Erneut assyrische Christen aus Ninive-Ebene vertrieben

Schicksal der Christen aus den Dörfern Tel Esqof und Baqofa ungewiss – Politiker fordern Peschmerga zum Rückzug auf. Von Eduard Pröls
Wiederaufbau von jesidischen Tempeln im Irak
Foto: dpa | Jesidische Männer bauen in Bashiqa, einer mehrheitlich von Christen und Jesiden bewohnten Stadt, ihren von der Terrormiliz Islamischer Staat zerstörten Tempel wieder auf.

Tel Esqof (DT) Der Nachmittag des 24. Oktober 2017 wird den Bewohnern von Tel Esqof und Baqofa vermutlich noch lange in Erinnerung bleiben, denn er markiert für sie eine Katastrophe: Sie mussten erneut – nur wenige Wochen nach der Rückkehr in ihre Häuser – überstürzt fliehen und all ihr Hab und Gut zurücklassen.

Die Kleinstadt Tel Esqof und das benachbarte Dorf Baqofa – im Norden der Ninive-Ebene im Nordirak gelegen – galten in den vergangenen Monaten als Zeichen der Hoffnung für die 2014 vom IS vertriebenen Christen. Finanziert von der ungarischen Regierung und kirchlichen Hilfsorganisationen sowie unter tatkräftiger Hilfe verschiedener internationaler und lokaler Initiativen wurde unmittelbar nach der Befreiung der Ninive-Ebene mit dem Wiederaufbau der beiden Orte begonnen.

Dabei musste neben der Instandsetzung von Wohnhäusern, Gewerberäumen, Schulen und Kirchen vor allem die Infrastruktur grundlegend neu geschaffen werden. Noch während an der Erneuerung der Wasser- und Elektrizitätsversorgung gearbeitet wurde, kehrten ab Ende April 2017 die ersten Bewohner in ihre Häuser zurück. Ende September 2017 waren rund 850 Familien zurückgekehrt, die Schulen waren wieder geöffnet und das alltägliche Leben hatte sich normalisiert.

Mit der Durchführung des kurdischen Unabhängigkeitsreferendums am 25. September 2017 begann erneut eine Zeit der Unsicherheit für die Bewohner der Region. Am 16. Oktober startete die irakische Armee eine breit angelegte Militäraktion in den zwischen der irakischen Regierung und der Autonomen Region Kurdistan umstrittenen Gebieten. In deren Verlauf zogen sich die Peschmerga auf die ehemalige Frontlinie, die in unmittelbarer Nähe zu den beiden Orten verläuft, zurück. Dem weiteren Vormarsch der irakischen Einheiten stellten sich am 24. Oktober in Tel Esqof Peschmerga-Einheiten entgegen und eröffneten das Feuer, das von der irakischen Armee erwidert wurde. Auf dem Markt von Tel Esqof schlug eine Granate ein, zwei spielende Kinder und mehrere Erwachsene wurden verletzt. In der hereinbrechenden Abenddämmerung kam es zu einer überstürzten Flucht. Innerhalb weniger Stunden floh die gesamte Bevölkerung in die nahe gelegenen Orte Sharafiya, Alqosh und Badaweia, einige wenige Familien flohen bis in die weiter nördlich gelegene Stadt Dohuk. Die Menschen wurden notdürftig bei Familien, in noch bestehenden Flüchtlingslagern, sowie teils in kommunalen und kirchlichen Einrichtungen untergebracht und mit dem Nötigsten, vor allem wärmenden Decken für die Nacht, versorgt. In Tel Esqof blieben nur der chaldäische Priester Salar Kajo und mehrere junge Männer zurück. Sie erklärten, unter allen Umständen zu bleiben, um Plünderungen vorzubeugen.

Während sich viele freiwillige Helfer und lokale Hilfsorganisationen (infolge der angespannten Lage haben die meisten internationalen Organisationen ihr Personal abgezogen) um die Versorgung der geflüchteten Menschen bemühen, ist nach wie vor völlig ungeklärt, wie es weitergeht und wann die erneut vertriebenen Menschen zurückkehren können.

Auf internationaler Ebene fordern verschiedene Politiker und Organisationen einen vollständigen Rückzug der kurdischen Peschmerga aus der Ninive-Ebene und ein Ende der faktischen Teilung der von Christen und Jesiden besiedelten Gebiete, die von der Zentralregierung verwaltet werden sollen. Ein solcher Rückzug wäre auch die Voraussetzung für die unter anderem von der Assyrian American National Federation (AANF) geforderte Umsetzung eines Beschlusses des irakischen Ministerrates von 2014, in dem die Einrichtung eines eigenen Governorates in der Ninive-Ebene beschlossen wurde.

In eine ähnliche Richtung zielt auch ein Vorstoß des schwedischen Europaabgeordneten Lars Adaktusson, der die kurdische Regionalregierung in einem am 26. Oktober 2017 veröffentlichten Statement aufgefordert hat, die Peschmerga aus allen christlichen Städten und Orten, auf die kein historisch begründbarer Anspruch besteht, unverzüglich zurückzuziehen.

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