Unser Land befindet sich in einem Zustand, wie ich ihn zuvor noch nie erlebt habe: Die Gesellschaft ist stark politisiert, aber gleichzeitig im erheblichen Maße polarisiert und auch moralisiert. Während die Politisierung im Grunde eine positive Entwicklung ist, dürfen uns die zunehmende Polarisierung und Moralisierung nicht kaltlassen.
Kaum noch sachlicher und differenzierter Diskurs
Was passiert, wenn unbequeme Fragen aufgeworfen werden, konnte ich in diesem Sommer selbst erleben. Meine Forderung nach einer Vorschulpflicht für Kinder, die kaum Deutsch können, löste eine Welle emotionaler Reaktionen aus, die von Rassismusvorwürfen bis hin zu euphorischer Zustimmung reichten. Mir scheint, als sei unsere Gesellschaft schon derart gespalten, dass wichtige Themen kaum noch sachlich und differenziert diskutiert werden können.
Aus diesem Grund verstehe ich jeden, der sagt, dass die Grenzen des Sagbaren enger werden. Wer Probleme offen anspricht, sei es nun in der Flüchtlings- oder der Grundschuldebatte, der muss erwarten können, dass man ihm mit Argumenten antwortet und ihn nicht pauschal als Rassisten bezeichnet. Der Wille zur Empörung über jede Äußerung, die nicht politisch korrekt ist, hat die Gesellschaft polarisiert und die Ränder, allen voran die AfD, gestärkt. Wir werden unzufriedene Wähler, die für den demokratischen Diskurs nicht verloren sind, nur zurückgewinnen, wenn wir ihnen zugestehen, dass ihre Probleme und Sorgen berechtigt sind.
Was im Rahmen des Grundgesetzes ist, darf gesagt werden
Jede Äußerung darf getroffen werden, solange sie mit dem Grundgesetz vereinbar ist. Und was mit dem Grundgesetz vereinbar ist, entscheiden Gerichte und nicht der, der in den „sozialen“ Netzwerken am lautesten schreit. Diesem demokratiegefährdenden Trend müssen wir entgegenwirken. Wir sind alle gefordert, mit unseren Freunden, Nachbarn, Arbeitskollegen, im Sportverein oder wo auch immer offenherzig über Politik zu sprechen, unterschiedliche Meinungen zuzulassen und im Dialog zu bleiben. Unsere Demokratie lebt davon.
Der Autor ist Bundestagsabgeordneter und Bundesvorsitzender der Mittelstands- und Wirtschaftsunion der CDU/CSU