Die Vizepräsidentin des Europäischen Parlamentes, Nicola Beer (FDP), hat einen Besuch in Taiwan absolviert. Sie wurde letzte Woche von Präsidentin Tsai Ing-wen, der Regierung und taiwanischen Abgeordneten herzlich empfangen. Taiwan wird unter dem Druck der Volksrepublik China weithin diplomatisch isoliert. Umso dankbarer waren die Taiwaner für den Besuch einer Repräsentantin des Europaparlamentes. Eine erste offizielle Delegation von Europaparlamentariern war bereits im November 2021 in Taipeh. Beer war auf Einladung taiwanischer Abgeordneter jetzt zum ersten Mal in der Inselrepublik.
Auf dem Programm standen Treffen mit Premierminister Su Tseng-Chang, Außenminister Joseph Wu, Vizeparlamentspräsident Tsai Chi-chang, Digitalministerin Audrey Tang und dem Minister des Mainland Affairs Council (dem Amt für die Beziehungen mit dem chinesischen Festland), Chiu Tai-San. Chiu schrieb auf Twitter: „Wir sprachen über die Einschüchterung durch Festlandchina, Taiwans Gegenmaßnahmen und Lehren aus regionalen Konflikten und äußerten die Hoffnung auf eine verstärkte Zusammenarbeit in naher Zukunft.“
Hoffnung auf engere Partnerschaft mit der EU
Tsai Ing-wen nannte Beer im Präsidentenpalast eine „gute Freundin Taiwans“, die sich seit langem für Taiwan einsetze. Seit Januar 2021 habe das Europäische Parlament 20 Entschließungen zur Unterstützung Taiwans verabschiedet. „Ich hoffe“, sagte die Präsidentin, „dass Taiwan und die EU eine noch engere Partnerschaft aufbauen und die Fortschritte in Richtung eines bilateralen Investitionsabkommens beschleunigen können“. Im vergangenen Jahr hätten die taiwanischen Investitionen in Europa einen Rekordwert erreicht. Taiwan stehe zudem angesichts der Ausbreitung des Autoritarismus an vorderster Front, um die Demokratie zu verteidigen.
Bei den Gesprächen Beers in Taipeh kam auch immer wieder der Krieg Putins gegen die Ukraine zur Sprache. Der Angriffskrieg wird in Taiwan genau verfolgt, und zwar auch hinsichtlich der militärischen Details. Tsai ist bestrebt, die Verteidigungsfähigkeit Taiwans zu erhöhen. Die Präsidentin hat jetzt das jährliche taiwanische Militärmanöver „Han Kuang“, bei dem die Abwehr einer chinesischen Invasion trainiert wird, erstmalig auch an Bord einer Fregatte der Chenggong-Klasse vor der Küste Nordosttaiwans beobachtet.
Beer erklärte gegenüber Tsai, man teile mit Taiwan gemeinsame Werte. Und: „Ich selbst stamme aus einer geteilten Familie in Deutschland, in der wir uns persönlich von autoritären Regimen bedroht fühlten. Ich kann also sehr gut nachvollziehen, wie Sie sich hier in Taiwan angesichts der Bedrohung fühlen, mit der Sie jeden Tag leben“. Taiwan sei eine „pulsierende, lebendige“ Demokratie, diese müsse erhalten bleiben. Taiwan sei auch ein „strategischer, verantwortungsbewusster und zuverlässiger internationaler Partner“. Gemeinsam setze man sich für Frieden und Stabilität in der Region ein. „Deshalb wehren wir uns gegen jede Provokation oder Bedrohung des Status quo. Wir wollen auch weiterhin gute Beziehungen zur Volksrepublik China haben. Lassen Sie mich jedoch klar und deutlich die tiefe und ernste Besorgnis Europas darüber zum Ausdruck bringen, dass China sich in eine Richtung bewegt, die den Status quo einseitig verändern könnte. Dies darf unter keinen Umständen und unter keinem Vorwand geschehen“, betonte Beer.
Nur das taiwanische Volk könne über die Zukunft Taiwans entscheiden. „Wir fordern die Volksrepublik China auf, von ihren Drohgebärden Abstand zu nehmen“, erklärte sie. Taiwan müsse „mit all seinen Stärken, seiner Würde und seinem Potenzial die Gewissheit haben, dass es sich frei und friedlich entwickeln“ könne. Nach dem Treffen mit Premierminister Su Tseng-chang erklärte sie: „Es darf keinen 24. Februar in Asien geben.“ Und: „Es reicht nicht, dass Europa hinterher bedauert, es muss frühzeitig auf der Bildfläche stehen.“
Reger Handel mit den EU-Mitgliedstaaten
An den Treffen mit der taiwanischen Staatsführung nahm auch der deutsche Diplomat Thomas Jürgensen vom Europäischen Wirtschafts- und Handelsbüro in Taipeh teil. Jürgensen wurde am 26. Juli von Wirtschaftsministerin Mei-Hua Wang für seine Verdienste geehrt. Dabei wies Jürgensen darauf hin, dass seit seiner Ankunft in Taiwan der jährliche Handel mit Waren und Dienstleistungen zwischen der EU und Taiwan auf 73 Milliarden Euro gestiegen sei und die Investitionen aus EU-Ländern in Taiwan seit 2017 um rund 37 Prozent zugenommen hätten.
