Ein Sketch von Loriot aus dem Jahr 1977, eine Politikerdiskussion mit Vertretern aller Parteien, die damals im Bundestag vertreten waren: CDU, CSU, SPD – und FDP. Der Vertreter der Freidemokraten sagt stets nur einen Satz: „Liberal im liberalen Sinne heißt nicht nur liberal.“ Humor-Altmeister Vicco von Bülow hat damals ein Phänomen beschrieben, das auch heute noch die Politik der FDP bestimmt. Den Beweis lieferte der Parteitag der Freidemokraten am vergangenen Wochenende in der Hauptstadt. Der entscheidende Satz, der zeigt, dass auch Christian Lindner begriffen hat, dass es nicht ausreichen wird, „nur liberal zu sein“, wenn seine Partei in der Koalition und vor allem bei den bevorstehenden Landtagswahlen Punkte machen will: „Wir kämpfen für den Wert der Freiheit, für wirtschaftliche Vernunft, faire Lebenschancen und ein modernes, nicht-linkes Deutschland.“
Bollwerk des „nicht-linken Deutschlands"
Ein deutliches Signal an die bürgerlichen Wähler, die an der FDP kein Interesse als liberaler Weltanschauungspartei haben, sondern bei ihr ihr Kreuz machen, weil sie für sie eine Funktion hat: Bollwerk des „nicht-linken Deutschlands“. Für seine Rede bekommt der FDP-Chef viel Applaus von den Delegierten. Mit 88 Prozent wird Lindner als Bundesvorsitzender wiedergewählt. Er ist und bleibt der starke Mann der FDP. Das ist der Dank dafür, dass Lindner in seiner Grundsatzrede den Weg in eine Richtung gewiesen hat, die in gewisser Weise für die FDP klassisch ist, aber eben auch nicht mehr so selbstverständlich wie ehedem. Und, diese Richtungsvorgabe markiert auch eine strategische Kehre bei Lindner selbst. Doch der Reihe nach. Zunächst ein Blick zurück in die Parteigeschichte.
In einer Zeit, in der alle Parteien von rechts bis links für sich in Anspruch nehmen, auch irgendwie liberal zu sein, fällt es den Freidemokraten schwer, ihr Profil auf dem politischen Markt zu behaupten. Es reicht eben nicht aus, bloß liberal zu sein. Die Antwort der FDP auf dieses Problem lautet seit den Anfängen der Bundesrepublik: bürgerliche Funktionspartei, nicht liberale Weltanschauungspartei. Die Botschaft an ihre Wähler: Wir sind die Repräsentanten eurer Interessen. Parallel wird die Gleichung aufgesetzt: Unsere Klientel ist die bürgerliche Mitte der Gesellschaft. Und diese Mitte ist sozusagen von Natur aus liberal.
Die Blaupause für das Regierungshandeln der Freidemokraten
Die Folge: Auf weltanschauliche Grundsatzdiskussionen kann weitestgehend verzichtet werden. Stattdessen wird die ganze politische Kraft darauf konzentriert, als Funktionspartei die Interessen der eigenen Klientel gegenüber dem jeweils größeren Koalitionspartner durchzusetzen. Die Kern-Slogans dieser Interessenpolitik: Privat vor Staat. Und: Mehr Marktwirtschaft wagen. Das war so unter Adenauer und später unter Kohl wie auch in der sozial-liberalen Phase unter den Kanzlern Brandt und Schmidt.
Und im Prinzip ist dieses Konzept auch die Blaupause für das Regierungshandeln der Freidemokraten in der Ampel. Aber doch ist nun etwas anders: Die FDP steckt in einer Dreier-Koalition. Es reicht nicht mehr aus, sich nur gegenüber der Kanzlerpartei zu profilieren. Sie muss sich auch gegenüber dem anderen Partner behaupten. Grundsätzlich sind zwei Modelle möglich: Mit den Grünen gemeinsam gegen die SPD. Oder: Schulterschluss mit den Sozialdemokraten gegen die Grünen.
Der Traum der liberalen Volkspartei
Zu Beginn der Ampelregierung schien es so, als ob die FDP die erste Variante bevorzugen würde. Christian Lindner und Robert Habeck gaben sich als das Kraftduo der Ampel und inszenierten sich und ihre „Zitrus-Parteien“ als den eigentlichen Reformmotor der selbst ernannten „Fortschrittskoalition“. Das ist nun seit einiger Zeit anders: Die FDP dient sich immer öfter dem Kanzler als Ausputzer an, wenn die Grünen drohen, es ideologisch zu bunt zu treiben. Um zu verstehen, warum diese Konstellation der FDP zunehmend Probleme bereitet, muss aber noch eine Phase in der Geschichte der Partei in den Blick genommen werden, die für die jetzige freidemokratische Führungsschicht prägend geworden ist: Es war kurz nach Beginn des neuen Jahrtausends, als die Freien Demokraten davon träumten, eine liberale Volkspartei sein zu können. „Projekt 18“, hieß die Devise.
