Ginge in der Politik alles mit rechten Dingen zu, dann wäre der niederbayerische Katholik heute Präsident der EU-Kommission. Die jüngste Europawahl 2019, in die der CSU-Politiker Manfred Weber die christdemokratische Parteienfamilie EVP führte, gewann er jedenfalls klar. Doch ein Hinterzimmer-Pakt von Angela Merkel, Viktor Orbán und Emmanuel Macron verhinderte Weber und hob Ursula von der Leyen, die gar nicht kandidiert hatte, an die Spitze der EU-Regierung. Weber machte gute Miene zum bösen Spiel. Er widerstand anschließend auch der Versuchung, nach dem Chefsessel im Europäischen Parlament zu greifen. Stattdessen wird der EVP-Fraktionschef jetzt auch EVP-Parteivorsitzender, also so etwas wie Europas oberster Christdemokrat. Jedenfalls, wenn es ausnahmsweise mit rechten Dingen zugeht.
Glühender Europäer und praktizierender Katholik
Nicht nur CDU und CSU sprachen sich in dieser Woche dafür aus, Manfred Weber mit der Nachfolge von Donald Tusk zu betrauen und ihm die Doppelrolle aus Fraktions- und Parteichef zuzutrauen. Alles spricht dafür, dem glühenden Europäer und praktizierenden Katholiken die Leitung der christdemokratischen Parteien-Föderation zu übertragen: Weber, der Physikalische Technik studierte und ein Unternehmen für Qualitätsmanagement und Arbeitssicherheit aufbaute, ist in der EU bestens vernetzt, hat bewiesen, dass er einen europaweiten Wahlkampf führen und gewinnen kann, ist unaggressiv und analytisch. Ein präziser Formulierer und hellwacher Zuhörer; ein Intellektueller, der aber auch den Stammtisch begeistern kann – das ist in der Christdemokratie heute Mangelware.
Weber gilt als ehrlicher Vermittler, als Verhandler mit Handschlagqualität. Das ist angesichts unterschiedlicher Interessen geradezu die Vorbedingung jedes Erfolgs auf europäischer Ebene. Gerade in den jüngsten Krisenjahren hat er zugleich bewiesen, dass er die (notgedrungen heterogene) größte Fraktion im Europäischen Parlament nicht nur zusammenhalten, sondern auch zielgerichtet führen kann.
Der benediktinisch geprägte Niederbayer, der sich immer wieder zur Besinnung ins heimatliche Kloster Rohr zurückzieht, hat aus seinem Glauben nie ein Geheimnis gemacht. Nach seiner jüngsten Papst-Audienz am vergangenen Freitag in Rom schwärmte er geradezu von der inspirierenden Begegnung mit dem Heiligen Vater. Er hat gute Voraussetzungen, einer vielfach blass gewordenen Christdemokratie in Europa wieder Farbe und Konturen zu geben. Im Gespräch mit dieser Zeitung meinte er einmal, das Christentum sei „nicht fürs Museum, sondern Orientierung gebendes Leitmotiv für die Zukunft“. Darum geht es.
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