Kärnten ist anders. Der amtierende Landeshauptmann (Ministerpräsident) Peter Kaiser von der SPÖ wirkte am Wahlabend mitleiderregend niedergeschlagen. Deprimiert, mit Leichenmiene und um Fassung ringend gestand er eine „schlimme Niederlage“ ein, für die er selbst die volle Verantwortung übernehme. Kaisers Sozialdemokratie erreichte am Sonntag 38,9 Prozent und liegt damit um stolze 14,3 Prozentpunkte vor dem Zweitplatzierten. Aber: Trauer bei der SPÖ.
Jubelstimmung herrschte dagegen bei FPÖ (24,6 Prozent), ÖVP (17 Prozent) und „Team Kärnten“ (10,1 Prozent): Von ihrem Sieg sprachen erfolgsberauscht die Spitzenkandidaten dieser drei Parteien. Der Kärntner ÖVP-Chef Martin Gruber versicherte im Überschwang seines Triumphes mehrfach, dennoch demütig bleiben zu wollen, und bot dem SPÖ-Landeshauptmann gönnerhaft Gespräche auf Augenhöhe an.
Gewiss, die 40-Prozent-Hürde nicht genommen zu haben, ist für die SPÖ-Kärnten „ein sehr schmerzliches Ergebnis“, weil sie 2018 stolze 48 Prozent erzielt hatte. Dagegen sind FPÖ und ÖVP glücklich, weil sie im Vergleich mit 2018 jeweils 1,6 Prozent zulegten. Der ÖVP hatten Umfragen zuletzt ein einstelliges Ergebnis prophezeit. Da kann auch eine Kanzlerpartei, die mit 17 Prozent auf dem dritten Platz gelandet ist, tief durchatmen. In Kärnten tat sich die ÖVP immer schwer; das Rennen um den Thron lief zwischen SPÖ und FPÖ.
Die ÖVP ist nicht dem Untergang geweiht
Wenn Bundeskanzler Karl Nehammer, der im Nebenjob ÖVP-Bundesparteichef ist, am Sonntag nach Klagenfurt eilte, um seinen Kärntner Freunden strahlend zu gratulieren, dann auch, weil hier die ÖVP leicht zulegte, während sie in den beiden vorangegangenen Landtagswahlen an Wählern und Prozenten einbüßte: Im schwarzen Stammland Tirol wie in Niederösterreich, einem anderen ÖVP-Erbhof, blieb sie zwar stärkste Partei, musste aber ein Minus von jeweils knapp zehn Prozent verkraften.
Kärnten ist für Nehammer ein Beleg, dass die von ihm geführte ÖVP nicht unrettbar verloren oder dem Untergang geweiht ist. Dieses Signal braucht er für die eigenen Funktionäre, die nach den Höhenflügen der Kurz-Ära einen dramatischen Absturz ihrer Partei nahen sehen. Tatsächlich liegt die ÖVP auf Bundesebene in Umfragen seit Wochen auf dem dritten Platz – klar hinter FPÖ und SPÖ. Spätestens wenn die Landtagswahl am 23. April in Salzburg, wo mit Wilfried Haslauer ein echter Schwarzer regiert, für die ÖVP in die Hose geht, ist in Wien Kanzlerdämmerung angesagt.
Nun wird das trotzige Ergebnis der traditionell schwachbrüstigen Kärntner ÖVP für Nehammer zum Strohhalm, an den er sich in den reißenden Fluten der Wählerwanderungen klammern kann. Ob Nehammer nach dem an Ikarus erinnernden Absturz von Sebastian Kurz je eine echte Chance hatte, seine Partei auf Siegeskurs zu halten? Das interessiert die Partei-Granden ebenso wenig, wie die Frage, was Landespolitiker gegen die Inflation oder den Ukraine-Krieg tun können, die Wähler davon abhält, die jeweils Regierenden abzustrafen. Die Landeschefs von Tirol, Niederösterreich, Kärnten und Salzburg können weder die Politik der Weltmächte noch die wirtschaftliche Großwetterlage ändern.
Umso bewundernswerter, dass der Kärntner Regierungschef Kaiser am Sonntagabend jener Versuchung widerstand, der sich seine niederösterreichische Kollegin Johanna Mikl-Leitner am 29. Januar hingegeben hat, nämlich der Bundespolitik die Schuld für die eigenen Wahlschlappe zuzuschieben. Die Niederösterreicherin trat ihrem Bundeskanzler ans Schienbein, der Kärntner dagegen nahm mannhaft alle Verantwortung auf sich.
SPÖ-Politik im Nebel der internen Führungsdebatte
Dennoch tobt nicht in der Kanzlerpartei ÖVP, sondern in der oppositionellen SPÖ eine wilde Debatte um die Parteispitze. Aus gutem Grund: Warum die tiefe Verunsicherung, die von der Corona-Pandemie, den wirtschaftlichen Turbulenzen einschließlich Inflation und dem Krieg im Osten Europas ausgelöst wurde, die Regierenden in Bedrängnis bringt, ist ja leicht erklärbar. Warum jedoch eine sozialdemokratische Opposition die Früchte dieser Verunsicherung nicht ernten kann, bleibt ein Rätsel. Gerade eine Arbeiterpartei, die sich seit ihrer Gründung als Anwältin der kleinen Leute verstand, sollte in solchen Zeiten Aufwind verspüren, möchte man meinen.
