitung auch vor Kritik an Papst Franziskus nicht zurück, der eine Verweigerung der Kommunion ebenfalls ablehnt.
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