Friedrich Merz lässt keinen kalt. Bei seinen Freunden wie bei seinen Gegnern ruft er Phantasien wach. Diese Eigenschaft gereicht dem CDU-Chef zum Segen, aber auch zum Fluch. Zunächst zum Segen: Wie kein Anderer verkörperte er die Chance seiner Partei auf einen Neuanfang. Während seine Anhänger ihn zu einer Lichtgestalt hochjubelten, blieb aber unklar, wie denn so ein Neustart à la Merz aussehen wird. Steht er für eine Rückkehr zur alten Kohl-CDU - das hoffen die vielen Nostalgiker unter seinen Fans. Oder orientiert er sich an ganz anderen Vorbildern, Viktor Orbán etwa oder gar Donald Trump - für manche Merz-Fans die Stars eines neuen Konservativismus.
Merz machte allen einen Strich durch die Rechnung
Und damit sind wir beim Fluch: Statt auf den realen Merz zu schauen, wurde seine Politik zur Projektionsfläche für die vielen unerfüllten Träume und Hoffnungen, die sich rechts der Mitte in den Merkel-Jahren aufgestaut hatten.
Hinzu kommt: Sowohl die Merz-Ultras, also die, die am lautesten die Trommel für ihn schlugen, wie seine Gegner waren sich in einem seltsam einig: Sie erwarteten oder eben befürchten von ihm eine inhaltliche 180 Grad-Wende für die Union.
Aber Merz selbst machte beiden Seiten einen Strich durch die Rechnung: Er setzte auf Ausgleich zwischen den Flügeln, schlug gar einen Kompromiss zu der bei der Parteirechten verhassten Frauenquote vor. Viele Union-Stammwähler verunsicherte Merz damit. Wo war das kraftvolle Wort des Vorsitzenden zu den Zugeständnissen seiner Partei an die Grünen in Düsseldorf und Kiel? Warum ritt er keine Attacke gegen die gesellschaftspolitischen Pläne der Ampel? Stattdessen konzentrierte sich Merz auf die Außenpolitik und machte zuletzt bei seinen Besuchen in Polen und Litauen einen gute Figur.
Die Merz-Ultras sind enttäuscht
Doch nun illustriert eine Episode in welcher Zwickmühle Merz steckt. Er sollte bei einer Veranstaltung der Kampagnenagentur „The Republic“ sprechen. Mit dabei: US-Senator Lindsey Graham, ein ehemaliger Trump-Unterstützer, der heute eine durchaus differenzierte Position zu dem Ex-Präsidenten einnimmt, der Publizist Henryk M. Broder und der Rechtsanwalt Joachim Steinhöfel (er vertrat auch schon die AfD), alle für die Linke böse Dunkelmänner. Es gab Proteste. Und Merz sagte ab.
Das Ergebnis: Die Merz-Ultras sind enttäuscht: Wie kann es sein, dass der Kritiker der Cancel-Culture sich selbst cancelt? Und die Gegner: Für sie alles nur Taktik, Merz ist und bleibt natürlich selbst ein Dunkelmann. Das ist wohl sein Schicksal: Was über ihn gedacht wird, bestimmen Andere. Was aber Merz selbst denkt, wissen wir immer noch nicht.
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