Tatsächlich aber trat die SPÖ in Tirol auf der Stelle, verlor in Niederösterreich ein paar Prozentpunkte, stürzte in Kärnten ab und liegt in bundesweiten Umfragen klar hinter der FPÖ auf Platz zwei. Dafür gibt es in der SPÖ – stark vereinfacht formuliert – zwei konträre Erklärungen: Die einen machen dafür die seit 2018 amtierende Parteivorsitzende, Pamela Rendi-Wagner, verantwortlich. Die anderen jedoch erklären dafür die Kritiker der Vorsitzenden verantwortlich, weil diese die Partei wie die Öffentlichkeit mit immer neuen Führungsdebatten beschäftigen, in deren Nebel die Sachpolitik der SPÖ längst unerkennbar geworden ist.
Nur in drei von neun Bundesländern Österreichs steht ein SPÖ-Landeshauptmann an der Spitze der Regierung: in Wien, Burgenland und Kärnten. Der Wiener Bürgermeister Michael Ludwig steht so kraftvoll hinter Rendi-Wagner, dass man sie leicht für seine Marionette halten kann. Der burgenländische Landeshauptmann Hans Peter Doskozil ist ihr ewiger Widersacher, der nicht müde wird, zu suggerieren, dass er der erfolgversprechendere Kanzlerkandidat wäre. Und der Kärntner Landeschef Peter Kaiser untersagte öffentlich – aber erfolglos – jede Chefdebatte während seines Wahlkampfs. Mit der gefühlten Niederlage vom Sonntag ist er nun ganz auf das Lecken der eigenen Kärntner Wunden konzentriert und verbietet sich selbst jegliche bundespolitische Empfehlung. Pamela Rendi-Wagner sei „derzeit“ Parteichefin, er selbst konzentriere sich ganz auf Kärnten. Zu einer Beruhigung der Debatte innerhalb der SPÖ habe er wegen seines Wahlergebnisses nichts beizutragen.
ÖVP und Grüne dürften Legislaturperiode aussitzen
Nicht nur für Kanzler und ÖVP-Chef Nehammer, sondern auch für die Oppositionsführerin und SPÖ-Chefin Rendi-Wagner gilt wohl: Nach der Salzburger Landtagswahl am 23. April wird bilanziert, in welcher Aufstellung und mit welcher Spitze ihre Parteien in den Wahlkampf 2024 ziehen wollen. In Österreich finden Parlamentswahlen zwar oft vor der Zeit statt, doch dürften die Regierungsparteien ÖVP und Grüne diesmal entschlossen sein, die Legislaturperiode auszusitzen. Spätestens seit Sonntag, als die Grünen in Kärnten an der Vier-Prozent-Hürde scheiterten, dürfte den grünen Ministern klar sein, dass Klimaschutz und Energiewende alleine für einen Wahltriumph nicht reichen.

Keine Angst vor vorgezogenen Neuwahlen hat der (neben Rendi-Wagner) zweite Oppositionsführer: Herbert Kickl hat seine FPÖ nach dem Desaster der Ibiza-Affäre wieder zu Selbstbewusstsein und alter Stärke geführt. Das ist doppelt bemerkenswert: Weil der Ibiza-Skandal des damaligen FPÖ-Chefs Heinz-Christian Strache über Wochen die Schlagzeilen beherrschte und ein Sittengemälde zeigte, das an Peinlichkeit nur schwer zu überbieten ist. Aber auch, weil Kickl zum Zeitpunkt der Ibiza-Eskapaden FPÖ-Generalsekretär und ein enger Weggefährte von Strache war; zwar nicht in die Affäre verwickelt, aber auch kein neues Gesicht.
Im Gegenteil: Kickl, ein gebürtiger Kärntner, dockte in jungen Jahren beim legendären FPÖ-Chef Jörg Haider an, der es mit viel Populismus und exzessivem Kärnten-Patriotismus bis zum Landeshauptmann in Klagenfurt brachte, obgleich er selbst aus Oberösterreich stammte. Kickl profilierte sich als Haiders Redenschreiber, zählte aber nicht zur legendären „Buberlpartie“. Wenn „der Jörg“ mit dieser rund um den Wörthersee feiern ging, zog sich Kickl in seine Bücherstube zurück, heißt es.
Herbert Kickls FPÖ sammelt die Unzufriedenen
Als Haider die FPÖ im Jahr 2005 spaltete, um mit einer Neugründung namens BZÖ Regierungsfähigkeit zu demonstrieren, wechselte Kickl ins Strache-Lager. Gemeinsam zogen sie im Dezember 2017 in die Bundesregierung unter Sebastian Kurz ein: Strache als Vizekanzler, Kickl als Innenminister. Als dann Strache und die Regierung Kurz I über den Ibiza-Skandal stolperten, versuchten der scharfzüngige Kickl und der versöhnliche Norbert Hofer im Duett, die demolierte Partei zu sanieren.
Kickl dürfte das nur als Übergangslösung gesehen haben: Im Sommer 2021 stieß er Hofer zur Seite und führt die FPÖ seither unumschränkt. Mit Radikalkritik an den Corona-Maßnahmen wie an der Ukraine-Politik der Regierung sammelt die FPÖ nun Unzufriedene aus vielen Richtungen. Mit Erfolg: In bundesweiten Umfragen liegt die FPÖ auf dem ersten Platz, knapp unter 30 Prozent – sogar über ihren besten Wahlergebnissen von 1999 (26,9 Prozent) und 2017 (26 Prozent).
Trotz eines leichten Zugewinns am Sonntag reiht sich das Kärntner Wahlergebnis eher nicht in das große Comeback der FPÖ ein: Mit 24,5 Prozent blieb die FPÖ hier auch klar hinter den Erfolgen zurück, die Kickls erster Mentor, Jörg Haider, der Partei einst bescherte: 1999 waren es 42 Prozent, 2004 sogar 42,5 Prozent.
Die Printausgabe der Tagespost vervollständigt aktuelle Nachrichten auf die-tagespost.de mit Hintergründen und Analysen.