Bei einem Treffen mit Abgeordneten im taiwanischen Parlament, darunter auch Vertreter der Oppositionspartei Kuomintang, lud Beer ihren Amtskollegen, Vizeparlamentspräsident Tsai Chi-chang, nach Brüssel ein, auch im Namen von EU-Parlamentspräsidentin Roberta Metsola. Beer ist als Vizeparlamentspräsidentin auch dafür zuständig, Metsola in Asien zu vertreten.
Beer traf sich ferner mit der Leiterin des Büros der FDP-nahen Friedrich-Naumann-Stiftung in Taipei, Anna Marti. Außerdem mit dem früher in China inhaftierten Wing-Kee Lam, dem Gründer des Causeway Bay-Buchgeschäfts aus Hongkong, das seit 2019 in Taiwan beheimatet ist. 20 000 bis 30 000 Hongkonger sollen inzwischen in Taiwan leben. Beer besichtigte unter anderem das taiwanische Unternehmen Macronix International, das hochspezialisierte Chips und Speichermedien herstellt.
Auf einer gemeinsamen Pressekonferenz mit Beer erklärte Außenminister Joseph Wu, Taiwan werde durch China bedroht: „Aber mit einer starken Unterstützung durch Europa sind wir zuversichtlich, die Herausforderung bestehen zu können.“ Der Besuch Beers bedeute eine „starke Ermutigung“. Beer sagte, ihr Besuch finde „genau zum richtigen Zeitpunkt“ statt.
So solle dem Versuch Pekings begegnet werden, Taiwan zu isolieren. Angesichts der steigenden Spannungen in der Region müsse Europa handeln, sagte Beer unter Verweis auf die Lage im chinesischen Meer und entlang der Taiwanstraße.
Wu würde eine Einladung nach Deutschland freuen
Im letzten Jahr hatte Joseph Wu Brüssel, Prag und Bratislava besuchen können. Bezüglich Deutschland besteht aber offensichtlich weiter ein „de facto-Bann“. Wie würde der Außenminister auf eine Einladung von einer deutschen Universität oder einer Institution wie der Friedrich-Naumann-Stiftung zu einem Vortrag in Deutschland oder einer Diskussionsveranstaltung erhielte reagieren? Dazu erklärte Wu gegenüber dieser Zeitung bei einer Pressekonferenz: „Seit ich Außenminister bin, war es mir nicht möglich, Deutschland zu besuchen. Nicht weil ich das nicht gewollt hätte, sondern weil ein solcher Besuch das Einverständnis beider Seiten benötigt. Wenn es mir die deutsche Regierung erlaubte und mich eine Institution in Deutschland einlüde, zum Beispiel eine Rede zu halten oder an anderen Veranstaltungen teilzunehmen, wäre ich natürlich sehr glücklich.“ Diese Frage müsse zwischen den beiden Regierungen abgestimmt werden. Deshalb könne er jetzt nichts Genaueres dazu sagen.
Hoffnung auf mehr direkten Dialog
Was seine Visiten in Brüssel, Prag oder Bratislava betreffe, antwortete Wu weiter auf die Frage der „Tagespost“, dass „immer mehr europäische Länder die Differenzen zwischen Demokratien und Autoritarismus verstehen“. Europäische Länder, die eine sehr harte autoritäre und kommunistische Herrschaft vor 1989 erlebten hätten, verstünden den Kampf des demokratischen Taiwan und unterstützten es deshalb, wie etwa auch die baltischen Staaten. „Wir schätzen das sehr und haben so eine natürliche Affinität,“ erklärte Wu. Der Besuch in Prag, Bratislava und anderen europäischen Hauptstädten sei „wundervoll“ für ihn gewesen, sagte der taiwanische Außenminister. Wenn die Europäer ihm und anderen hohen Beamten erlaubten, dass ihnen „direkt zugehört“ werden könne, werde dies zu mehr Verständnis für Taiwan führen.
Und auch die USA setzten während des Besuchs ein Zeichen: Der amerikanische Zerstörer USS Benfold passierte die Taiwanstraße. Taipeh erklärte dazu, man verstehe und unterstützte diese Operationen zur Sicherung der Freiheit der Schifffahrt. Sie dienten der Förderung von Frieden und Stabilität in der Region.
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