Die CDU sucht einen neuen Vorsitzenden. Volksnah soll er sein. Einer, dem die Sorgen der alleinerziehenden Mutter und des Langzeitarbeitslosen genauso vertraut sind, wie die des doppelverdienenden Akademikerpaars, das auf einen Kitaplatz wartet und der Unternehmerin, die händeringend nach Facharbeitern sucht. Ein Kümmerer, der intuitiv weiß, wo das Schuhwerk drückt und der – simsalabim – für jedes Problem eine Lösung präsentiert. Einer, der – auf Anhieb und den Cent genau – weiß, was ein Kilo Kartoffeln, ein Pfund Mehl und eine Tankfüllung kosten und der Goethe, Schiller und Novalis zitieren kann; fehlerfrei aus dem Gedächtnis.
Everybody's darling , aber niemanden's Depp
Einer, der das Ohr an der Basis der Partei hat und alle ihre Flügel gleichermaßen einbindet. Einer, der die besten Köpfe um sich versammelt und gleichwohl den Proporz von Geschlechtern, Landesverbänden und Parteigliederungen zu wahren versteht. Einer, der andere glänzen lassen kann und dennoch den Takt vorgibt. Einer, der auf Instagram, Meta und Twitter „bella figura“ macht und sich doch stets den Blick für das Wesentliche bewahrt.
Einer, der „klare Kante“ zeigt und sich zugleich als Meister in der Kunst des Kompromisses erweist. Der mit Bürgermeistern und Landräten auf Augenhöhe verkehrt und der Joe Biden, Wladimir Putin und Xi Jinping wenn nicht das Fürchten, so wenigstens Respekt lehrt. Einer, der Sozialschmarotzern zu Fleiß, Egomanen zu Gemeinschaftssinn und Steuerflüchtlingen zu Vaterlandsliebe verhilft. Nicht durch Sozialstunden, sondern per Augenzwinkern im Vorbeigang.
Einer, der Humor hat, aber niemals an der falschen Stelle lacht. Der everybody's darling ist, aber niemanden's Depp. Einer, der bei all dem authentisch ist und nicht etwa ein Politdarsteller. Kurz: Gesucht wird ein Einhorn, das Feenstaub durch seine Nüstern bläst.
Einhörner gibt es nur im Märchen
Das Problem: Einhörner gibt es, wie Feenstaub auch, nur im Märchen. Was also tun? Womöglich wäre die CDU gut beraten, wenn sie statt auf eine neue Person an der Spitze, zunächst auf die Ausarbeitung eines neuen Programms fokussierte. Welches alternative Angebot kann, ja sollte die von Angela Merkel in 16 Regierungsjahren entkernte Partei den Wählerinnen und Wählern zu Beginn der 20er Jahre des angebrochenen Jahrhunderts machen?
Selbstverständlich eines, das das klassische Familienmodell (Vater, Mutter, Kinder), wie es die Verfassung in Artikel 6 vorsieht, tatsächlich fördert – ohne alternative zu diskriminieren. Eines, das die Vereinbarkeit von Familie und Beruf stärkt, statt Paare auf die Reproduktionsmedizin zu verweisen. Eines, das garantiert, dass Familien mit Kindern nicht in die Armutsfalle geraten und Mieten und Grundstückspreise nicht von Spekulanten diktiert werden. Eines, das den Schutz des Lebens großschreibt, vor allem in seinen vulnerablen Phasen, am Anfang und am Ende. Eines das die Schöpfung, das „gemeinsame Haus“ (Papst Franziskus), zu bewahren und – wo nötig – zu sanieren versteht, ohne aus den Augen zu verlieren, dass es auch eine „Ökologie des Menschen“ (Papst Benedikt XVI.) gibt.
Dann werden die deutschen Christdemokraten feststellen: Ein Einhorn an der Spitze ist gar nicht nötig. Ein prinzipienfester, überzeugter und halbwegs talentierter Christ reicht völlig. Und der oder die wird sich in der einstigen Volkspartei doch wohl finden lassen.
Die Printausgabe der Tagespost vervollständigt aktuelle Nachrichten auf die-tagespost.de mit Hintergründen und Analysen.