Ein Machtwechsel ist möglich

Die südafrikanische Regierungspartei hat Angst vor einer Niederlage bei den Parlamentswahlen im Mai und führt in Kirchengemeinden „ANC-Sonntage“ ein. Von Michael Gregory
ANC-Parteitag in Südafrika
Foto: dpa | Er ist auch ANC-Vorsitzender: Präsident Cyril Ramaphora beim Parteitag im Januar.
ANC-Parteitag in Südafrika
Foto: dpa | Er ist auch ANC-Vorsitzender: Präsident Cyril Ramaphora beim Parteitag im Januar.

Südafrika, 27. April 1994: Die Hoffnung auf eine friedliche, wirtschaftlich erfolgreiche und vor allem auch demokratische Entwicklung war groß, als an diesem Tag die ersten freien und allgemeinen Wahlen nach dem Ende der Apartheid stattfanden. Nelson Mandela bereitete sich als künftiger Präsident auf seine berühmte Rede vor von Südafrika als „Regenbogennation im Frieden mit sich selbst“. Doch es sollte noch viele Jahre dauern, bis von einer echten Perspektive auf eine „Herrschaft des Volkes“ gesprochen werden kann. Erst jetzt, 25 Jahre später, steht das Land vor einer Wahl, die diesen Namen tatsächlich verdient. Erstmals in der Geschichte des Landes sieht es so aus, als ob der bisher allmächtige African National Congress (ANC) seine uneingeschränkte Machtposition einbüßen könnte. Eine Reihe ernst zu nehmender Konkurrenten hat sich gegen den traditionell links orientierten, lange Jahre mit Zwei-Drittel-Mehrheit regierenden ANC in Stellung gebracht. Nicht auszuschließen, dass sie bei den Parlamentswahlen am 8. Mai für eine Überraschung sorgen.

Oppositionsparteien müssen zusammenarbeiten

Für den ANC gilt es, seine Mehrheit von 62 Prozent aus dem Jahr 2014 zu verteidigen. Nach Einschätzung von Henning Suhr, Leiter des südafrikanischen Büros der Konrad Adenauer Stiftung, ist von einem langfristigen Abwärtstrend des von zahlreichen Korruptionsskandalen zerfressenen ANC auszugehen, selbst wenn Demoskopen für die kommenden Wahlen einen Sieg des ANC mit absoluter Mehrheit prophezeien. Die Opposition arbeite „hart an dem Projekt, den ANC landesweit unter die 50-Prozent-Marke zu drücken“, berichtet Suhr. Mittel zum Zweck seien Koalitionsregierungen, da nur durch Zusammenschluss der zwei größeren Oppositionsparteien Democratic Alliance (DA, liberal-konservativ) und den Economic Freedom Fighters (EFF, linksradikal, populistisch) sowie kleineren Parteien Mehrheiten gegen den ANC gebildet werden könnten.

Neben den Korruptionsskandalen, bei denen vor allem der frühere Präsident Jacob Zuma und seine Günstlinge im Mittelpunkt standen, erhitzt im Wahlkampf vor allem die Landfrage die Gemüter. In kaum einem anderen Staat Afrikas ist Land so ungleich verteilt wie in Südafrika. Die Ursache liegt in der Geschichte. Bis heute nachwirkende Gesetze wie der Natives Land Act von 1913 hatten mehr als 80 Prozent des Landes für die weiße Minderheit reserviert. „Südafrika war ein reiches, aufstrebendes Land, aber vor allem für die relativ kleine Gruppe der Weißen“, berichtet eine Auswanderin, die Anfang der 60er Jahre von Köln nach Johannesburg gezogen war, im Gespräch mit der „Tagespost“. Staatspräsident Cyril Ramaphosa, seit gut einem Jahr auch Vorsitzender des ANC, nennt dies zwar eine „Ursünde“, doch geschehen ist bisher kaum etwas. Daher legt Ramaphosa nun nach. Er macht Wahlkampf mit dem Thema und will eine Änderung der Verfassung auf den Weg bringen, die die Enteignung von Landbesitzern ohne Entschädigung erleichtern soll.

Das könnte im Chaos enden. So befürchten viele weiße Farmer Zustände wie im Nachbarland Simbabwe. Dort hatte Ex-Präsident Robert Mugabe zahlreiche weiße Farmer vertrieben. Das Land verarmte zusehends – eine Ursache, warum Zyklon Idai vor kurzem so viele Opfer forderte. Auch in Südafrika sind viele Farmen, die in den vergangenen Jahren den Besitzer wechselten, heruntergewirtschaftet. Hinzu kommt eine schlechter werdende Versorgungslage. So dreht der staatliche Stromkonzern Eskom den Haushalten derzeit bis zu acht Stunden am Tag den Strom ab.

Unterdessen geht der ANC im Wahlkampf jetzt auch in Kirchen auf Stimmenfang – bei „ANC-Sonntagen“. Wahlkampfaktivisten sollen Gottesdienste besuchen und anschließend den Sonntag mit den Gemeinden verbringen, wie lokale Medien berichten. „Ob beim Barbecue oder in den Kirchen – wir werden Leute in Parteiuniform dort haben“, wird der Regionalpolitiker Lebogang Maile zitiert. Der Aufruf an die Parteimitglieder, Politik in die Nachbarschaft zu tragen, sei nicht als „Invasion“ zu verstehen, so Maile. Jedoch müsse man „Präsenz zeigen“. Der erste „ANC-Sonntag“ fand jetzt unter anderem in den Kirchen von Johannesburg und der Hauptstadt Pretoria statt.

Bischöfe rufen zu Mut zur Erneuerung auf

Kein Wunder, dass die Kirchen alarmiert sind. So haben die katholischen Bischöfe einen Appell an die Wähler gerichtet. „Bewusstsein“ und „Mut“ seien zentrale Voraussetzungen, um eine „Erneuerung des Landes“ zu erwirken, heißt es in einem Pastoralbrief. Die Bevölkerung dürfe sich nicht von „falschen Versprechungen“ leiten lassen, mahnten die Bischöfe in dem Schreiben. Es sei wichtig, eine klare Vision vor Augen zu haben.

Das bedeute auch, Kandidaten zu wählen, die konkrete Lösungen für die Probleme des Landes anbieten. So solle man sich beispielsweise fragen, wer die ausgeprägte Korruption und Arbeitslosigkeit bekämpfen könnte, empfahlen die Geistlichen.

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