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Geopolitisches Testlabor Westafrika

In einem vergleichsweise friedlichen und prosperierenden Teil des Kontinents zerbröselt die alte Einheit, und es wächst die politische Instabilität.
Der Präsident der Westafrikanischen Wirtschaftsgemeinschaft ECOWAS, Omar Touray
Foto: IMAGO/Matrix Images / Afolabi Sotunde (www.imago-images.de) | Der Präsident der Westafrikanischen Wirtschaftsgemeinschaft ECOWAS, Omar Touray, schlägt Alarm. In der Region macht sich durch Islamismus, Korruption und Putschversuche zunehmend Instabilität breit.

Omar Touray ist nicht bekannt für klare Worte. Als Präsident der Westafrikanischen Wirtschaftsgemeinschaft ECOWAS gibt sich der 60-jährige Gambier meist diplomatisch – aus gutem Grund. Der Zusammenhalt der Gemeinschaft zwölf sehr unterschiedlicher Staaten von Gambia über Ghana bis Nigeria mit insgesamt rund 360 Millionen Einwohnern erfordert oft viel Vermittlungsarbeit und Verhandlungsgeschick. Doch Anfang Dezember, nach dem versuchten Militärputsch im ECOWAS-Mitgliedsland Benin, musste Touray konstatieren: ECOWAS befinde sich in einem Ausnahmezustand.

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Es sei nötig, ernsthaft über die Zukunft der Demokratie und die Sicherheit der regionalen Gemeinschaft nachzudenken, sagte Touray in der Vorwoche in Nigerias Hauptstadt Abuja, die Sitz der ECOWAS ist. Überall in Westafrika drohten Risiken. Neben Machtergreifungen durch das Militär nannte Touray sinkende Wahlbeteiligungen, wachsende Bedrohung durch Terroristen, bewaffnete Gruppen und kriminelle Netzwerke sowie zunehmenden geopolitischen Druck, der den Zusammenhalt der Staaten beeinträchtige. Angesichts dieser Lage könne man mit Sicherheit sagen, dass sich ECOWAS in einem Ausnahmezustand befinde. Das Bündnis müsse stärker Ressourcen bündeln, um gegen Terroristen und kriminelle Gruppen vorzugehen, die Bürger stärker politisch einbinden und die regionale Einheit gegen Druck von außen verteidigen.

Mühsam errungene Einheit

Was war geschehen? Im kleinen, aber für den Transit vom nördlich gelegenen Sahel an den Golf von Guinea bedeutsamen Küstenstaat Benin hatte am 7. Dezember eine Gruppe frustrierter Soldaten gegen Präsident Patrice Talon rebelliert, den staatlichen Fernsehsender besetzt und die Absetzung Talons verkündet. Doch der Putsch misslang. Mehr als zehn Aufständische wurden festgenommen, weitere sind auf der Flucht. Nach offiziellen Angaben wurden mehrere Menschen getötet, unter anderem Benins Generalstabschef. Zuletzt hatte Talon bekannt gegeben, die Lage sei mit Unterstützung der nigerianischen Armee wieder vollständig unter Kontrolle, doch die Unzufriedenheit mit der Regierung in Cotonou ist damit nicht ausgeräumt. Die Rebellen haben ihre Finger in offene Wunden gelegt.

Westafrika, ein im Vergleich zu anderen Regionen Afrikas über Jahre vergleichsweise friedlicher und prosperierender Teil des Kontinents, droht der Zerfall seiner nach Ende der Kolonialzeit um 1960 mühsam errungenen Einheit. Eine Einheit, von der viele Staaten am Atlantik, aber auch weiter nördlich, im Sahel, profitiert haben: durch wirtschaftlichen Aufschwung, Zuwachs an Freiheiten für die Bürger und mehr Zusammenarbeit unter friedlichen Bedingungen. Was Westafrika jetzt erlebt, ist eine Zeitreise zurück in längst überwunden geglaubte Verhältnisse. So häufen sich die vollzogenen oder versuchten Militärputsche: vor Benin in Guinea (2021), Mali (2021), Burkina Faso (2022), Niger (2023) und Guinea-Bissau (2025). Die Putsche konzentrieren sich auf den Sahel und haben zu politischer Instabilität geführt, oft mit Unterstützung oder Sympathie durch andere Militärregierungen in der Region, wie in Mali und Burkina Faso.