Die Idee dahinter: Raus aus der babylonischen Koalitionsgefangenschaft mit der Union. Stattdessen ein liberales Programm, das sich nicht darin erschöpft, Klientelpolitik für die marktwirtschaftlich orientierten Teile der bürgerlichen Mitte zu machen. Mehr gesellschaftspolitische Ambitionen, mehr Raum für Linksliberale. Das Ziel: 18 Prozent bei der Bundestagswahl, nie wieder Angst, vor der Fünf-Prozent-Hürde straucheln zu können. Es ist die Zeit, in der zum ersten Mal ein junger, ungewöhnlich eloquenter Liberaler aus NRW von sich reden macht: Christian Lindner.
FDP zwischen den Stühlen
Was ist von dem jungen Lindner geblieben? Gewiss, seine Position in der Partei ist wohl jetzt so stabil wie schon lange nicht mehr. Er ist es, der seine Partei 2017 zurück in den Bundestag geführt hat. Er war es auch, der den Freien Demokraten den Weg in die Ampel-Regierung geebnet hat. Das sind die historischen Verdienste. Ist noch der Ehrgeiz des jungen Liberalen Christian L. da, seiner Partei einen ideologischen Selbststand innerhalb des Parteienspektrums zu verschaffen? Oder überwiegt die Einsicht, dass sich mit der alten Rolle der bürgerlichen Funktionspartei am besten Wähler mobilisieren lassen? Es ist ein entschiedenes Sowohl-als auch.
Wie die Partei selbst tickt, zeigte der Antrag des FDP-Bundestagsabgeordeten Frank Schäffler, einst als Euro-Rebell bekannt. Unterstützt von zahlreichen weiteren Abgeordneten aus der Bundestagsfraktion forderte er einen noch härteren Kurs seiner Partei gegen das Heizgesetz der Bundesregierung. Ärger hatte vor allem der Plan hervorgerufen, dass bis zum 1. Januar nächsten Jahres der Einbau von Gasheizungen in Neubauten verboten werden soll. Entsprechend soll das Gesetz nun nach dem Willen der Delegierten überarbeitet werden. Schäffler soll zuvor, so war kolportiert worden, das Gesetz der Regierung als „Atombombe“ bezeichnet haben. Hat die FDP sie nun entschärft?
Mehr Marktwirtschaft in allen Bereichen
Jedenfalls wurde der Schäffler-Antrag mit sehr großer Mehrheit angenommen. Dieses Votum unterstreicht: Lindner hat mit seinem Wort vom „nicht-linken Deutschland“ auf jeden Fall einen Nerv in seiner Partei getroffen. Das Herz der liberalen Basis schlägt offenbar genau da, wo es auch bei der klassischen FDP gepocht hat: Man will mehr Marktwirtschaft in allen Bereichen. Ob die Partei aber tatsächlich auch dazu bereit ist, sich auf diesen Bereich zu konzentrieren, um so die Funktion zu erfüllen, die ihr die meisten Wähler zugedacht haben?
Genug zu tun hätte sie damit. Denn der nächste Krach mit den Grünen ist vorprogrammiert. Von Seiten des anderen kleinen Koalitionspartners wird die FDP-Änderungswünsche nicht einfach so hinnehmen. Hier wird Lindner, der jetzt freilich auch vom Parteitag mit seinem guten Ergebnis Rückendeckung bekommen hat, Stehvermögen zeigen müssen.
„Liberal im liberalen Sinne ist nicht nur liberal“
Aber dann ist da noch der Bereich der Gesellschaftspolitik: Wird die FDP hier ihre Ambitionen herunterschrauben, weil sie erkennt, dass sie hier bei den für sie erreichbaren Wählergruppen keine Punkte machen kann? Bundesjustizminister Marco Buschmann ist die zentrale Figur beim sogenannten „Selbstbestimmungsgesetz“. Und auch die Jungen Liberalen, als Jugendorganisation sowieso programmatisch ambitionierter als die Altvorderen, haben in diesem Themenbereich bereits politischen Ehrgeiz gezeigt. Dem jungen Christian Lindner hätte diese liberale Eigenprofilierung gefallen. Aber wie sieht es jetzt aus? Überwiegen nun die Befürchtungen, so noch zum Bürgerschreck zu mutieren und diejenigen zu verschrecken, die auf die FDP vor allem als marktliberales Korrektiv in der Ampel hoffen?
Lindner hat die liberale Eigenmarke in der Wirtschaftspolitik vor allem beim Parteitag gesetzt, indem er sich lautstark von der Union abgesetzt hat. Die habe durch ihre unsolide Finanzpolitik schlechte Vorarbeit geleistet. Und die Gesellschaftspolitik ist auch Verhandlungsmasse bei möglichen Deals mit den Grünen. Könnte also gut sein, dass am Ende wieder dieser Satz steht: „Liberal im liberalen Sinne ist nicht nur liberal.“
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