Immer schärfer wird der Ton zwischen Ankara und Athen. Nachdem Griechenland sein Hoheitsgebiet im Ionischen Meer, westlich seines Festlands, auf zwölf Seemeilen verdoppelte, sprach der türkische Vizepräsident Fuat Oktay von einem Kriegsgrund, Griechenlands Energieminister Kostis Chatzidakis dagegen von "Größenwahn und Wichtigtuerei auf der anderen Seite der Ägäis". Präsident Recep Tayyip Erdogan poltert: "Wir fliehen nicht vor dem Kampf. Wir schrecken nicht davor zurück, Märtyrer und Veteranen zu hinterlassen."
Nur vordergründig geht es um Erdgasvorkommen
Vordergründig geht es um die Erdgasvorkommen im östlichen Mittelmeer um Ankaras Sehnsucht, vom Energie-Importeur zur Energiemacht zu werden. Angesichts des Verfalls der Türkischen Lira und des Schlingerns der Wirtschaft möchte Erdogan sein Land von teuren Importen unabhängig machen und ein Signal ökonomischer Hoffnung setzen. Er weiß, dass seine Popularität vom Lebensstandard breiter Massen, also von der wirtschaftlichen Genesung der Türkei abhängt.
Mehr noch geht es um Politik: Der außenpolitische Kompromiss- und Versöhnungskurs seiner frühen Herrschaftsjahre hat Erdogan nur Niederlagen und Schmach gebracht. Jetzt setzt er auf Konfrontation. Türkische Truppen sind nicht nur im Norden Syriens und des Irak aktiv, um jede kurdische Staatlichkeit zu verhindern. Sie unterstützen in Libyen militärisch die international anerkannte Regierung von Premier Sarraj. Im Vorjahr verständigten sich Ankara und Tripolis auf die Aufteilung der Erdgasfelder im östlichen Mittelmeer, während auf der Gegenseite Griechenland und Ägypten dieselben Vorkommen unter sich aufteilen wollen. Kein Wunder: Athen und Kairo stützen (wie Moskau und Paris) im libyschen Bürgerkrieg Sarrajs Gegner, General Haftar. Mit Ägyptens Präsident Al-Sisi ist Erdogan nicht nur wegen Libyen und der Erdgasressourcen über Kreuz: Er verzeiht ihm auch nicht den Sturz des vormaligen ägyptischen Präsidenten Mursi und das Vorgehen gegen die Muslimbruderschaft.
"Fehler" Atatürks revidieren
Drei Jahre vor der Hundertjahrfeier der Türkischen Republik ist Erdoan entschlossen, alles zu revidieren, was Republikgründer Atatürk aus seiner Sicht falsch gemacht hat: Das begann in der Gesellschaftspolitik mit dem radikalen Laizismus und seinen Symbolen (etwa dem Kopftuchverbot) und setzt sich in der Außenpolitik fort. Erdogans Türkei ist sogar bereit, Grenzen infrage zu stellen, denn die vom türkischen Festland aus sichtbaren Ägäisinseln gehören größtenteils zu Griechenland. Das Ringen um Seegrenzen und die Definition des türkischen Festlandsockels um das, was Erdogan "blaues Vaterland" nennt - ist der Auftakt zum Streit über eine Grenzrevision. Athen warnt darum vor einem "Expansionismus" der Türkei.
Wie immer, wenn es zwischen Athen und Ankara knirscht und kracht, gerät das Ökumenische Patriarchat in Bedrängnis. Es ist kein Zufall, dass die außenpolitische Eskalation gegenüber Athen zeitlich parallel lief zur Umwandlung der Hagia Sophia von Istanbul und anschließend der Chora-Kirche zu Moscheen. Die kemalistische Türkei sah und behandelte den Ökumenischen Patriarchen als Pfarrer der orthodoxen Griechen Istanbuls. Obwohl Erdogan im Gegensatz dazu die internationale Rolle des Patriarchats würdigt, macht seine Regierung etwa die Rückgabe des orthodoxen Priesterseminars auf Chalki abhängig vom Bau einer Moschee in Athen. Wie zu Zeiten der Zypern-Krise droht nun der politische Druck auf das Ökumenische Patriarchat zu wachsen.
Bartholomaios von Hagia-Sophia-Umwandlun verletzt
Patriarch Bartholomaios, der die AKP-Regierung lange verteidigte und Erdoans EU-Ambitionen stets unterstützte, hat seinerseits die Appeasement-Politik eingestellt. Zur Umwandlung der einstigen Patriarchalbasilika Hagia Sophia zur Moschee äußert er sich klar: "Die einzige Nutzung der Hagia Sophia, die ihre wahre Mission respektiert und erklärt, ist die Nutzung als christliches Gotteshaus." Die Umwandlung beider Kirchen habe ihn verletzt, so Bartholomaios.
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