Machtlos gegen den vordringenden Islamismus

Es scheint, als sei der von den USA, Russland und China vorgelebte Ansatz des Nation-first machtvoll nach Afrika übergeschwappt. Die ECOWAS als verbindendes Glied zerbröselt förmlich, nachdem die Militärregierungen im Sahel (Mali, Burkina Faso und Niger) im Vorjahr ausgetreten sind und ihren eigenen Bund, die „Alliance des États du Sahel“ (Allianz der Sahelstaaten, AES) gegründet haben, um eine stärkere regionale Integration und die „Abkehr von der postkolonialen Abhängigkeit“ zu fördern. Frankreich als frühere Kolonialmacht ist seitdem unten durch. Heute steht vor allem Russland den Militärs in Bamako, Ouagadougou und Niamey als Pate und neue Schutzmacht zur Seite. Westafrika entwickelt sich immer mehr zu einem geopolitischen Testlabor, in dem offenbar wird, was passieren kann, wenn Isolationismus, militärische Alleingänge und nationales Interesse um sich greifen, wo zuvor ein Geist grenzüberschreitender Kooperation vorherrschte.

Diese Entwicklung wird zudem befeuert von der Schwäche regionaler Mächte, die bislang integrieren konnten: in Westafrika vor allem Nigeria. Der mit rund 230 Millionen Menschen bevölkerungsreichste Staat Afrikas leidet unter dem Terror islamistischer Organisationen und Banden im Herzen des Landes. Immer wieder kommt es zu Attentaten und Entführungen. Sehr oft sind Christen die Opfer. Nigerias Präsident Bola Tinubu, selbst Muslim, verurteilt die Gewaltexzesse aufs Schärfste, hat es aber nur selten geschafft, das Pulverfass im Zentrum seines Landes zu entschärfen. Hinzu kommen vielerorts Korruption, Vetternwirtschaft und Machtverliebtheit. Côte d’Ivoire (Elfenbeinküste) ist dafür ein gutes Beispiel, ebenfalls eine regionale Größe und wirtschaftlich erfolgreich. Die Wiederwahl von Präsident Alassane Ouattara für eine vierte (!) Amtszeit erfolgte nach unverhohlener Unterdrückung der Opposition. Viele Kandidaten durften gar nicht antreten. Der Chef der Oppositionspartei PDCI, Tidjane Thiam, war von der Wahl ausgeschlossen worden. Gleiches galt für Ex-Präsident Laurent Gbagbo, einen weiteren aussichtsreichen Konkurrenten.
Indes lässt der große Durchbruch, den die Militärs in den AES-Staaten den Menschen versprochen haben, auf sich warten. Dem Vordringen des islamistischen Terrorismus konnten sie kaum Einhalt gebieten. Im Gegenteil, mancherorts fühlen sich die Dschihadisten nach Abzug des Westens beflügelt. Bamako etwa wurde von der Dschihadistenmiliz JNIM abgeschnitten. Russland als neue Schutzmacht der Militärs kann selbst wenig ausrichten. Auch die Afrikanische Union (AU) mit Sitz im weit entfernten Addis Abeba schaut zu.

Ähnlich wie in Mali und Burkina Faso hatten auch die Putschisten in Benin größeren Einsatz gegen den vom Sahel überschwappenden Islamismus auf die Küstenstaaten in Aussicht gestellt, doch nach allen Erfahrungen in Mali und anderen AES-Staaten hätten sie wenig tun können. Der grenzüberschreitende islamistische Terrorismus in Westafrika – eine der zentralen Herausforderungen in der Region – kann nur durch größere gemeinsame Anstrengungen erfolgreich bekämpft werden. Mit Schwächung der ECOWAS fehlt nun eine übergeordnete, koordinierende Kraft mit dem Blick für das große Ganze.

Vetternwirtschaft und Machtverliebtheit

Die katholische Kirche als geachtete Kraft in vielen Ländern Westafrikas kann da nicht in die Bresche springen. Aber sie ist doch eine Mahnerin und Fürsprecherin für Frieden und Zusammenarbeit, von der im Sinn des Gemeinwohls alle profitieren. Benins Bischofskonferenz hat gleich nach dem Putschversuch militärische Gewalt verurteilt und zur Einheit gemahnt. Sie wirbt für einen Neustart und die Rückbesinnung auf bewährte Tugenden wie Kooperation und Solidarität. Mit ihnen ist in Westafrika mehr zu gewinnen als durch nationale Egoismen, nicht nur bei der Terrorbekämpfung, sondern auch beim Kampf gegen die Drogenkartelle, in der Landwirtschaft oder beim Ausbau erneuerbarer Energien, die zum westafrikanischen Exportschlager werden könnten.


Der Autor ist Journalist und Afrika-Experte.

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